Vor mehr als einem Jahr trat das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) in Kraft. Der Arbeitnehmerschutz wurde dadurch ausgebaut. Nach wie vor kann aber die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder die Offenlegung von Verstößen, die Arbeitnehmer im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit erlangen („Whistleblowing“), eine Kündigung rechtfertigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Arbeitnehmer in der Strafanzeige wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben machen oder die Strafanzeige eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers darstellt.
Verbot von Repressalien
Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 HinSchG sind Repressalien gegen hinweisgebende Personen verboten. Die Vorschrift regelt ein spezielles Maßregelungsverbot. Voraussetzung ist jedoch, dass die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihr gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen. Außerdem müssen die Informationen Verstöße betreffen, die in den Anwendungsbereich des HinSchG fallen, oder die hinweisgebende Person muss zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme gehabt haben, dass dies der Fall sei.
Folgen für Kündigungen bei (unberechtigten) Strafanzeigen gegen Arbeitgeber
Kann sich der Arbeitnehmer auf den Schutz des HinSchG zu Recht berufen, hat er insbesondere ein zum sachlichen Anwendungsbereich (§ 2 HinSchG) zählendes Verhalten einer internen oder externen Meldestelle gemeldet (oder ausnahmsweise nach § 32 HinSchG offengelegt), so würde eine Kündigung des Mitarbeiters gegen das gesetzliche Verbot des § 36 HinSchG verstoßen.
Im Übrigen – also beispielsweise außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes, bei einer nicht berechtigten Offenlegung ohne vorherige interne oder externe Meldung oder einer schuldhaften Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen – greift der Schutz des § 36 HinSchG nicht. In solchen Fällen beurteilt sich die Wirksamkeit einer Kündigung weiterhin nach den allgemeinen Regeln. Insbesondere ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.
Strafanzeige gegen Arbeitgeber als Bumerang
Eine aktuelle Entscheidung des LAG Sachsen (Urteil vom 27.06.2024 – 4 Sa 245/23) verdeutlicht, dass der Schutz des Mitarbeiters, Missverhältnisse im Unternehmen zu melden, dort seine Grenze findet, wo die Informationen nicht mehr der Wahrheit entsprechen und es nur noch um die Schädigung des Arbeitgebers gehen soll.
Der Kläger hatte diverse Strafanzeigen gegen seine Vorgesetzte sowie gegen Beschäftigte und Vertreter der Beklagten, u. a. wegen Nötigung, Vorteilsnahme, Körperverletzung, übler Nachrede, Beihilfe und Verstößen gegen das Bundesdatenschutzgesetz eingereicht. Daneben schrieb er verschiedene Einrichtungen und Personen an, in denen er auf gegen die Beklagte laufende Strafanzeigen hinwies. Die Strafanzeigen hatte der Kläger selbst gestellt – und zwar ohne Grundlage.
Das LAG führt hierzu aus, dass der Arbeitgeber grob unsachliche Angriffe nicht hinnehmen muss. Die Handlungen des Klägers waren unverhältnismäßig, zumal es an jeglicher tatsächlichen und rechtlichen Grundlage für die Strafanzeigen fehlte.
Der Beklagte konnte daher im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ohne Einhaltung einer ordentlichen Kündigungsfrist und ohne vorherige Abmahnung mit sofortiger Wirkung beenden. Aufgrund der Vielzahl und Schwere der Verfehlungen in Form von Strafanzeigen und öffentlich geäußerten ehrverletzenden Äußerungen waren die Pflichtverletzungen so schwerwiegend, dass die Basis für eine weitere Zusammenarbeit unwiederbringlich entfallen war.
Fazit
Der Sachverhalt der vorgenannten Entscheidung ereignete sich zwar vor Inkrafttreten des HinSchG. Der Befund würde sich jedoch auch im Lichte des HinSchG nicht ändern. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG genießt die hinweisgebende Person keinen Schutz, wenn sie zum Zeitpunkt der Meldung keinen hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihr gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprachen. Kritik am Arbeitgeber ist auch unter Geltung des HinSchG nicht schrankenlos möglich. Einschränkungen ergeben sich aus der Rücksichtnahmepflicht. Eine kündigungsrelevante erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann in der Erstattung einer Strafanzeige gegenüber dem Arbeitgeber, Vorgesetzten oder Arbeitskollegen liegen, insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer in der Strafanzeige wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat.