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Arbeitszeiterfassung – Keine Pflicht ohne Gesetz?

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Die sog. Paukenschlag-Entscheidung des BAG im Jahr 2022 (Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21) zur Arbeitszeit sorgte für großen Aufruhr, insbesondere bei Arbeitgebern. Darin urteilte das BAG, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst werden. Dies folgt nach dem BAG – bei unionsrechtskonformer Auslegung – aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, stellte sich die Frage, wie mit diesem Urteil umzugehen ist und was daraus für den einzelnen Arbeitgeber folgt. Schnell richtete sich der Blick auf den Gesetzgeber für eine nähere gesetzliche Ausgestaltung.

Auch nach etwas mehr als zwei Jahren liegt lediglich ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vor (Vergleiche unseren Blog-Beitrag vom 24. Januar 2024: Änderung des Arbeitszeitgesetzes – Warten auf den Gesetzgeber – Kliemt.blog). Dass es in dieser Legislaturperiode nach dem Aus der Ampel-Koalition noch zu einem „neuen“ Arbeitszeitgesetz kommt, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Unabhängig davon verweisen Behörden bei Prüfungen von Arbeitgebern auf die BAG-Entscheidung aus dem Jahr 2022 und die insofern bestehende Handlungspflicht des Arbeitgebers, auch ohne gesetzliche Grundlage. Stellt die Behörde einen Verstoß fest, können u.a. arbeitnehmerschutzrechtliche Anordnungen getroffen werden, z.B. die Anordnung zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems.

Dass diese Anordnungsbefugnis der Behörden nicht nur von theoretischer Natur ist, zeigt ein aktuelles Urteil des VG Hamburg (Urteil vom 21. August 2024 – 15 K 964/24). In seiner Entscheidung hat das Gericht die Pflichten von Arbeitgebern zur Aufzeichnung der Arbeitszeit (aus öffentlich-rechtlicher Sicht) bestätigt. Aber der Reihe nach.

1. Hintergrund der Entscheidung

Bei einem großen Outdoor-Händler arbeiteten viele Beschäftigte, insbesondere auf Führungsebene, im Rahmen der sogenannten Vertrauensarbeitszeit. Dies bedeutet, dass die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbstständig organisierten und keine formelle Erfassung der geleisteten Stunden erfolgte. Für einen Teil der Belegschaft wurden also weder Anfangs- noch Endzeiten der täglichen Arbeitszeit dokumentiert.

Im September 2023 ging bei der zuständigen Behörde eine anonyme Beschwerde ein. Im Rahmen der Beschwerde wurde behauptet, dass es in der Verwaltung des Unternehmens regelmäßig zu Verstößen gegen Arbeitszeitregelungen, insbesondere der Sonntagsruhe und der Höchstarbeitszeiten, gekommen sei. Daraufhin führte die Behörde eine unangekündigte Betriebsbesichtigung durch und stellte fest, dass viele Mitarbeiter in Vertrauensarbeitszeit tätig waren und keine Aufzeichnungen über ihre Arbeitszeiten vorlagen.

Aufgrund der festgestellten Verstöße erließ die Behörde mehrere Anordnungen, darunter die Verpflichtung des Arbeitgebers, für die Mitarbeiter Arbeitszeitaufzeichnungen nachzureichen und zukünftig ein System zur Erfassung der Arbeitszeiten einzuführen. Der Arbeitgeber legte Widerspruch gegen den behördlichen Bescheid ein und brachte als Hauptargument vor, dass es in Deutschland keine klare gesetzliche Regelung zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung gebe, insbesondere nicht für Mitarbeiter in Vertrauensarbeitszeit. Insofern seien die Art und Weise der Arbeitszeiterfassung und in welcher Form ein System der Zeiterfassung den Anforderungen unionsrechtlich genüge, nicht konkretisiert.

2. Entscheidung: Klare Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Das Verwaltungsgericht Hamburg folgte der Argumentation des Arbeitgebers jedoch nicht und bestätigte die Anordnung der Behörde. Das Gericht stellte klar, dass Arbeitgeber nach deutschem Recht, genauer nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der Arbeitszeiten einzuführen. Diese Pflicht ergebe sich aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie, die darauf abzielt, die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer zu schützen. Das Gericht stellte fest, dass keine zusätzliche Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber erforderlich ist. Die bestehenden Gesetze reichen aus, um diese Verpflichtung durchzusetzen, so das VG Hamburg.

Das Gericht betont in seiner Entscheidung, dass der Schutz der Arbeitnehmer und die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten im Mittelpunkt stehen. Unternehmen müssen sicherstellen, dass die täglichen Arbeitszeiten, einschließlich Überstunden, erfasst werden. Dies gilt auch für Mitarbeiter, die in Vertrauensarbeitszeit tätig sind. Hierdurch sollen Arbeitszeitverstöße wie übermäßige Überstunden oder die Missachtung von Ruhezeiten verhindert werden.

3. Folgen für die Praxis und Handlungsempfehlungen

Das VG Hamburg bestätigt mit seinem Urteil die Auffassung der Behörde, dass eine – auch öffentlich-rechtlich auf der Grundlage von § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG durchsetzbare – Pflicht von Arbeitgebern besteht, ein entsprechendes System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Die Praxis der Vertrauensarbeitszeit, bei der die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbst verwalten und keine Aufzeichnungen geführt werden, ist nach dieser Entscheidung nicht ausreichend. Insofern steht die Entscheidung des VG Hamburg im Einklang mit der BAG-Entscheidung. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht werden sich Behörden bei entsprechenden Anordnungen künftig auf die Entscheidung des VG Hamburg berufen. Es bleibt spannend zu beobachten, ob sich andere (Verwaltungs-)Gerichte dieser Entscheidung des VG Hamburg anschließen werden.

Arbeitgeber sollten daher prüfen, ob es für ihr konkretes Unternehmen sinnvoll ist, schon jetzt ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen oder ob sie damit noch zuwarten können. Wenn sich die Arbeitgeber für eine Aufzeichnung von Arbeitszeiten entscheiden, müssen sie ein System etablieren, das mindestens den Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit erfasst. Dies kann eine erhebliche Anpassung der internen (Arbeits-)Abläufe bedeuten. Es bedarf dabei nicht nur (technischer) Lösungen, sondern auch einer klaren Kommunikation gegenüber den Mitarbeitern. Die Einführung sollte transparent und nachvollziehbar gestaltet werden, um die Akzeptanz in der Belegschaft zu schaffen. Außerdem müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass die erfassten Daten datenschutzkonform behandelt werden. Sofern ein Betriebsrat besteht, sind auch dessen Rechte zu wahren.

Eine elektronische Erfassung ist nicht zwingend, jedoch dürfte diese den sichersten Weg darstellen. Auch die in Vertrauensarbeitszeit tätigen Mitarbeiter unterliegen der Dokumentationspflicht. Die Arbeitszeiterfassung kann auf die Mitarbeiter übertragen werden, allerdings bleibt der Arbeitgeber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich, d.h. er behält eine Anleitungs- und Kontrollpflicht. Dies erfordert, dass der Arbeitgeber die Mitarbeiter über den Umfang und die (technischen) Modalitäten der Aufzeichnung informiert und deren Einhaltung (zumindest stichprobenartig) überprüft. Damit einher geht eine Handlungspflicht des Arbeitgebers im Falle erkennbarer Verstöße gegen die Vorgaben des ArbZG.

Verstöße gegen die (etwaige) allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sind nach aktueller Gesetzeslage weder ordnungsrechtlich noch strafrechtlich sanktioniert. Es drohen daher keine (unmittelbaren) Bußgelder. Dies gilt jedoch nicht für die Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers bei einer werktäglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer von über acht Stunden hinaus. Zu beachten ist ferner, dass ein Bußgeld dann verhängt werden kann, wenn im Einzelfall Maßnahmen zur Erfüllung des Arbeitsschutzes von der Behörde angeordnet worden sind und diesen zuwidergehandelt wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine vollziehbare Anordnung der Arbeitsschutzbehörde (§ 22 Abs. 3 ArbSchG) zur Einführung eines entsprechenden Arbeitszeiterfassungssystems missachtet wird. Daneben sind Verstöße gegen das ArbZG – insbesondere Höchstarbeitszeitgrenzen, Ruhepausen und Ruhezeiten betreffend – bereits heute bußgeld- und ggfs. strafbewehrt (siehe zu Bußgeldern bei Verstoß gegen das ArbZG und Strategien zur Vorbeugung unseren Blog-Beitrag vom 30. April 2024).

Es bleibt zu wünschen, dass der Gesetzgeber die Änderungen des Arbeitszeitgesetzes zeitnah vornimmt und damit Klarheit sowie Rechtssicherheit schafft.

Dr. Felix Müller

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Felix Müller berät im gesamten individuellen und kollektiven Arbeitsrecht. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Beratung bei Restrukturierungen, bei betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten, bei Kündigungsschutzstreitigkeiten, bei Fremdpersonaleinsatz in Unternehmen sowie die Gestaltung von Anstellungsverhältnissen. Darüber hinaus besitzt er besondere Expertise bei grenzüberschreitenden Personaleinsätzen. Felix Müller vertritt unsere Mandanten vor den Arbeitsgerichten in allen Instanzen. Er referiert regelmäßig zu arbeitsrechtlichen Themen.
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