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Begrenzung des digitalen Zutrittsrechts von Gewerkschaften zum Betrieb

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Gewerkschaften suchen spätestens seit der Corona-Pandemie und dem damit für viele Beschäftigte einhergehenden Homeoffice regelmäßig Wege, Betriebe (auch) virtuell betreten zu können, um dort mit ihren Mitgliedern in Kontakt zu treten und neue Mitglieder durch Werbung zu gewinnen (s. dazu etwa bereits unseren Blog-Beitrag vom 19. Oktober 2020). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem jüngst wichtige Grenzen gesetzt – wir zeigen Ihnen welche.

Die Rechte der Gewerkschaften sind vom Gesetzgeber kaum geregelt. Im Fokus steht die durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften. Sie erlaubt es ihnen grundsätzlich, zur Erhaltung und Sicherung ihres Bestands nicht nur ihre Mitglieder zu adressieren, sondern auch nicht bzw. anders organisierte Arbeitnehmer über ihre Tätigkeiten zu informieren und als neue Mitglieder anzuwerben. „Klassische“ Werbemaßnahmen der Gewerkschaften, für die sie ggf. auch einen Zutritt zum Betrieb erhalten, sind etwa Anschläge „am schwarzen Brett“, die Verteilung von Flyern und das Abhalten von „Werbeveranstaltungen“ zu Pausenzeiten.

Grenzen des Zutritts zum Betrieb im Allgemeinen

Das weite Verständnis der Koalitionsbetätigungsfreiheit findet seine Grenzen in den Eigentumsgrundrechten des Arbeitgebers nach den Art. 13, 14 Abs. 1 GG sowie dessen Recht auf freie wirtschaftliche Betätigung im Rahmen seines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes nach Art. 12 Abs. 1 GG. Daneben ist die Koalitionsbetätigungsfreiheit auch mit den Rechten der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung sowie deren negativer Koalitionsfreiheit in Einklang zu bringen. Alle betroffenen Positionen sind so auszubalancieren, dass sie für die Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

Der Inhalt und Umfang des physischen Zutrittsrechts zum Betrieb zwecks Mitgliederwerbung wurde von der Rechtsprechung durch einzelfallbezogene Entscheidungen bereits in weiten Teilen verallgemeinerungsfähig konkretisiert. In der analogen Welt dürfte die Praxis als „eingespielt“ gelten – auch wenn natürlich noch offene Fragen verbleiben (s. dazu etwa unseren Blog-Beitrag vom 4. September 2023).

Bisherige (lückenhafte) Rechtsprechung zur Zulässigkeit digitaler Kommunikation

Angesichts der zunehmenden Digitalisierung des Arbeitslebens wollen sich Gewerkschaften indes nicht mehr auf diese klassischen (analogen) Zutrittswege verlassen und suchen digitale Möglichkeiten.

In einer wegweisenden Entscheidung vom 20. Januar 2009 (1 AZR 515/08) räumte das BAG Gewerkschaften erstmals bereits ein digitales Zutrittsrecht zum Betrieb ein. Danach dürfen Gewerkschaften betriebliche E-Mail-Adressen als Kommunikationsmittel zu Informations- und Werbezwecken nutzen und der Arbeitgeber hat dies zu dulden, soweit es nicht zu einer Beeinträchtigung des Betriebsablaufs oder einer Störung des Betriebsfriedens führt.

Die Reichweite dieses digitalen Zutrittsrechts ist seither in der höchstrichterlichen Rechtsprechung kaum austariert worden und viele Fragen daher offen geblieben. Gewerkschaften stellten in der Folge etwa Forderungen nach Intranet-Zugängen und auf Zugriff zu anderen sensiblen Kommunikationssystemen. Arbeitgeber verwiesen insoweit wiederum völlig zu Recht etwa auf erhebliche IT-Sicherheitsrisiken, die allenfalls mit einem erheblichen Personal- und Kostenaufwand seitens des Arbeitgebers minimiert werden könnten. Zudem wird arbeitgeberseits u.a. auf den Datenschutz hingewiesen, der im Jahre 2009 noch nicht die entscheidende Rolle spielte, die ihm spätestens seit Inkrafttreten der DSGVO im Jahre 2018 zukommt.

Neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts setzt wichtige Grenzen und schafft damit Klarheit

Mit der Entscheidung des BAG vom 28. Januar 2025 (1 AZR 33/24), die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt, wurden dem digitalen Zutrittsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb nun wichtige Grenzen gesetzt und damit Rechtsklarheit geschaffen.

In dieser Entscheidung verneinte das BAG unter Abwägung aller betroffenen Positionen ein Recht der Gewerkschaft, vom Arbeitgeber

  • sämtliche betrieblichen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer übermittelt zu bekommen, auch nicht für die Duldung ihrer Verwendung in einem bestimmten Umfang (hier: bis zu 104 E-Mails im Jahr mit einer Größe von bis zu 5 MB), sowie
  • Zugang zur Nutzung der konzernweiten Kommunikationsplattform (hier: Viva Engage) und
  • eine Verlinkung auf der Startseite des Intranets zu erhalten.

Dabei stellte das BAG heraus, dass der Gewerkschaft nicht insgesamt verwehrt würde, das E-Mail-System des Arbeitgebers für Werbe- oder Informationsmaßnahmen zu nutzen; eine Abkehr von der Entscheidung aus 2009 ist darin also nicht zu sehen. Das BAG sah es aber als (weiterhin) gangbares – und im Sinne eines schonendsten Interessenausgleichs probates – Mittel für die Gewerkschaft an, die Arbeitnehmer ggf. vor Ort im Betrieb nach ihrer betrieblichen E-Mail-Adresse zu fragen. Auch stellte das BAG heraus, dass es – anders als im Bereich des öffentlichen Dienstes mit § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG – keine gesetzliche Grundlage für die Verlinkung im Intranet sowie auch keine dahingehend planwidrige Regelungslücke für den Bereich der Privatwirtschaft gibt.

Einordnung der Entscheidung in den aktuellen Diskurs  

Das Ergebnis des BAG liegt auf der Linie unterinstanzlicher Entscheidungen zum digitalen Zutrittsrecht (z.B. des ArbG Hamburg vom 31. März 2022 – 4 Ca 248/21) sowie der herrschenden Stimmen in der Literatur. Der Gesetzgeber hat für die Privatwirtschaft trotz zwischenzeitlicher Überlegungen zu einem digitalen Zugangsrecht für Gewerkschaften zum Betrieb, wie im initialen Referentenentwurf eines Bundestariftreuegesetzes aus September 2024 vorgesehen, kein solches einfachgesetzlich verankert. Ein solches Recht müsste auch wiederum im Einklang mit den grundgesetzlichen Vorgaben stehen.

Fazit

Die Entscheidung des BAG macht deutlich, dass Gewerkschaften nur in engen Grenzen Zugang zu unternehmensinternen Netzwerken und Kommunikationsplattformen haben. Arbeitgeber sind (derzeit) nicht verpflichtet, Gewerkschaften bei virtuellen Werbemaßnahmen aktiv durch das Zurverfügungstellen von betrieblichen Mitteln zu unterstützen, sie trifft lediglich eine Duldungspflicht.

Sabine Vorbrodt, LL.M.

Rechtsanwältin

Associate
Sabine Vorbrodt berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "ESG".
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