Am Ende vieler rechtlicher Auseinandersetzungen steht ein Vergleich zwischen den Parteien. Besonders komplex wird es, wenn mehrere Personen als Gesamtschuldner für Schäden haften, die durch pflichtwidriges Handeln entstanden sind. In solchen Fällen muss die Gesellschaft sorgfältig abwägen, welche Auswirkungen ein Vergleich mit einem einzelnen Gesamtschuldner auf die Gesamtschuld hat – insbesondere, wenn auch Organmitglieder betroffen sind.
Die Grundzüge der Gesamtschuld
Wenn mehrere Schuldner als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) haften, kann der Gläubiger die gesamte Leistung von einem der Gesamtschuldner fordern – sog. Gläubigerwillkür. Schließt die Gesellschaft mit einem der Gesamtschuldner nach Entstehung der Gesamtschuld einen Vergleich über den Umfang der Haftung, indem sie auf einen Teil der Forderung verzichtet oder den Umfang beschränkt, stellt sich die Frage, wie sich das auf die anderen Gesamtschuldner auswirkt. Denn das Nachgeben des Gläubigers beim Abschluss des Vergleichs könnte als Erlass zu Gunsten der übrigen Gesamtschuldner interpretiert werden.
Reichweite einer vertraglichen Freistellungsvereinbarung
Die Reichweite einer vertraglichen Freistellungsvereinbarung hängt vom Willen der Parteien ab, § 423 BGB. Es ist zu unterscheiden, ob ein Erlass mit Einzelwirkung, mit Gesamtwirkung oder mit beschränkter Gesamtwirkung vorliegt bzw. vorliegen soll. Ist diese Frage nicht eindeutig zwischen den Parteien geregelt, ist der Parteiwille durch Auslegung zu erforschen, bei der der Begünstigte die Beweislast trägt. Fest steht, dass der Vergleich des Gläubigers mit einem Gesamtschuldner nicht zu Lasten der übrigen Gesamtschuldner gehen darf, etwa wenn der Vergleich dazu führen würde, dass sich die Leistungspflicht der übrigen Gesamtschuldner erhöht.
Bei einem Erlass mit Gesamtwirkung wird die Gesamtschuld durch die Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem einzelnen Gesamtschuldner aufgehoben. Es handelt sich um einen Erlassvertrag zugunsten Dritter. Die anderen Gesamtschuldner haften dann nicht mehr gegenüber dem Gläubiger. Im Zweifel kommt einem Vergleich mit einem Gesamtschuldner grundsätzlich keine Gesamtwirkung zu. Eine solche kann aber zum Beispiel angenommen werden, wenn sich aus dem Vergleich ausdrücklich oder den Umständen nach ergibt, dass der Gläubiger den Willen hatte, auch gegenüber dem nicht am Vergleich beteiligten Gesamtschuldner auf weitergehende Ansprüche zu verzichten und diese deshalb nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Das kann beispielsweise angenommen werden, wenn sich der Gläubiger mit dem intern allein verantwortlichen Gesamtschuldner über einen Erlass einigt – natürlich muss der Gläubiger aber wissen, dass der einzelne Schuldner intern allein verantwortlich gemacht wird.
Bei der Einzelwirkung wirkt der Erlass nur im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem einzelnen Gesamtschuldner. Im Ergebnis sagt der Gläubiger dem einzelnen Gesamtschuldner hierbei zu, diesen nicht unmittelbar in Anspruch zu nehmen. Allerdings kann dieser von den übrigen Gesamtschuldnern im Innenverhältnis nach § 426 BGB in Anspruch genommen werden. Der Vorteil aus Sicht des einzelnen Schuldners liegt darin, zumindest nicht auf die gesamte Forderung in Anspruch genommen zu werden und nicht das Insolvenzrisiko der übrigen Gesamtschuldner zu tragen.
Im Falle der beschränkten Gesamtwirkung kann auch zu Gunsten anderer Gesamtschuldner vereinbart werden, dass deren Inanspruchnahme ausgeschlossen ist, soweit sie sich im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs bei dem die Vereinbarung schließenden Gesamtschuldner schadlos halten könnten. Diese Form des Erlasses soll gerade bewirken, dass der Vergleich mit Einzelwirkung nicht wertlos wird.
Besonderheit bei „gemischter“ Gesamtschuld mit Organmitgliedern
Besteht die Gesamtschuld ausschließlich aus Vorständen, ist § 93 Abs. 4 S. 3 AktG zu berücksichtigen. Danach kann die Gesellschaft frühestens drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs auf diesen verzichten bzw. sich hierzu vergleichen und auch nur dann, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit (deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen) widerspricht. Ein dennoch geschlossener Vergleich bzw. Verzicht wäre nichtig.
Eine besondere Situation liegt vor, wenn neben den Vorständen – auf die § 93 Abs. 4 S. 3 AktG kraft Gesetzes Anwendung findet – einzelne Arbeitnehmer Teil der Gesamtschuld sind. In dieser Konstellation könnte ein Erlass mit Gesamtwirkung oder auch mit beschränkter Gesamtwirkung zu Gunsten der haftenden Organmitglieder wirken, sodass die Gesellschaft im Ergebnis auf einen (Teil-) Anspruch verzichtet. Dies ist aber nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG möglich. Damit wäre die Gesellschaft in diesen Fällen stets auf einen Vergleich mit Einzelwirkung verwiesen.
Fazit
Neben der komplizierten Frage der Auswirkung von § 93 Abs. 4 S. 3 AktG auf die Gesamtschuld vermeidet man eine streitige Auseinandersetzung über den maßgeblichen Parteiwillen, wenn man in der Freistellungsvereinbarung konkret festhält, welche Wirkung der Vereinbarung zukommen soll. Der sich vergleichende Gesamtschuldner wird stets ein Interesse daran haben, dass sich die Vereinbarung auch auf das Innenverhältnis zu den übrigen Gesamtschuldnern auswirkt. Es gibt aber Situationen, in denen die Gesellschaft dies nicht machen kann.