Der EuGH und das BAG haben in ihrer jüngsten Rechtsprechung den Verstoß verschiedener tarifvertraglicher Regelungen gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten offengelegt. Auch können derartige tarifvertragliche Regelungen Teilzeitbeschäftigte mittelbar wegen des Geschlechts diskriminieren. Unternehmen können diskriminierende tarifvertragliche Regelungen teuer zu stehen kommen. Im heutigen Blog geben wir einen kurzen Überblick über die insoweit ergangene jüngere Rechtsprechung und ihre Auswirkungen.
Entscheidungen des EuGH und des BAG
Bereits mit Entscheidung vom 19. Oktober 2023 – C-660/20 (MK / Lufthansa CityLine GmbH) hatte der EuGH entschieden, dass eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigen im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten vorliege, wenn eine tarifvertragliche Regelung, Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nur für Stunden vorsieht, die über die reguläre Arbeitszeit von vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinausgehen. Denn in einer solchen Situation komme es für die teilzeitbeschäftigten Flugzeugführer zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Eine derart unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten müsse durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden.
Mit Entscheidung vom 29. Juli 2024 – C-184/22 u. 185/22 (KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V.) kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine tarifvertragliche Regelung, die Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nur für Stunden vorsieht, die über die reguläre Arbeitszeit von vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinausgehen, eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten darstellt. Sofern von einer solchen Regelung mehr Frauen als Männer betroffen sind, soll auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegen, wenn kein rechtfertigender sachlicher Grund gegeben ist.
Das BAG setzte die Rechtsprechung des EuGH mit Entscheidung vom 9. Juli 2024 (9 AZR 296/20) in einem Fall um, in dem Teilzeitbeschäftigte anders als Vollzeitbeschäftige nach einer tarifvertraglichen Regelung keinen Anspruch auf Altersfreizeit von zwei Stunden je Woche ab Erreichen des 58. Lebensjahrs hatten. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass hierin eine ungerechtfertigte Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten zu sehen sei. Einen rechtfertigenden sachlichen Grund konnte das Gericht nicht erkennen. Auch die Tarifautonomie stehe einer Überprüfung am Maßstab des Diskriminierungsverbots nicht entgegen. Mit der Regelung haben die Tarifvertragsparteien aus Sicht des Gerichts ihre Rechtssetzungsbefugnis – auch unter Berücksichtigung ihres Beurteilungs- und Ermessensspielraums – überschritten. Tarifregelungen, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen, sei die Durchsetzung zu verweigern.
Mit Urteil vom 5. Dezember 2024 (8 AZR 370/20 ebenso BAG, Urteil vom 5.12.2024 – 8 AZR 372/20) entschied das BAG auf der Grundlage der Ausführungen des EuGH im bereits zuvor geschilderten Vorabentscheidungsersuchen die Fälle. Es kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die tarifvertragliche Regelung wegen der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten insoweit unwirksam sei, als sie bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsehe. Einen rechtfertigenden Grund für diese nachteilige Behandlung konnte das Gericht nicht erkennen.
Auswirkungen der Entscheidungen des EuGH und des BAG
Aus den Urteilen lassen sich auch die Konsequenzen diskriminierender tarifvertraglicher Regelungen ablesen:
Anpassung nach oben
Die diskriminierenden tarifvertraglichen Regelungen sind nichtig. Die Diskriminierungen können allein durch „Anpassung nach oben“ beseitigt werden. Daher haben die Kläger bzw. Klägerinnen in den genannten Verfahren einen Anspruch auf Zahlung der vorenthaltenen vergüteten Altersfreizeit bzw. auf Gewährung der Mehrarbeitszuschläge in Geld oder als Freizeitausgleich.
Entschädigung
Darüber hinaus erkannte das BAG der Klägerin in den am 5. Dezember 2024 entschiedenen Fällen auch eine Entschädigung in Höhe von EUR 250 wegen einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts zu. Dieser Betrag sei ausreichend als Schadensausgleich und entfalte eine abschreckende Wirkung. Mit Blick auf den Einzelfall handelt es sich hier um einen geringen Betrag. Insofern darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich derartige Entschädigungsforderungen in Belegschaften mit zahlreichen Teilzeitbeschäftigten wie bspw. im Gesundheitssektor auf erhebliche Beträge aufsummieren können.
Fazit
Diskriminierende Regelungen in Tarifverträgen können die tarifvertraglich gebundenen Unternehmen teuer zu stehen kommen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Tarifnormen in der Regel Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind und als „Gesamtpaket“ verhandelt wurden. Unternehmen sollten daher die für ihre Mitarbeitenden geltenden Tarifverträge auf unwirksame Regelungen überprüfen und ggf. die Anwendung korrigieren. Bei der Verhandlung neuer Tarifverträge sollten die Tarifvertragsparteien besonders darauf achten, die strengeren Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH und des BAG umzusetzen.