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Der neue § 46h ArbGG und die Rückkehr der Schriftsatzkündigung

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Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfordert schon immer die Einhaltung der Schriftform (§ 623 BGB). Als Schriftsätze noch im Original an die Arbeitsgerichte versandt wurden, war die Schriftsatzkündigung ein beliebtes Mittel. Falls während eines laufenden Prozesses eine weitere Kündigung ausgesprochen werden sollte, konnte diese Kündigung in einen Schriftsatz eingebaut werden – manches Mal mit der Folge, dass die Gegenseite die Erklärung gar nicht zur Kenntnis nahm. Die Schriftsatzkündigung soll nun wieder möglich sein. Was gilt es zu beachten?

Einführung der neuen Regelung

Mit Wirkung zum 17. Juli 2024 wurde das ArbGG um eine Neuerung erweitert: eine Formfiktion für empfangsbedürftige Willenserklärungen gemäß § 46h ArbGG (BGBl. 2024 I Nr. 234 vom 16. Juli 2024: Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz). Diese Regelung hat nach dem Willen des Gesetzgebers den Zweck, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern und Medienbrüche in der Kommunikation zu vermeiden. Leider ist die Umsetzung nicht mit den Regelungen zur Vollmacht harmonisiert worden, so dass diese Vorschrift im Ergebnis weder sehr praktikabel noch außerordentlich hilfreich ist.

Die Voraussetzungen der Schriftsatzkündigung

Der § 46h ArbGG trägt die Überschrift „Formfiktion“. Diese Fiktion soll bewirken, dass eine Willenserklärung, die im elektronischen Schriftsatz eingereicht wird, als in schriftlicher Form zugegangen gilt. Erfolgt also eine Kündigungserklärung in einem Schriftsatz, der über das besondere Anwaltspostfach (beA) an das Gericht übersandt wird, wirkt die Erklärung so, als sei die Schriftform eingehalten. Hierzu gelten die folgenden Voraussetzungen:

  • Es handelt sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der schriftlichen oder elektronischen Form bedarf.

Dies ist bei Kündigungen des Arbeitsverhältnisses der Fall.

  • Die Willenserklärung ist klar erkennbar in einem vorbereitenden Schriftsatz enthalten.

Unter welchen Voraussetzungen eine Erklärung „klar erkennbar“ ist, regelt die Norm nicht. Nach der Gesetzesbegründung soll der Missbrauch von Schriftsatzkündigungen verhindert werden.

Durch versteckte Kündigungserklärungen in einem Schriftsatz könnte schließlich die Präklusionswirkung der §§ 4, 7 KSchG eintreten, so dass nicht angegriffene Kündigungen wirksam wären.

Im Einzelfall müssten Gerichte auslegen, ob die Erklärung „klar erkennbar“ und eben nicht versteckt war. Es ist daher ratsam, sich an dem Vorschlag des Bundesrates zu orientieren (der so vom Bundestag nicht verabschiedet wurde). Dieser sah vor, dass § 46h ArbGG die Wirksamkeitsvoraussetzung enthalten sollte, dass am Anfang des Schriftsatzes ein Hinweis erfolgen müsse, dass eine Kündigung im Schriftsatz enthalten sei (Stellungnahme, BR-Drs. 126/24, S. 3).

Wird dies beachtet, dürfte die Erklärung „klar erkennbar“ sein. Sofern die Erklärung nicht anschließend verklausuliert im Schriftsatz versteckt wird, wird es ausreichen, wenn am Anfang des Schriftsatzes der Hinweis erfolgt, dass dieser eine Kündigung beinhaltet.

  • Der Schriftsatz wurde als elektronisches Dokument gemäß § 46c ArbGG bei Gericht eingereicht.

Dies ist jedenfalls bei anwaltlichen Schriftsätzen ohnehin verpflichtend.

  • Der Schriftsatz wurde dem Empfänger zugestellt oder mitgeteilt.

Ob der Schriftsatz dem Empfänger zugestellt bzw. mitgeteilt wurde, ist nicht so trivial wie es scheint. Grundsätzlich ist die Zustellung an den Arbeitnehmer und nicht an seinen Bevollmächtigten entscheidend. Hat der verteidigende Anwalt allerdings einen sog. Schleppnetzantrag gestellt (mit dem sich pauschal auch gegen zukünftige Kündigungen gewehrt wird), ist der Anwalt auch zur Entgegennahme aller Kündigungen ermächtigt, die mit dem Antrag verbunden sind. In diesem Fall (der auch die Regel darstellt) reicht die Zustellung an den Anwalt des Klägers.

Schriftsatzkündigungen: Neue Möglichkeiten, aber praktische Hürden

Der Wille des Gesetzgebers scheint eindeutig: Die Schriftsatzkündigung soll (wieder) möglich sein. Die Voraussetzungen sind ebenso klar. So weit, so gut. Allerdings hat der Gesetzgeber nicht geregelt, dass sich die Fiktionswirkung des § 46h ArbGG auch auf die Vollmachtsvorlage nach § 174 BGB erstreckt.  Dieser Umstand macht die Schriftsatzkündigung kaum praktikabel:

  • Vollmacht des Prozessbevollmächtigten: Nach § 174 BGB kann der Empfänger die Erklärung zurückweisen, wenn der Erklärende keine Vollmacht im Original vorgelegt hat. Wenn daher der Rechtsanwalt des Arbeitgebers eine Kündigung im Schriftsatz erklärt, könnte diese vom Empfänger mangels Originalvollmacht zurückgewiesen werden.
  • Kenntnis des Arbeitnehmers: Schriftsatzkündigungen sind daher nur dann sinnvoll, wenn der Arbeitnehmer vorher in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Arbeitgeber seinen Anwalt zum Ausspruch von Kündigungen bevollmächtigt hat. Wenn man dem Arbeitnehmer aber zunächst eine Originalvollmacht nebst Erklärung zustellen muss, kann gleich auch auf diesem Wege die Kündigung erklärt werden. Die Schriftsatzkündigung hätte daher keinen Nutzen.
  • Begrenzter Umfang der Prozessvollmacht: Es hilft in der Regel auch nicht, wenn der Klägerseite eine Prozessvollmacht vorliegt. Denn diese erstreckt sich grundsätzlich nur auf den Streitgegenstand (§ 81 ZPO). Und dieser betrifft die erste Kündigung, aufgrund derer der Prozess geführt wird. Eine (zweite) Kündigung wäre von der Prozessvollmacht nicht erfasst, weshalb weiterhin eine eigenständige Bevollmächtigung zum Ausspruch der Kündigung erforderlich wäre.
  • Zeitlicher Zugang der Kündigungserklärung: Die Grundsätze zur anwaltlichen Bevollmächtigung gelten auch für den Arbeitnehmervertreter. Der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung wird dann in der Regel der Zeitpunkt sein, in dem der Schriftsatz den Mandanten erreicht – was jedenfalls zu einer Verzögerung führen kann…
Fazit

Der Gedanke ist smart, die Umsetzung jedoch nicht optimal. Was nützt die Möglichkeit, eine elektronische Erklärung abgeben zu können, wenn für diese Erklärung eine originale Vollmachtsurkunde versandt werden muss?

Deshalb ist der Gebrauch von Schriftsatzkündigungen mit Vorsicht zu genießen. Die Risiken überwiegen den praktischen Nutzen: Es besteht die Gefahr der Verzögerung durch den Empfänger (und damit eine Verlängerung der Kündigungsfrist) und vor allem der Zurückweisung der Erklärung wegen fehlender Vollmacht.

Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber noch einmal nachjustiert…

Tobias Vößing

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Senior Associate
Tobias Vößing berät deutsche wie internationale Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des Arbeitsrechts. Schwerpunkte bilden Arbeitsgerichtsprozesse und Vertragsgestaltungen sowie Fragen des Arbeitnehmerdatenschutzes. Außerdem unterstützt er seine Mandantschaft bei Kündigungsschutzverfahren, Umstrukturierungen und Outsourcing-Projekten.
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