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Distressed M&A – Wesentliche arbeitsrechtliche Aspekte

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Die Lage für die deutsche Wirtschaft im Jahr 2025 bleibt herausfordernd. Der ‚Standort Deutschland‘ steht plötzlich wieder in Frage. Schwankende Energie- und Rohstoffpreise, Strafzölle, geopolitische Spannungen, Bürokratie und der akute Fachkräftemangel gepaart mit einem vergleichsweise niedrigen Arbeitsvolumen treffen weltwirtschaftlich auf große Sorgen im China-Geschäft und belasten die deutsche Wirtschaft. Das Wort „Deindustrialisierung“ scheint in aller Munde. Und tatsächlich mehren sich in den letzten Monaten die Schlagzeilen über umfassenden Personalabbau oder gar die Insolvenzantragstellung von großen namhaften Unternehmen. Nichtsdestotrotz eröffnet jede Krise zugleich Chancen. Der Kauf eines Unternehmens in der Krise ermöglicht dem Käufer, neue Märkte oder Technologien zu erschließen. Für das Krisenunternehmen bietet dies die Möglichkeit, Betrieb und Arbeitsplätze zu sichern und eine Insolvenz zu vermeiden.

Den Erwerb von Unternehmen oder Teilen von Unternehmen, die auf eine Insolvenz zusteuern oder sich bereits in einem Insolvenzverfahren befinden, beschreibt der Begriff „Distressed-M&A“. Die wesentlichen arbeitsrechtlichen Auswirkungen einer Distressed M&A Transaktion auf die Arbeitsverhältnisse beschreibt der nachfolgende Beitrag.

Share Deal vs. Asset Deal

Die Transaktion kann als sogenannter Share-Deal oder als Asset-Deal vollzogen werden. Beim Share-Deal werden Anteile an einem Unternehmen erworben, beim Asset-Deal erwirbt der Käufer alle oder bestimmte Betriebsmittel oder Betriebsteile. Wie immer in der Praxis gilt auch hier, dass es „die eine“ richtige Form der Unternehmensübernahme nicht gibt. Im Zusammenhang mit Distressed M&A Transaktionen wird der Kaufvertrag in den meisten Fällen in Gestalt eines Asset-Deals geschlossen. Ein Asset Deal bietet den Vorteil, dass nur die zwischen den Parteien vereinbarten Gegenstände des Betriebs oder Betriebsteile übertragen werden. Dabei kann der Käufer den Fokus auf diejenigen Vermögenswerte legen, die weiterhin einen wirtschaftlichen Wert oder eine strategische Bedeutung für ihn haben (sog. „cherry picking“). Bei einem Share Deal müssten hingegen zugleich die Verbindlichkeiten oder weniger profitablen Geschäftszweige übernommen würden.

Timing

Im Rahmen von Distressed M&A Transaktionen sind der Zeitpunkt und die zeitliche Gestaltung des Erwerbsvorgangs von besonderer Bedeutung. Denkbar sind folgende Zeitpunkte:

  • vorinsolvenzlich, also während der wirtschaftlichen Krise, jedoch ohne dass ein Insolvenzgrund vorliegt
  • bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes vor Eröffnung eines Insolvenzverfahren
  • die Phase nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens („übertragende Sanierung“)

Zulässig ist die übertragende Sanierung allerdings nur nach vollständiger Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht bereits vom vorläufig bestellten Insolvenzverwalter. In diesem Fall finden die Vorschriften des Insolvenzrechts Anwendung.

Betriebsübergang sowie arbeitgeberseitige Informationspflichten

In Bezug auf die Beschäftigten sind dem Cherry-Picking auch beim Asset Deal Grenzen gesetzt, da beim Erwerb eines Betriebs oder Betriebsteils ein sogenannter Betriebsübergang vorliegen kann. Liegt ein solcher vor, so gehen als Folge sämtliche Arbeitsverhältnisse, soweit diese im Zeitpunkt des Übergangs bestehen, gemäß § 613a BGB auf den Erwerber über.

Mit dem Übergang der Arbeitsverhältnisse geht zugleich einher, dass der Veräußerer oder Erwerber die Beschäftigten gemäß § 613a Abs. 5 BGB über

  • den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
  • den Grund für den Übergang,
  • die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
  • die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen

informieren muss (siehe dazu: https://kliemt.blog/2017/07/27/unterrichtung-ueber-die-rechtlichen-folgen-des-betriebsuebergangs-nach-%C2%A7-613a-abs-5-bgb/).

Personalabbau im Zusammenhang mit Distressed M&A Transaktionen

In der Praxis ist es regelmäßig weder ökonomisch sinnvoll noch finanzierbar, die gesamten Belegschaft zu übernehmen. So können beim Käufer vergleichbare Positionen bereits besetzt sein oder der Kauf wäre für ihn aus anderen Gründen wirtschaftlich nicht mehr interessant, wenn er die bisherige Personalsituation unverändert übernehmen müsste. Daher muss geprüft werden, welche Positionen wegfallen sollen.

Dieses nachvollziehbare wirtschaftliche Interesse führt allerdings nicht dazu, dass der Käufer ohne Weiteres nach seinen Vorstellungen Personal abbauen kann. Dem steht § 613a Abs. 4 S. 1 BGB entgegen, der Kündigungen wegen des Betriebsübergangs verbietet, wenn der Betriebsübergang selbst der tragende Grund und nicht nur der äußere Anlass für die Kündigung ist. Die Norm gilt auch im Insolvenzverfahren (vgl. 128 Abs. 2 InsO).

Umgekehrt ist das Kündigungsverbot aber dann nicht einschlägig, wenn es neben dem Betriebsübergang einen zusätzlichen sachlichen Grund gibt, der „aus sich heraus” die Kündigung rechtfertigt. (siehe dazu auch: https://kliemt.blog/2019/01/14/unkuendbarkeit-von-arbeitnehmern-nach-einem-betriebsuebergang/) Solche sachliche Gründe liegen im Zusammenhang mit Distressed M&A Transaktionen beispielsweise vor im Fall eines

  • Sanierungskonzepts des Veräußerers

Eine Kündigung aufgrund eines Sanierungskonzeptes des Veräußerers ver­stößt nicht gegen § 613a  Abs. 4 S. 1 BGB, wenn diese aus betriebsbedingten Gründen ohnehin hätte ausgesprochen werden dürfen. Auch im Kontext der Insolvenz sind Rationalisierungen und betriebsbedingte Kündigungen zulässig.
Dabei spielt es keine Rolle, ob der Betriebsinhaber eine langfristige Optimierung seiner unternehmerischen Tätigkeit oder die Verkaufsfähigkeit des Betriebs anstrebt. Entscheidend ist, dass der Veräußerer betriebsbedingte Kündigungen nicht allein deshalb ausspricht, weil einem potentiellen Erwerber die bisherige Belegschaft zu teuer ist, obwohl der Bedarf an den betroffenen Arbeitsplätzen erhalten bleibt.

  • Erwerberkonzepts

Entwickelt der Erwerber ein Sanierungskonzept, so ist nach der Recht­sprechung des BAG eine Kündigung wirksam, wenn diese zu Sanierungszwecken aufgrund eines Erwerberkon­zepts erfolgt (BAG, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 790/12 – https://www.bag-urteil.com/19-12-2013-6-azr-790-12/). Das Erwerberkonzept definiert die Zahl der Arbeitnehmer, die – unter Berücksichtigung der Sozialauswahl – übergehen sollen. Erforderlich hierfür ist ein verbindliches Konzept des Erwerbers, das zum Zeitpunkt der Kündigung hinreichend konkret ist und die übrigen Anforderungen für die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen erfüllt sind.

Bei der Umsetzung des Sanierungskonzeptes ist – zusätzlich zur Prüfung der Kündigungen an sich – ebenfalls die Erforderlichkeit einer Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit zu prüfen und zu berücksichtigen (siehe hierzu https://kliemt.blog/2024/08/07/ablauf-des-massenentlassungsanzeigeverfahrens-die-basics-im-ueberblick/).

  • Transfergesellschaft oder BQG als Alternative

In der Praxis lässt sich der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen regelmäßig dadurch vermeiden, dass eine ausreichende Anzahl von Mitarbeitern, die nicht an den neuen Eigentümer übergehen sollen, freiwillig auf eine Transfergesellschaft oder Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) übergehen, um sich dort auf andere berufliche Aufgaben vorzubereiten und so die Folgen der Restrukturierung abfedern.

Erleichterung im Falle der übertragenden Sanierung bei Interessenausgleich und Sozialplan

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten bei der übertragenden Sanierung auch im Kontext von Interessenausgleich und Sozialplan Besonderheiten:

  • Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 122 InsO darf der Insolvenzverwalter eine geplante Betriebsänderung mit Zustimmung des Gerichtes durchführen, wenn keine Einigung mit dem Betriebsrat zustande kommt.
  • Bei einem Interessen­ausgleich mit Namensliste (vgl. § 1 Abs. 5 KSChG) wird vermutet, dass die auf Grundlage des Interessenaus­gleichs ausgesprochenen Kündigungen betriebsbedingt erforderlich waren (§ 125 InsO).
  • Im Sozialplan ist im Zusammenhang mit der Insolvenz insoweit zu berücksichtigen, dass der Umfang von Ansprüchen aus Sozialplänen wirtschaftlich auf einen Gesamtbetrag von bis zu zweieinhalb Monatsverdiensten begrenzt ist (§ 123 InsO). Für Ansprüche aus Sozialplä­nen vor der Insolvenz gilt, dass diese zu Insolvenzforderungen werden. Ferner haben der Insolvenzver­walter und der Betriebsrat die Möglichkeit, Sozialpläne, die in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag abgeschlossen wurden, zu widerrufen (§ 124 InsO).
Fazit

Distressed M&A Transaktionen sind häufig bereits aus ökonomischen Gesichtspunkten notwendig. Aus arbeitsrechtlicher Perspektive ist zu berücksichtigen, dass diese häufig einen Betriebsübergang auslösen. Zwar reicht dieser Umstand an sich noch nicht aus, um eine Kündigung der Arbeitsverhältnisse im Betrieb des Veräußerers zu recht­fertigen, dennoch können solche bei Vorliegen eines sachlichen Grundes, der die Kündigung aus sich heraus rechtfertigt, zulässig sein. Hierfür ist typischerweise ein Sanierungs- oder Erwerberkonzept erforderlich. Schließlich kommt es beim Erwerb eines Unternehmens aus der Krise entscheidend auf das Timing an. Können Risiken abgeschätzt oder verringert werden, bietet die Distressed M&A Transaktion vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens viele Gestaltungsfreiheiten. Ist die Krise schon fortgeschritten, kann es für den Bestand der Transaktion sicherer sein, den Weg der übertragenden Sanierung zu wählen und die Vorteile des Insolvenzrechts zu nutzen.

Dr. Anja Dachner

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Partnerin
Anja Dachner begleitet vorwiegend komplexe, auch grenzüberschreitende Restrukturierungsprojekte. Sie berät ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Gestaltung von Anstellungs-, Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppen "Whistleblowing und Compliance" und "Private Equity / M&A".
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