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Mitbestimmter Aufsichtsrat: Implikationen für die Unternehmenspraxis

Unternehmensmitbestimmung in Deutschland meint die Teilhabe von Arbeitnehmern an Entscheidungen des Unternehmens. Konkret wird die Teilhabe durch Repräsentation der Arbeitnehmer im Aufsichtsorgan der Gesellschaft, die Rechtsträgerin des Unternehmens ist, verwirklicht. Die wichtigste Rolle spielen dabei die Beteiligung nach Mitbestimmungesetz (MitbestG) sowie Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften und GmbHs. Der Beitrag gibt einen Überblick über wesentliche mitbestimmungsrechtliche Spezifika im Anwendungsbereich vorgenannter gesetzlicher Regelungen und deren Implikationen für die Unternehmenspraxis.

Besetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats

Im Recht der Unternehmensmitbestimmung entscheidet die Zahl der zu berücksichtigenden Arbeitnehmer über das anwendbare Mitbestimmungsstatut und damit über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats:

Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern unterliegen dem DrittelbG. Der Aufsichtsrat ist danach zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern und zu zwei Dritteln mit Anteilseignern zu besetzen. Für die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats ist § 95 AktG maßgeblich. Es gilt die gesetzliche Mindestgröße von drei Mitgliedern. Per Satzung kann eine abweichende Größe festgesetzt werden, wobei eine Teilbarkeit durch drei zu gewährleisten ist. Weiter sind folgende Höchstgrenzen einzuhalten:

  • 9 Mitglieder bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von bis zu EUR 1,5 Mio.
  • 15 Mitglieder bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als EUR 1,5 Mio.
  • 21 Mitglieder bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als EUR 10 Mio.

Ist der Aufsichtsrat mit mehr als zwei Arbeitnehmervertretern zu besetzen, müssen nur zwei unternehmensangehörig sein. Somit können bei großen Aufsichtsräten auch externe Personen (z.B. Gewerkschaftsvertreter) als Aufsichtsratsmitglieder bestellt werden. In der Praxis sind jedoch selten Aufsichtsräte mit mehr als 6 Mitgliedern zu finden, sodass im Rahmen der Mitbestimmung nach dem DrittelbG grundsätzlich keine Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsorgan vertreten sind.

Das MitbestG greift bei einem Schwellenwert von mehr als 2.000 Arbeitnehmern. Es sieht eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats vor, d.h. die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates besteht aus Vertretern der Arbeitnehmer, die andere Hälfte aus Anteilseignern. Anders als das DrittelbG schreibt das MitbestG in § 7 MitbestG die genaue Größe des Aufsichtsrats wie folgt vor:

  • 12 Mitglieder bei mehr als 10.000 zu berücksichtigenden Arbeitnehmern
  • 16 Mitglieder bei mehr als 10.000 aber nicht mehr als 20.000 zu berücksichtigenden Arbeitnehmern
  • 20 Mitglieder bei mehr als 20.000 zu berücksichtigenden Arbeitnehmern.

Weiter gilt die Besonderheit, dass sich unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zwingend Gewerkschaftsvertreter befinden müssen (je nach Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (6/8/10) im Verhältnis 2/4, 6/4 oder 3/7). Damit ist im Rahmen der paritätischen Mitbestimmung ein Fremdeinfluss unausweichlich, der sich insbesondere beim Entscheidungsfindungsprozess erschwerend auswirken kann.

Aufsichtsratsvorsitz

Im Anwendungsbereich der paritätischen Mitbestimmung kommt dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine herausragende Stellung durch ein besonderes Stimmengewicht zu: In Pattsituationen verfügt er über ein doppeltes Stimmrecht. Dies führt faktisch zu einer – verfassungsrechtlich durchaus gebotenen – Überparität der Anteilseigner. Denn aufgrund des § 27 MitbestG speziell geregelten Wahlverfahrens hat es die Anteilseigner in der Hand, den Aufsichtsratsvorsitz durchzusetzen, falls im 1. Wahlgang die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder nicht erreicht wird.

Bestellung eines Arbeitsdirektors

Weitere Besonderheit im Anwendungsbereich des MitbestG ist, dass ein sog. Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Mitglied des Vertretungsorgans zu bestellen ist. Er ist wie die anderen Organmitglieder auf das Unternehmensinteresse verpflichtet. Er ist speziell für Personal- und Sozialangelegenheiten zuständig. Erfasst sind insbesondere die Bereiche Personalplanung, -entwicklung und -verwaltung, Arbeitssicherheit, Löhne und Gehälter, Sozial- und Altersvorsorge, Gesundheitswesen sowie berufliche Aus- und Weiterbildung. Weitere Einzelheiten zur Ressortabgrenzung kann die Geschäftsordnung treffen. Es kann auch ein existierender Geschäftsführer zum Arbeitsdirektor ernannt werden.

Der Arbeitsdirektor kann auch gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter bestellt werden. Mit Blick auf seine Rolle als Mittler zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft ist es in der Praxis jedoch üblich, den Arbeitsdirektor unter Beteiligung der Arbeitnehmervertreter auszuwählen.

Kompetenzen und Befugnisse

Wie sich bereits aus der Bezeichnung „Aufsichtsrat“ ergibt, liegt die Kernaufgabe des Aufsichtsrats in der Überwachung der Tätigkeit der Vertretungsorgane. Diese ist nicht auf die Kontrolle der bloßen Recht- und Ordnungsmäßigkeit des Vertreterhandelns beschränkt, sondern umfasst sämtliche Fragen der Geschäftspolitik, insbesondere die Wirtschaftlichkeit und die Zweckdienlichkeit des Tätigwerdens der Organe. Die Vertretungsorgane haben sich daher bei vorstehenden Entscheidungen in diesem Rahmen auch mit dem Aufsichtsrat zu beraten. Bei der mitbestimmten GmbH ist jedoch einschränkend zu beachten, dass gegenüber der Geschäftsführung nur in solchen Angelegenheiten zur Überwachung berechtigt ist, die auch tatsächlich von den Geschäftsführern wahrgenommen werden. Unterliegen Maßnahmen der Geschäftsführung der Gesellschafterversammlung, steht dem Aufsichtsrat keine Überwachungskompetenz zu.

Als Überwachungsinstrumente stehen dem Aufsichtsrat umfassende Informations-, Einsichts- und Prüfrechte zur Verfügung. So ist ihm jederzeit gestatten, vertrauliche Informationen (insbesondere Bücher der Gesellschaft) einzusehen und zu prüfen. Auch hinsichtlich des Jahresabschlusses steht ihm ein umfassendes Prüfrecht zu. Bei der Aktiengesellschaft hat der Vorstand in regemäßigen Abständen über bestimmte grundlegende Aspekte der Unternehmensleitung Bericht zu erstatten. In der mitbestimmten GmbH, für deren Geschäftsführung die Pflicht zur Regelberichterstattung nicht unmittelbar gilt, finden sich der Praxis häufig am Beispiel der Regelberichte des Aktiengesetzes angelehnte Informationsordnungen. Darüber hinaus können der Aufsichtsrat oder einzelne Aufsichtsräte zudem jederzeit eine zusätzliche Berichterstattung von einzelnen Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen.

Der Aufsichtsrat kann weiter über zustimmungspflichtige Geschäfte Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben. Sofern die Satzung keine Festlegungen in Form eines Katalogs zustimmungsbedürftiger Geschäfte trifft, muss der Aufsichtsrat im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens die zustimmungsbedürftigen Geschäfte festlegen. Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, so kann das Vertretungsorgan die Gesellschafterversammlung anrufen.

Zu den wesentlichen Entscheidungsbefugnissen des Aufsichtsrats gehört im Anwendungsbereich des MitbestG weiter die Personalkompetenz. Damit verbunden ist das Recht zur Bestellung und Abberufung des Geschäftsführungspersonals sowie zur Begründung und Beendigung des Anstellungsverhältnisses und damit der Festlegung der Anstellungskonditionen. Bei der paritätisch mitbestimmten GmbH führt dies gegenüber der Mitbestimmung nach DrittelbG zu einer erheblichen Machtverstärkung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat. Denn unter Geltung des DrittelbG verbleibt es bei der allgemeinen Grundregelung des GmbH-Rechts, dass die Personalkompetenz grundsätzlich in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fällt und dem Aufsichtsrat daher keine Personalkompetenz bezüglich der Geschäftsführer zusteht. Als weitere Besonderheit ist zu beachten, dass § 31 MitbestG ein mehrstufiges Abstimmungsverfahren im Hinblick auf die Organbestellung bzw. Abberufung vorsieht, um sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung sowohl durch die Anteilseigner als auch die Arbeitnehmer hinreichend legitimiert ist.

Fazit

Je nach Mitbestimmungsstatut und Rechtsform ergeben sich unterschiedliche Implikationen der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat für die Unternehmenspraxis. Das höchste Mitbestimmungsniveau deutscher Gesellschaftsrechtsformen weist die paritätisch mitbestimmte Aktiengesellschaft auf. Zwar ist auch hier die letztendliche Umsetzung von Entscheidungen nicht gefährdet, da die Anteilseignerseite die Möglichkeit hat, Pattsituationen zu ihren Gunsten aufzulösen. Zur Sicherung einer sinnvollen Zusammenarbeit ist die Anteilseignerseite aber gut beraten, im Vorfeld von Entscheidungen möglichst die Mehrheiten zu organisieren und größtmöglichen Konsens zu erreichen. Die Beteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat bringt damit – auch unter Beachtung der umfassenden Informations- und Erörterungspflichten – einen beachtlichen (zeitlichen) Mehraufwand mit sich, der insbesondere bei der Umsetzung von Maßnahmen zu berücksichtigen ist.

Vera Ellger


Rechtsanwältin
Senior Associate
Vera Ellger berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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