Welche gesetzlichen Kündigungsfristen gelten, wenn die GmbH den Dienstvertrag ihres Geschäftsführers kündigt? Die auf Arbeitnehmer anwendbaren Fristen des § 622 BGB analog (so die frühere Rechtsprechung) oder nur die in der Regel deutlich kürzeren Fristen des § 621 BGB (so die jüngere Auffassung des Bundesarbeitsgerichts)? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich hierzu nunmehr eindeutig positioniert und widerspricht dem Bundesarbeitsgericht (BAG).
Geschäftsführer sind keine Arbeitnehmer
Für Arbeitnehmer gelten die gesetzlichen Mindestkündigungsfristen des § 622 BGB. Je nach Dauer des bestehenden Arbeitsverhältnisses betragen diese bis zu sieben Monate zum Monatsende. GmbH-Geschäftsführer sind dagegen – jedenfalls in aller Regel – keine Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne. Eine direkte Anwendung des § 622 BGB scheidet damit aus (jedenfalls soweit ihr Dienstverhältnis nicht ganz ausnahmsweise doch als Arbeitsverhältnis einzuordnen sein sollte).
Frühere Rechtsprechung des BGH
Der BGH und die herrschende Meinung vertraten die Auffassung, § 622 BGB sei auf Geschäftsführer, die keine Gesellschafter oder jedenfalls keine Mehrheitsgesellschafter seien, analog anzuwenden. Denn es bestehe insoweit eine planwidrige Regelungslücke.
Kehrtwende durch das BAG
Das BAG vollzog demgegenüber in einer Entscheidung vom 11. Juni 2020 eine Kehrtwende (2 AZR 374/19 – Das Bundesarbeitsgericht, siehe hierzu Kürzere Kündigungsfristen für GmbH-Geschäftsführer – BAG ändert Rechtsprechung – Kliemt.blog). Bei Geschäftsführern, die keine Arbeitnehmer seien, sei nicht § 622 BGB, sondern der für freie Dienstverhältnisse geltende § 621 BGB anzuwenden.
Nach dieser Norm kommt es für die Länge der Kündigungsfrist nicht auf die Dauer des Dienstverhältnisses an, sondern entscheidend ist, nach welchen Zeitabschnitten die Vergütung bemessen ist. Bei einer Monatsvergütung kann der Dienstvertrag nach dem BAG somit gesetzlich mit einer sehr kurzen Frist von ca. einem halben Monat gekündigt werden, nämlich spätestens am 15. eines Monats zum Ende des Kalendermonats (§ 621 Nr. 3 BGB). Bei einer nach Quartalen oder längeren Zeiträumen bemessenen Vergütung (also insbesondere auch im praktisch häufigen Fall einer Jahresvergütung) beträgt die Frist auf der Grundlage der BAG-Rechtsprechung sechs Wochen zum Quartalsende (§ 621 Nr. 4 BGB).
Zur Begründung führt das BAG insbesondere an, es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 622 BGB rechtfertigen würde. Der Gesetzgeber habe mit der seit dem 15. Oktober 1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an Arbeitsverhältnisse betont. Es sei jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass er die Kündigungsfristenregelung für (Fremd-)Geschäftsführer dort verortet sehen wollte. Wäre dies sein Wille gewesen, hätte er die Neuregelung Anlass genommen, die bestehende Rechtsprechung des BGH in eine gesetzliche Regelung zu übernehmen.
Entscheidung des BGH vom 5. November 2024
Der BGH hat dieser Auffassung des BAG nunmehr mit Urteil vom 5. November 2024 (II ZR 35/23 Urteil des II. Zivilsenats vom 5. November 2024 – II ZR 35/23 –) eine klare Absage erteilt. Er hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Der BGH zieht aus der Gesetzesänderung aus dem Jahr 1993 genau den umgekehrten Schluss: Der Gesetzgeber habe in offenbarer Kenntnis der Rechtsprechung des BGH die Frage der Kündigungsfristen für Organmitglieder weder ausdrücklich angesprochen noch korrigiert. Es bleibe daher bei der entsprechenden Anwendung des § 622 Abs. 1, 2 BGB, was nach § 622 Abs. 4, 5 BGB vertraglich nicht zu Lasten des Geschäftsführers abdingbar sei.
Praxisfolgen
Soweit eine vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist länger ist als die sich aus § 622 Abs. 1, 2 BGB ergebende Frist, ist der Meinungsstreit zwischen BAG und BGH ohne Belang. Relevant ist er hingegen, soweit die vertraglich vereinbarte Frist kürzer ist, vertraglich keine Frist für die ordentliche Kündigung geregelt ist oder – wie im Fall des BAG vom 11. Juni 2020 – im Vertrag schlicht auf die „gesetzlichen Fristen“ verwiesen wird.
Hier besteht für die Praxis eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Denn es ist davon auszugehen, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit bis auf Weiteres überwiegend dem BAG folgen wird, die ordentliche Zivil-Gerichtsbarkeit dagegen dem BGH. Vor welcher Gerichtsbarkeit ein konkreter Fall letztlich entschieden wird, ist nicht immer sicher zu prognostizieren und durch den (ehemaligen) Geschäftsführer zu einem gewissen Grad gestaltbar (wenn die Organstellung zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr besteht und damit § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG nicht anwendbar ist).
Rechtssicherheit kann daher wohl nur eine Entscheidung durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes bringen. Dieser wurde bislang nicht angerufen. Das BAG meinte im Jahr 2020, es fehle an einer Divergenz und damit an einer Vorlagepflicht. Die ältere Rechtsprechung des BGH betreffe (nur) die Rechtslage vor dem 15. Oktober 1993. Der BGH weist zwar darauf hin, dass er auch zur neuen Rechtslage bereits die entsprechende Anwendbarkeit des § 622 BGB bejaht habe. In dem Urteil vom 5. November 2024 war die Rechtsfrage aber letztlich nicht entscheidungserheblich (obiter dictum), so dass auch in diesem Verfahren eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes unterblieb.