Die Digitalisierung geht auch an den Arbeitsgerichten nicht vorbei. Seit einigen Jahren ist die Teilnahme an Güte- und Kammerterminen per Videokonferenz möglich. Die Parteien sparen durch Videoverhandlungen häufig Zeit und Geld. Für die Arbeitsgerichtsbarkeit gilt seit dem 19. Juli 2024 eine Sonderregelung: § 50a ArbGG. Mit ihr gehen (neue) Besonderheiten einher.
Neuregelung der Videoverhandlung
Wer bislang an einer Gerichtsverhandlung vor dem Arbeitsgericht per Videokonferenz teilnehmen wollte, musste einen Antrag nach § 128a ZPO (alte Fassung) stellen. Mittlerweile hat der Gesetzgeber die Regelungen zu Videoverhandlungen reformiert und eine spezielle Norm für die Arbeitsgerichtsbarkeit geschaffen: § 50a ArbGG.
Diese Neuregelung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der bisherigen Rechtslage. Zudem weicht sie deutlich von den ebenfalls neu gefassten Vorschriften für die Zivilgerichtsbarkeit (§ 128a ZPO neue Fassung) ab.
Videoverhandlung auf Antrag
Die gesetzliche Regelung ist etwas umständlich. Eine Videoverhandlung findet statt, wenn mindestens ein Verfahrensbeteiligter per Bild- und Tonübertragung an ihr teilnimmt. Zur Teilnahme ist aber die Gestattung des Vorsitzenden erforderlich.
Sie kann zwar schon von Amts wegen, also z.B. mit der Ladung zum Gütetermin, ergehen. In der Praxis erfolgt diese Gestattung in der Regel aber erst auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten.
Ausgehend vom neu gefassten Gesetzeswortlaut empfiehlt sich folgende Formulierung des Antrags:
Wir beantragen, den Verfahrensbeteiligten die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am [Datum] um [Uhrzeit] per Bild- und Tonübertragung gemäß § 50a Abs. 2 ArbGG zu gestatten.
Entscheidung durch den Vorsitzenden
Der Vorsitzende entscheidet über diesen Antrag per Beschluss. Ein ablehnender Beschluss ist kurz zu begründen. Diese Begründung muss auf die Ablehnung im konkreten Fall eingehen. Allgemeine Erwägungen, wie bspw. (vermeintliche) Erfahrungswerte, dass Videoverhandlungen einer gütlichen Einigung per se abträglich sind, genügen nicht.
Zwar eröffnet das ArbGG keine Rechtsmittel gegen einen ablehnenden Beschluss. Fehlt eine Begründung aber vollständig oder lässt diese erkennen, dass der Vorsitzende § 50a ArbGG bewusst übergeht, können Zweifel an der unvoreingenommenen Verhandlungsführung entstehen. Das gilt insbesondere dann, wenn aus der Begründung hervorgeht, dass der Vorsitzende eine Partei willkürlich benachteiligt. Treten weitere Umstände hinzu, können sich diese Zweifel verdichten und zur Ablehnung des Vorsitzenden wegen Befangenheit führen.
Keine Bindung des Vorsitzenden an den Antrag
Im Übrigen kann der Vorsitzende über den Antrag auf Videoverhandlung nach freiem Ermessen entscheiden. Hier zeigt sich die arbeitsrechtliche Besonderheit des § 50a ArbGG.
Gem. § 128a Abs. 3 ZPO soll im Zivilprozess immer dann eine Videoverhandlung stattfinden, wenn ein Verfahrensbeteiligter das beantragt. Durch diese Soll-Formulierung ist das Ermessen des Zivilrichters, den Antrag abzulehnen, stark eingeschränkt.
Der Gesetzgeber hat diese Ermesseneinschränkung bewusst nicht in § 50a ArbGG aufgenommen (vgl. BT-Drs. 20/8095).
Hintergrund: Kündigungsschutzverfahren haben für die betroffenen Arbeitnehmer häufig existenzielle Bedeutung. Daher soll ihnen ein möglichst leichter Zugang zur mündlichen Verhandlung in Präsenz gewährleistet werden. Dieser sei bei Videoverhandlungen tendenziell gefährdet und diese daher für Arbeitnehmer potenziell nachteilig.
Diese Begründung überzeugt nicht. Schließlich steht es jeder Partei frei, an der mündlichen Verhandlung im Gerichtssaal teilzunehmen. Dort findet diese nämlich auch dann statt, wenn sich ein Verfahrensbeteiligter per Videokonferenz zuschalten darf.
Begründung des Antrags auf Videokonferenz
Trotzdem bzw. gerade deshalb sollte die Begründung des Antrags auf Videokonferenz darauf eingehen, warum es sich um einen geeigneten Fall für eine Videoverhandlung handelt.
Der Antragsteller sollte darlegen, dass dem anderen Verfahrensbeteiligten aus der Videoverhandlung keine Nachteile erwachsen.
- Nachteile sind auszuschließen, wenn der andere Verfahrensbeteiligte anwaltlich vertreten
- Das gilt auch dann, wenn die Gegenseite der Videoverhandlung zustimmt oder ihrerseits bereits einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.
- Handelt es sich um einfache Rechtsfragen, ist der Fall regelmäßig für eine Videokonferenz geeignet. Beispiele: Kündigung im Kleinbetrieb oder Kündigung in der Wartezeit.
- Umgekehrt spricht eine komplizierte Rechtsfrage nicht per se gegen eine Eignung für Videoverhandlungen. Sofern der zugrunde liegende Sachverhalt unstreitig ist und sich die mündliche Verhandlung auf den Austausch von rechtlichen Argumenten beschränkt, spielt der persönliche Eindruck der Kammer für die Entscheidungsfindung keine Rolle.
- Güteverhandlungen sind jedenfalls dann für eine Videoverhandlung geeignet, wenn die Parteien schon außergerichtlichen Kontakt hatten und den Verhandlungsspielraum abgesteckt haben.
Nachhaltigkeitserwägungen in der Antragsbegründung
Bloße Hinweise auf die Vermeidung von Reisezeiten oder -kosten reichen hingegen nicht, um den Antrag auf Durchführung der Videoverhandlung zu begründen.
Allerdings enthält die Gesetzesbegründung einen Verweis auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Danach fördert die Videoverhandlung „die Erreichung dieser Zielvorgaben (Nachhaltigkeit), da die Durchführung von mündlichen Verhandlungen und Beweisaufnahmen per Bild- und Tonübertragung zu einer effizienteren Verfahrensführung beiträgt und neue digitale Zugangsmöglichkeiten zur Justiz schafft.“
Daher spricht nichts dagegen, die Antragsbegründung mit folgendem Verweis abzuschließen:
Die Durchführung als Videoverhandlung trägt zudem zu einer effizienteren Verfahrensführung und einer leistungsfähigen Justiz bei und fördert den Zugang zur Justiz. Damit steht sie in Einklang mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, vgl. BT-Drs. 20/8095, S. 32.