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Ab wann profitieren Teilzeitbeschäftigte von Überstundenzuschlägen?

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Teilzeitbeschäftigte dürfen beim Entgelt nicht anders behandelt werden als Vollzeitbeschäftigte, es sei denn, es liegt ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung vor. Eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten ist gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG unzulässig. Doch liegt eine unzulässige Diskriminierung auch dann vor, wenn Teilzeitbeschäftigte erst dann Überstundenzuschläge erhalten, wenn die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten überschritten wird. In seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2024 (8 AZR 370/20) gibt das BAG diesbezüglich Antworten.

I. Worum geht es?

In kollektiven Regelungswerken (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen) als auch in (Teilzeit-)Arbeitsverträgen finden sich noch weit verbreitet Regelungen, wonach Teilzeitbeschäftigte Überstundenzuschläge erst dann erhalten, wenn sie die monatliche Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten überschreiten. Beträgt die monatliche Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten etwa 40 Stun­den, erhalten Teilzeitbeschäftigte auch erst ab der 41. Stunde eine erhöhte Vergütung. Teilzeitbeschäftigte müssen, um in den Genuss der erhöhten Vergütung zu kommen, deshalb oftmals mehr übervertragliche Arbeitsstunden leisten, die nicht oder nur mit einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit erreicht werden können als durch einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer.

II. Streitgegenständlicher Fall

Über eine solche Regelung hatte auch das BAG zu entscheiden. Die Klägerin war bei der Beklagten, einem ambulanten Dialyseanbieter, in Teilzeit beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der zwischen dem Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Gemäß § 10 Ziffer 7 Satz 2 MTV sind Überstunden mit einem Zuschlag von 30% zu vergüten, wenn die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers überschritten wird und die Überstunden nicht durch Freizeitausgleich ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen.

Die Klägerin erhielt trotz geleisteter Überstunden keinen Zuschlag oder eine Zeitgutschrift. Die Klägerin verlangte daraufhin eine den Überstundenzuschlägen entsprechende Zeitgutschrift und die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung des (weiblichen) Geschlechts. Zu Recht, wie das BAG entschied.

III. Bisheriger Verfahrensgang

Das ArbG hatte die Klage noch insgesamt abgewiesen. Das LAG hatte der Klägerin hingegen die verlangte Zeitgutschrift zuerkannt und hinsichtlich der begehrten Entschädigung die Klageabweisung bestätigt. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 hatte das BAG das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hintergrund des Vorabentscheidungsersuchens ist, dass innerhalb der Senate des BAG (aufgrund von unterschiedlichen Äußerungen des EuGH) gegensätzliche Ansichten bezüglich der Methodik zur Prüfung einer Ungleich­behandlung von Teilzeitbeschäftigten bestehen. Während einige Senate einen Vergleich der Ge­samtvergütung vornehmen, bei der geprüft wird, ob Teilzeitbeschäftigte die gleiche Vergütung wie Vollzeitbeschäftigte erhalten, wenn sie die gleiche Stundenanzahl erbringen, führen andere Senate eine isolierte Betrachtung der einzelnen Entgeltbestandteile durch. Der Achte Senate des BAG tendierte zu Ersterem und sah in der tarifvertraglichen Regelung keine Ungleichbehandlung zulasten Teilzeitbeschäftigter. Dem folgte der EuGH indes nicht (siehe Urteil vom 29. Juli 2024 – Rs. C-184/22, C-185/22) und entschied, dass die tarifvertragliche Regelung eine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten darstellt, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Vor diesem Hintergrund kam die jüngste Entscheidung des BAG keineswegs überraschend.

IV. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes

Wie aus der Pressemitteilung zu entnehmen ist, konnte das BAG (wie auch der EuGH) im Streitfall keine sachlichen Gründe für eine Ungleichbehandlung feststellen. Genaueres dazu ist noch nicht bekannt, da die Entscheidungsgründe des BAG noch nicht veröffentlicht sind. Es ist aber naheliegend, dass das BAG im Wesentlichen dem EuGH in seinen Erwägungen gefolgt ist. Nach Ansicht des EuGH stellen folgende Ziele keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung dar:

  • Schaffung einer Belastungsobergrenze, die möglichst nicht überschritten wird und den Arbeitgeber vor einem Überschreiten durch Verteuerung der geleisteten Arbeit abhalten soll;
  • Vermeidung einer schlechteren Behandlung von Vollzeitbeschäftigten dadurch, dass Teilzeitbeschäftigte viel früher Überstundenzuschläge und daher früher einen höheren Stundenlohn erhalten.

Der EuGH verwirft daher das verbreitete Argument, die Gewährung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte bereits beim Überschreiten ihrer arbeitsvertraglich festgelegten Arbeitszeit führe zu einer Schlechterstellung von Vollzeitbeschäftigten. Sowohl die europäische als auch die deutsche Rechtsprechung legen bei der Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung einen strengen Maßstab an. So hatte der EuGH auch in einer weiteren Entscheidung vom 19. Oktober 2023 ( C-660/20), in der es um die Zahlung einer Mehrflugdienststundenvergütung bei Flugzeugführern ging, das Ziel, mit der Mehrvergütung eine besondere/zusätzliche Arbeitsbelastung im Flugdienst mit Auswirkungen auf die Gesundheit der Flugzeugführer auszugleichen, nicht als sachlichen Grund ausreichen lassen. Trotz der hohen Anforderungen bleibt es dennoch weiterhin möglich, dass sich eine unterschiedliche Behandlung von Überstundenzuschlägen bei Teilzeit- und Vollzeitkräften im Einzelfall mit sinnvollen sachlichen Erwägungen rechtfertigen lässt.

V. Entschädigung aufgrund Diskriminierung wegen des (weiblichen) Geschlechts

Zudem steht der Klägerin nach Auffassung des BAG eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 250€ zu, da sie durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung eine mittelbare Benachteiligung wegen des (weiblichen) Geschlechts erfahren hat. In der Gruppe der beim Beklagten in Teilzeit Beschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des MTV unterfallen, sind zu mehr als 90 vH Frauen vertreten.

VI. Ggf. Anspruch auf Ableisten von Überstunden?

Als Reaktion auf die Entscheidungen des EuGH und des BAG ist es aus Arbeitgebersicht natürlich naheliegend, gegenüber Teilzeitbeschäftigten zukünftig keine Überstunden mehr anzuordnen. Dieses Vorgehen ist aus arbeitsrechtlicher Sicht aber nicht ohne Risiko. So sah das BAG in einem Urteil vom 7. November 2002 (2 AZR 742/00) betreffend einen Fall, in dem ein einzelner Arbeitnehmer von Überstunden ausgenommen wurde, weil er sich (als Einziger) geweigert hatte, auf tarifliche Mehrarbeitszuschläge zu verzichten, einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Arbeitgeber wurde daraufhin verurteilt, dem Arbeitnehmer ebenso viele Arbeitsstunden wie seinen übrigen Arbeitskollegen zuzuweisen. Ein solches Vorgehen wäre daher nicht gänzlich risikolos.

VII. Teilzeitanträge als „Sprungbrett“ zu einer höheren Vergütung?

Durchaus denkbar ist auch ein Szenario, dass ein Vollzeitbeschäftigter einen Teilzeitantrag stellt, de facto aber weiterhin in Vollzeit arbeiten möchte und für die Überstunden nun Zuschläge verlangt. Dies hätte zur Folge, dass der Arbeitnehmer trotz unveränderter Arbeitszeit aufgrund der Zuschläge eine höhere Vergütung erzielen würde als zuvor in Vollzeit. Möglicherweise ergeben sich aus den Entscheidungsgründen des BAG (die aktuell noch nicht vorliegen) nähere Erkenntnisse, wie mit derartigen Fällen umzugehen ist.

VIII. Ausblick

Die Entscheidung des BAG stärkt die Rechte von Teilzeitbeschäftigten und stellt Unternehmen gleichzeitig vor die Herausforderung, Vergütungsstrukturen diskriminierungsfrei zu gestalten. Schließlich ist auch der Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB), wiewohl in der Praxis in solchen Fällen kaum angewandt, nicht gänzlich fernliegend. Unternehmen werden ihre Überstundenzuschlagsregelungen genauestens überprüfen müssen, da die aktuelle Handhabung der Gewährung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der neueren Rechtsprechung des EuGH und BAG im Einklang steht. Teilzeitbeschäftigten stehen Überstundenzuschläge bereits ab der ersten Überstunde zu, und zwar auch für die Vergangenheit. Unternehmen sollten daher auch etwaige Verjährungsfristen und arbeitsvertragliche Ausschlussfristen (soweit wirksam vereinbart) im Blick behalten.

Dr. Marius Brockfeld

Rechtsanwalt

Associate
Marius Brockfeld berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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