Für Arbeitgeber kann ein verlorener Kündigungsschutzprozess erhebliche finanzielle Folgen haben. In vielen Fällen müssen sie für die gesamte Dauer des Verfahrens Annahmeverzugslohn zahlen – selbst wenn sich der Prozess über Jahre erstreckt. Die Frage, inwieweit Arbeitnehmer verpflichtet sind, sich während der Kündigungsfrist oder während eines laufenden Rechtsstreits um eine neue Stelle zu bemühen, ist daher von großer Bedeutung. Insbesondere stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt sich der Arbeitnehmer aktiv um eine neue Beschäftigung bemühen muss. Die Rechtsprechung hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt und sowohl Arbeitnehmer – als auch Arbeitgeberrechte in diesem Zusammenhang präzisiert. Ein aktuelles Urteil des BAG bringt nun zusätzliche Klarheit in die Diskussion (BAG vom 12. Februar 2025 – 5 AZR 127/24). Im heutigen Blog geben wir hierzu einen kurzen Überblick.
Worum ging es?
Der Kläger war als Senior Consultant bei der Beklagten beschäftigt. Am 29. März 2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2023 und stellte den Kläger unter Anrechnung von Resturlaub unwiderruflich frei. Die daraufhin erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers war erfolgreich: Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung für unwirksam Das Landesarbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Trotz der Freistellung erhielt der Kläger für Juni 2023 keine Vergütung mehr, so dass er diese einklagte. Die Beklagte argumentierte, der Kläger hätte sich um eine frühere Anschlussbeschäftigung bemühen müssen. Sie hatte ihm bereits im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 Stellenangebote übersandt. Er bewarb sich allerdings erst Ende Juni 2023 auf einige dieser Stellenangebote. Die Beklagte forderte daher eine Anrechnung fiktiven Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG wies die Revision der Beklagten zurück und stellte fest, dass der Arbeitnehmer sich keinen fiktiven anderweitigen Verdienst anrechnen lassen muss. Nach § 615 Satz 1 BGB stehe dem Arbeitnehmer die volle Vergütung zu, wenn der Arbeitgeber ihn nicht beschäftige, obwohl er es könnte. Eine Anrechnung nach § 615 Satz 2 BGB setze voraus, dass der Arbeitnehmer böswillig einen anderweitigen Verdienst unterlässt.
Das Gericht betonte, dass ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, sich während der Kündigungsfrist aktiv um eine neue Stelle zu bemühen, wenn er vom Arbeitgeber einseitig freigestellt wurde. Die Beklagte hätte darlegen müssen, dass die Beschäftigung des Klägers unzumutbar gewesen wäre. Da dies nicht der Fall war, bestehe für den Kläger keine Verpflichtung, sich schon während der Kündigungsfrist um eine neue Stelle zu bemühen und einen früheren anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung
Arbeitgeber müssen nach einem verlorenen Kündigungsschutzprozess in der Regel für die Dauer des Prozesses Annahmeverzugslohn zahlen. Nach § 11 KSchG muss sich der Arbeitnehmer jedoch böswillig unterlassenen Erwerb anrechnen lassen. Allerdings ist es für Arbeitgeber oft schwer nachzuweisen, welche Verdienstmöglichkeiten dem Arbeitnehmer tatsächlich offenstanden.
Das BAG hat daher bereits mit Urteil vom Mai 2020 (Az. 5 AZR 387/19) entschieden, dass Arbeitgeber in solchen Fällen einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer haben (siehe unseren Blogbeitrag vom 7. September 2020). Dieser Anspruch bezieht sich auf Vermittlungsvorschläge, die die Agentur für Arbeit dem Arbeitnehmer unterbreitet hat. Der Arbeitnehmer muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, warum ihm die Annahme bestimmter Stellenangebote nicht zumutbar war.
Das BAG hat mit Urteil vom 7. Februar 2024 (5 AZR 177/23) diese Rechtsprechung weiter konkretisiert (siehe unseren Blogbeitrag vom 14. Mai 2024). Nach dem BAG sollte ein Arbeitgeber dem gekündigten Arbeitnehmer aktiv konkrete Stellenanzeigen benennen. Es reiche in diesem Zusammenhang nicht aus, wenn sich der Arbeitgeber pauschal auf die allgemeine Arbeitsmarktlage und eine niedrige Arbeitslosenquote berufe. Arbeitgeber müssen im Annahmeverzugsprozess darlegen und beweisen, dass sie dem Arbeitnehmer geeignete Stellenangebote übermittelt haben. Mit diesen habe sich der Arbeitnehmer – im zumutbaren Rahmen – auseinanderzusetzen und sich zu bewerben. Das BAG stellte klar, dass Arbeitnehmer sich nicht unermüdlich um eine zumutbare Arbeit bemühen müssen, zumutbare Angebote dürfen sie aber nicht grundlos ablehnen. Ein geringeres Gehalt allein mache ein Angebot nicht unzumutbar. Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen müsse ein Arbeitnehmer aber grundsätzlich nicht hinnehmen.
Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil des BAG vom 12. Februar 2025 stellt klar, dass eine unwiderrufliche Freistellung nicht automatisch bedeutet, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich sofort um eine neue Stelle zu bemühen. Arbeitgeber können daher nicht ohne Weiteres verlangen, dass sich Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist aktiv auf neue Stellen bewerben, um Vergütung einzusparen. Bislang liegt hierzu allerdings nur die Pressemitteilung vor, so dass die endgültigen Urteilsgründe noch abzuwarten sind.
Abgesehen davon gelten die im Jahr 2020 vom BAG aufgestellten Kriterien für ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs jedoch nach wie vor. Auch sind Arbeitgeber gemäß dem Urteil des BAG aus 2024 weiterhin gut beraten, einem gekündigten Arbeitnehmer zumutbare Arbeitsangebote zu unterbreiten. Zu beachten ist nach der neuen Rechtsprechung des BAG jedoch, dass dies nicht schon während der laufenden Kündigungsfrist des Arbeitnehmers gilt, jedenfalls zumindest dann nicht, wenn dieser einseitig freigestellt wurde und der Arbeitgeber nicht darlegen kann, dass ihm die Beschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ende der Kündigungsfrist unzumutbar ist.
Fazit
Arbeitgeber sollten sich nach dem neuen Urteil des BAG bewusst sein, dass während der unwiderruflichen Freistellung grundsätzlich die Vergütung fortgezahlt werden muss – selbst wenn der Arbeitnehmer sich erst spät vor dem Ende der Kündigungsfrist um eine neue Stelle bemüht. Etwas anderes gilt nach dem BAG nur dann, wenn die Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist unzumutbar ist.
Allerdings gibt es für Arbeitgeber jedenfalls nach dem Ablauf der Kündigungsfrist während des laufenden Kündigungsschutzprozesses weiterhin wirksame Mittel, um etwaigen hohen Annahmeverzugslohnansprüchen entgegenzutreten, indem der Auskunftsanspruch genutzt wird und dem Arbeitnehmer aktiv Stellenangebote übermittelt werden.