Mit dem Inkrafttreten des „Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes“ am 25. Juli 2024 wurden mehrere Regelungen zur Bemessung der Betriebsratsvergütung im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ergänzt. Eine zentrale Neuerung betrifft die Möglichkeit einer späteren Neubestimmung der Vergleichsgruppe bei Vorliegen eines sachlichen Grundes gemäß § 37 Abs. 4 Satz 3 BetrVG n.F. Wann ein solcher sachlicher Grund vorliegt und wann nicht, stellt Unternehmen seitdem vor neue Herausforderungen.
Hintergrund
Die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ist ein arbeitsrechtlicher Dauerbrenner, obwohl es eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dazu gibt. Veranlasst durch das „Volkswagen-Urteil“ des BGH vom 10. Januar 2023 (siehe dazu unseren Blogbeitrag vom 20. März 2023), sah der Gesetzgeber Handlungsbedarf und ergänzte das BetrVG um mehrere Regelungen, die für mehr Rechtssicherheit bei der Bemessung der Betriebsratsvergütung sorgen sollte (siehe dazu unseren Blogbeitrag vom 1. Juli 2024).
Dabei sind die Grundsätze der rechtskonformen Betriebsratsvergütung schnell erklärt: Betriebsratstätigkeit stellt ein unentgeltliches Ehrenamt dar. Es darf also nicht gesondert vergütet werden (sog. Ehrenamtsprinzip). Das einzelne Betriebsratsmitglied hat lediglich Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht, sofern es erforderlicher Betriebsratstätigkeit nachgeht. Für diese Zeiträume ist es im Sinne der Lohnfortzahlung so zu stellen, als hätte es weitergearbeitet. Die Vergütung eines Betriebsratsmitglieds darf dabei nicht geringer bemessen werden als die der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer.
Zeitpunkt der Vergleichbarkeit
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung vergleichbarer Arbeitnehmer ist der Zeitpunkt der erstmaligen Übernahme des Betriebsratsamtes. Dies gilt sowohl für freigestellte als auch für nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder. Diese Regelung folgt der gefestigten Rechtsprechung des BAG und erteilt den bisweilen zum Teil vertretenen Ansichten, dass die Vergleichsgruppe bei jeder Freistellung oder in jedem Wahlturnus neu bestimmt werden müsse, eine Absage. Fehler in der Vergangenheit, bei denen die Vergleichsgruppe zum falschen Zeitpunkt gebildet wurden, sind zu korrigieren.
Spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe
Eine maßgebliche Neuregelung ist nun § 37 Abs. 4 Satz 3 BetrVG n.F. enthalten, wonach nun erstmals gesetzlich verankert ist, dass eine spätere Neubestimmung des maßgeblichen Zeitpunktes für die Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmer bei Vorliegen eines sachlichen Grundes möglich ist. Das Gesetz definiert den unbestimmten Rechtsbegriff des sachlichen Grundes nicht näher.
Was ist ein sachlicher Grund? Und was nicht?
Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die bereits vor der Reform geltende Rechtslage klargestellt und im Sinne des Ehrenamtsprinzips fortgeschrieben werden. Es sollen ausdrücklich keine neuen oder zusätzlichen Entgeltansprüche geschaffen werden. Der Begriff des sachlichen Grundes ist folglich eng auszulegen. Mögliche Beispiele sind:
- Weiterqualifizierung eines Betriebsratsmitglieds
Vor diesem Hintergrund kann ein sachlicher Grund zur Änderung der Vergleichsgruppe (nach oben) nicht z.B. bereits in jeder Weiterqualifizierung eines Betriebsratsmitglieds durch Schulungen liegen. Dies würde dazu führen, dass über die Hintertür der späteren Neubestimmung der Vergleichsgruppe das Entgelt des Betriebsratsmitglieds regelmäßig „nach oben“ angepasst werden könnte. Dies würde sowohl dem Ehrenamtsprinzip widersprechen, an dem der Gesetzgeber ausdrücklich festgehalten hat, als auch dem Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG, das eine Besserstellung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihrer Amtstätigkeit verbietet.
- Freistellung oder Berufung zum Vorsitzenden
Der Beginn einer neuen Amtsperiode, eine Freistellung oder die Berufung zum Betriebsratsvorsitzenden stellen ebenfalls keinen sachlichen Grund für die Anpassung der Vergleichsgruppe dar.
- Annahme einer höher dotierten Stelle
Ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe kann hingegen vorliegen, wenn ein Betriebsratsmitglied die Anforderungen an eine höher dotierte Stelle erfüllt, z.B. durch den Abschluss eines berufsbegleitenden Studiums, und einen entsprechenden Änderungsvertrag mit dem Arbeitgeber schließt. Zwingende Voraussetzung für einen solchen Änderungsvertrag ist allerdings, dass ein entsprechender freier Arbeitsplatz vorhanden ist und diese Vereinbarung nicht wegen der Betriebsratstätigkeit erfolgt.
- Erwerb von neuen Qualifikationen oder Fähigkeiten
Der bloße Erwerb von amtsunabhängigen neuen Qualifikationen und Fähigkeiten stellt für sich allein (noch) keinen sachlichen Grund für die spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe dar. Denn ohne eine freie Stelle und ohne eine entsprechende einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages ändert sich trotz der neu erlangten Qualifikationen und Tätigkeiten auch die arbeitsvertragliche Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds nicht.
Ließe man dies als sachlichen Grund genügen, so würde dies das Ehrenamtsprinzip aushöhlen und darüber hinaus dem Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG zuwiderlaufen. Denn Betriebsratsmitglieder könnten dann allein durch den Erwerb von (auch amtsunabhängigen) Qualifikationen über das Einfallstor der späteren Neubestimmung der Vergleichsgruppe ihre Vergütung erhöhen, obwohl keine freie Stelle vorhanden ist, die eine entsprechende Gehaltserhöhung rechtfertigen würde. Damit wären sie unzulässigerweise bessergestellt als normale Arbeitnehmer.
- Wegfall von Vergleichspersonen
Ebenfalls kein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe liegt beim Wegfall aller Vergleichspersonen vor. Ein Wegfall aller Vergleichspersonen ist etwa durch Ausscheiden aus dem Unternehmen denkbar oder weil alle Vergleichspersonen betriebsunübliche Entwicklungen durchlaufen haben. Auch hier scheidet ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe aus, weil sich die Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds nicht ändert bzw. nicht geändert hätte, wenn es nicht freigestellt gewesen wäre. In diesem Fall sind zwar neue Vergleichspersonen zu suchen, es ist für deren Ermittlung aber nach wie vor auf den Zeitpunkt der Amtsübernahme abzustellen. Für den Fall, dass es im Zeitpunkt der Amtsübernahme keine vergleichbaren Arbeitnehmer gab, soll nach der Gesetzesbegründung zu § 37 Abs. 4 Satz 3 BetrVG n.F. auf die „nächstvergleichbare Arbeitnehmergruppe“ abzustellen und das Arbeitsentgelt nach § 287 ZPO zu schätzen sein.
Fazit
Die Neuregelung des § 37 Abs. 4 Satz 3 BetrVG n.F. lässt eine spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe nur in seltenen Ausnahmefällen zu. Die neue gesetzliche Regelung lässt weder eine Anpassung der Vergleichsgruppe „um jeden Preis“ noch eine Umgehung des Ehrenamtsprinzips durch eine weite Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes des „sachlichen Grundes“ zu. Einen großen Gewinn an Rechtssicherheit bringt die Neuregelung damit nicht. Es wird der Rechtsprechung obliegen, die neuen unbestimmten Rechtsbegriffe im Sinne des Ehrenamtsprinzips weiter zu konkretisieren. Bis dahin tun Arbeitgeber gut daran, eine etwaige Neubestimmung der Vergleichsgruppe im jeweiligen Einzelfall stets genau zu prüfen. Die „Betriebsratsvergütung“ bleibt eine Herausforderung für Unternehmen und Entscheidungsträger.