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Entgeltfortzahlung: Praxisrelevante Fälle zur Monokausalität

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Nach den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes hat der Arbeitgeber grundsätzlich Entgeltfortzahlung zu leisten, wenn der Arbeitnehmer unverschuldet arbeitsunfähig erkrankt. Dies gilt nach dem Grundsatz der Monokausalität jedoch nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit alleiniger Grund für den Arbeitsausfall ist. Tritt mindestens eine weitere Ursache für die Arbeitsverhinderung dazu, entfällt grundsätzlich auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Der Beitrag gibt einen Überblick über aktuelle Urteile zur Monokausalität und sensibilisiert für praxisrelevante Fallgestaltungen.

Grundsatz der Monokausalität

Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung setzt zwingend voraus, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache der Arbeitsverhinderung ist. Es gilt der sog. Grundsatz der Monokausalität. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht grundsätzlich nur dann, wenn der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Vergütungsanspruch gehabt hätte. Umgekehrt besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer im Falle der Nichterkrankung aus anderen Gründen nicht gearbeitet und kein Entgelt erhalten hätte. Durch das Kausalitätserfordernis zwischen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsausfall soll verhindert werden, dass der erkrankte Arbeitnehmer besser als der gesunde Arbeitnehmer steht.

Aktuelle Entscheidungen

So einfach der Grundsatz klingt, so schwierig kann die Bewertung der relevanten Fallgestaltungen im Einzelfall sein. Insbesondere die Covid-19-Pandemie brachte Sachverhaltskonstellationen hervor, die eine genauere Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der Monokausalität erforderten und zur Konturierung der Kausalitätsrechtsprechung beitrugen.

  • Zusammentreffen von Krankheit und behördlichen Anordnungen

So entschied das BAG mit Urteil vom 24. März 2024 – 5 AZR 234 /23 (siehe hierzu auch Blogbeitrag vom 22. April 2024), dass das Zusammentreffen einer behördlich verhängten Quarantäne aufgrund einer bestehenden – wenn auch symptomlosen – Infektion mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht die Monokausalität der Krankheit unterbricht. Die Quarantäneanordnung ist in diesem Fall kein weiterer, paralleler Umstand für die Arbeitsverhinderung, sondern unmittelbare Folge der Erkrankung. Der Arbeitgeber schuldet daher grundsätzlich Entgeltfortzahlung für den krankheitsbedingten Ausfall während der Quarantäne.

Anders zu beurteilen ist die Sachlage, wenn ein behördliches Tätigkeitsverbot nicht wegen der Erkrankung, sondern der Nichtvorlage eines erforderlichen Impfnachweises ausgesprochen wird. Hier stellte das BAG mit Urteil vom 19. Juni 2024 – 5 AZR 241/23 klar, dass ein solches Tätigkeitsverbot mit der Krankheit gerade nicht in Zusammenhang steht. Vielmehr begründet das Tätigkeitsverbot eine weitere Kausalität für den Arbeitsausfall verbunden mit dem Verlust des Vergütungsanspruchs. Mit Zugang der Verfügung über das Tätigkeitsverbot erlischt daher ein zuvor bestehender Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei nachfolgend eintretender Arbeitsunfähigkeit besteht von vornherein kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

  • Arbeitsverweigerung

Auch in dem jüngst ergangenen Urteil vom 21. August 2024 – 5 AZR 169/23 beschäftigte sich das BAG mit den Folgen der Pandemie. Das BAG wertete die Weigerung eines Arbeitnehmers, eine medizinische Maske während seiner Tätigkeit zu tragen bzw. eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, die ihn von der bestehenden Maskenpflicht entbindet, als Unvermögen zur Leistungserbringung i.S.d § 297 BGB. Aus diesem Grund schuldete der Arbeitgeber für den Zeitraum der Weigerung zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung keinen Annahmeverzugslohn. Für Zeiträume der Erkrankung während der Dauer der Nichtbeschäftigung konnte der Arbeitnehmer keine Entgeltfortzahlung beanspruchen, da er aufgrund seiner Weigerung ohnehin nicht im Stande war, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken. Die Erkrankung war daher nicht monokausal für den Arbeitsausfall.

Weitere praxisrelevante Fallgestaltungen

Auf die Kausalitätsfrage im Rahmen von Entgeltfortzahlungsansprüchen kommt es noch in weiteren Fallkonstellationen entscheidend an.

Ruht beispielsweise die Arbeit infolge von Kurzarbeit vollständig im Betrieb, ist nicht die Arbeitsunfähigkeit Ursache für die Arbeitsverhinderung, sondern die Kurzarbeit. Es wird vom Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung geschuldet. Bei Verkürzung der Arbeitszeit gilt dasselbe für die durch Kurzarbeit ausgefallene Zeit. Im Übrigen hat der Arbeitgeber jedoch Entgeltfortzahlung zu leisten.

Fehlt für eine Beschäftigung die erforderliche Aufenthaltserlaubnis oder fehlen sonstige gesetzliche oder arbeitsschutzrechtliche Voraussetzungen für die auszuübende Tätigkeit, ist bei Arbeitsunfähigkeit ebenfalls kein Entgeltfortzahlungsanspruch gegeben. Der Arbeitsausfall beruht nicht auf der Krankheit, sondern den bestehenden Beschäftigungshindernissen.

Bei Urlaub gilt es, zu differenzieren:

  • Die Rechtsfolgen einer während eines Erholungsurlaubseintretenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sind in § 9 BUrlG speziell geregelt. Danach werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Der Arbeitnehmer erhält Entgeltfortzahlung und kann den Urlaub zu einem späteren Zeitpunkt nachholen.
  • Werden hingegen aufgrund einer Betriebsvereinbarung Betriebsferienin der Form durchgeführt, dass die ausfallende Arbeitszeit auf den Arbeitszeitkonten als Zeitausgleich gebucht wird, und ist ein Arbeitnehmer während dieser Freistellungsphase arbeitsunfähig krank, erhält er keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Grund des Arbeitsausfalls ist die zwischen den Betriebspartnern vereinbarte Betriebsruhe und nicht die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung.
  • Kann im Fall eines unbezahlten Sonderurlaubs nicht festgestellt werden, dass der Sonderurlaub zu Erholungszwecken zu dienen bestimmt war, besteht ebenfalls kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn der Arbeitnehmer während des unbezahlten Sonderurlaubs erkrankt.
Praxisempfehlung

Arbeitgeber sind gut beraten, Entgeltansprüche im Krankheitsfall stets sorgfältig zu prüfen. Liegen Umstände vor, die dazu führen, dass die Arbeitsleistung auch aus einem anderen Grund nicht erbracht worden wäre, fehlt es grundsätzlich an der erforderlichen Monokausalität der Arbeitsunfähigkeit und ist Entgeltfortzahlung nicht geschuldet.

Vera Ellger


Rechtsanwältin
Senior Associate
Vera Ellger berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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