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Organisationsänderungen: Doppelte Beteiligung des Betriebsrats?

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Folgende Fälle sind Klassiker der Umstrukturierung: Der eine Geschäftsbereich des Unternehmens soll verkleinert, der andere ausgebaut werden. Die zu besetzenden Stellen im auszubauenden Bereich sollen vorrangig den Mitarbeitenden des zu verkleinernden Geschäftsbereichs angeboten werden. Auf diese Weise sollen betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden. Oder auch: Die Unternehmensorganisation soll funktionaler aufgestellt, Synergien sollen geschaffen werden. Dazu werden Abteilungen oder Teams zusammengefasst oder anderen Bereichen zugeordnet.

In beiden Fällen stellt sich zunächst die – meist im Fokus stehende – Frage, ob mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich und gegebenenfalls auch ein Sozialplan zu verhandeln ist, weil die Schwelle zur Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG überschritten ist. Weniger Beachtung findet hingegen oft die Frage, ob und in welchem Umfang der Betriebsrat im Zusammenhang mit der Umstrukturierung über personelle Einzelmaßnahmen, v.a. Versetzungen und Einstellungen, zu unterrichten ist.

Konsequenzen mangelnder Betriebsratsunterrichtung über Personalmaßnahmen

Dabei ist diese Frage häufig ebenso praxisrelevant und kann bei mangelnder Beachtung gravierende negative Konsequenzen für das Unternehmen haben. Denn wird der Betriebsrat bei mitbestimmungspflichtigen Einstellungen oder Versetzungen nicht ordnungsgemäß beteiligt, kann er die geplante Personalmaßnahme vor Gericht erfolgreich verhindern, bis dies nachgeholt ist. Aber auch dann, wenn der Betriebsrat beteiligt wird, kann er seine Zustimmung unter Hinweis auf bestimmte Gründe verweigern. Das Unternehmen aber kann die Personalmaßnahme nicht ohne vorherige erfolgreiche Anrufung des Gerichts wirksam umsetzen. Setzt der Arbeitgeber gleichwohl einseitig um, kann ihn der Betriebsrat wiederum gerichtlich daran hindern. In Einzelfällen mögen diese Konsequenzen hinnehmbar sein. Handelt es sich jedoch um eine Vielzahl von Fällen, kann der Betriebsrat dadurch im schlimmsten Fall die Umsetzung der gesamten Umstrukturierung zunächst verhindern und den Arbeitgeber – mit Blick auf die Vielzahl der zu führendenden Gerichtsverfahren – an seine Kapazitätsgrenzen bringen.

Versetzung oder Einstellung?

Die geplante Maßnahme kann sich im Einzelfall um eine Versetzung oder eine Einstellung handeln. Grundsätzlich liegt eine Einstellung eines bestehenden Mitarbeiters bei tatsächlicher Eingliederung in einen anderen Betrieb vor. Eine Einstellung kann aber auch vorliegen, ohne dass die Grenzen eines Betriebs überschritten werden – etwa bei Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um mindestens zehn Stunden oder bei Entfristung eines befristeten Arbeitsverhältnisses. Eine Versetzung liegt v. a. dann vor, wenn einem Mitarbeiter ein anderer Arbeitsbereich für mehr als einen Monat zugewiesen wird. Zu berücksichtigen ist dabei, ob und inwieweit sich Arbeitsort, Arbeitsaufgaben und organisatorisches Umfeld für den Mitarbeiter ändern. Besondere Schwierigkeiten bereiten hier die Fälle, in denen die Änderung des organisatorischen Umfelds die einzige Änderung darstellt, wie etwa bei der Änderung von Berichtslinien im zweiten Beispielszenario. Hier muss eine bestimmte Relevanzschwelle überschritten sein, damit eine organisatorische Änderung eine Versetzung darstellt und mitbestimmungspflichtig ist. Einstellung und Versetzung können auch gleichzeitig vorliegen. Dann ist der Betriebsrat zu beiden anzuhören.

Anforderungen an Unterrichtungen

Die Art der Personalmaßnahme entscheidet darüber, welche Anforderungen an die – oft aufwendige – Unterrichtung zu stellen sind. Dem Betriebsrat muss es auf Basis der Unterrichtung möglich sein, zu prüfen, ob Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegen. Bei Versetzungen beispielsweise muss insbesondere die Veränderung zwischen altem und neuem Arbeitsbereich im Einzelnen dargelegt und nicht etwa lediglich die neue Position schlagwortartig beschrieben werden.

Wechselspiel zwischen Betriebsänderung und personeller Einzelmaßnahme?

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Wechselspiel zwischen Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG und personeller Einzelmaßnahme i. S. d. § 99 BetrVG umso dringender. Insbesondere: Muss der Betriebsrat noch zu Versetzungen oder Einstellungen unterrichtet werden, wenn über die ihnen zugrunde liegende Umstrukturierung bereits ein Interessenausgleich abgeschlossen worden ist?

Nach einer – bisher nur wenig beachteten – Entscheidung des LAG Düsseldorf aus dem Jahr 2017 (Beschluss vom 27. Januar 2017 – Az. 6 TaBV 60/16) ist dies nicht der Fall. Jedenfalls dann nicht, wenn die personellen Einzelmaßnahmen automatische Folge der zugrunde liegenden Betriebsänderung sind. Der Arbeitgeber habe dann keine Entscheidungsfreiheit, von der er Gebrauch machen könne. In derartigen Fällen beruhe die Personalmaßnahme nicht auf einer irgendwie gearteten Initiative des Arbeitgebers und stelle keine auf die einzelne Person bezogene Entscheidung dar. Das LAG meint: „Nur wenn der Arbeitgeber eine Alternative hat, macht eine Mitbestimmung Sinn.“ Mit Blick auf die Systematik der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sei dieses Ergebnis auch folgerichtig, betont das LAG: Änderungen der Betriebsstruktur sollten – sofern die Schwelle zur Betriebsänderung überschritten werde – nach der Gesetzessystematik allein von den Beteiligungsrechten der §§ 111 ff. BetrVG und nicht auch von § 99 BetrVG erfasst werden. In diese Richtung gehen auch Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg aus den Jahren 2020 (Beschluss 2. September 2020 – 15 TaBVGa 883/20, siehe dazu den Blogbeitrag vom 20. Mai 2021) und 2021 (Beschluss vom 11. März 2021 – 10 TaBV 811/20) sowie eine BAG-Entscheidung aus dem Jahr 2006 (BAG, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 1 ABR 35/05).

In welchen Konstellationen dieses Prinzip im Einzelfall wirklich trägt, dürfte allerdings unterschiedlich beurteilt werden. Maßgebend ist jedenfalls, dass erstens die Veränderungen auf der Ebene des gesamten Betriebs oder eines Betriebsteils stattfinden und zweitens, dass sich die Personalmaßnahmen als automatische Folge des Interessenausgleichs darstellen. Trifft der Arbeitgeber zur Umsetzung der Betriebsänderung Auswahlentscheidungen zwischen den betroffenen Mitarbeitenden, wie im ersten Beispielszenario, reicht ein Interessenausgleich daher nicht aus.

Fazit

Unabhängig davon, wie man sich in dieser Fragestellung rechtlich positioniert: Um die Akzeptanz des Betriebsrats für die mit einer Umstrukturierung einhergehenden personellen Einzelmaßnahmen zu erlangen, sollte der Betriebsrat frühzeitig eingebunden werden. Ob dies im Rahmen von Verhandlungen über einen Interessenausgleich erfolgt, hängt vom konkreten Einzelfall ab.

Sonja Günther

Rechtsanwältin

Senior Associate
Sonja Günther berät nationale wie auch internationale Unternehmen in sämtlichen Belangen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Zu Ihren Tätigkeitsschwerpunkten zählt neben den Klassikern der Vertragsgestaltung, arbeitsrechtlichen Compliance und Unternehmensumstrukturierung insbesondere auch die Beratung zu Fragen der betrieblichen Mitbestimmung. Darüber hinaus ist sie erfahren in der Vertretung von Unternehmen in arbeitsgerichtlichen Verfahren im Individual- und Kollektivarbeitsrecht und verfügt über besondere Expertise im Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht.
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