Durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz wurde zum 1. Januar 2019 erstmals eine Zuschusspflicht des Arbeitgebers zur Entgeltumwandlung eingeführt (vgl. unsere Beiträge aus 2017 und 2021). Man könnte meinen, dass fast sechs Jahre später die Grundfragen im Zusammenhang mit dieser Verpflichtung des Arbeitgebers geklärt sind. Leider ist dies jedoch nicht der Fall. Insbesondere das Konkurrenzverhältnis zwischen Tarifverträgen und gesetzlicher Regelung wirft weiterhin Fragen auf, die einer Klärung durch die Rechtsprechung harren. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich nun zu einer entscheidenden Frage geäußert mit dem Ergebnis: Tarifvertrag sticht.
Die Frage
Die gesetzliche Regelung wirkt zunächst einmal recht eindeutig: Nach § 1a Abs. 1a BetrAVG muss der Arbeitgeber 15 Prozent des vom Arbeitnehmer umgewandelten Entgelts zusätzlich als Arbeitgeberzuschuss an den Pensionsfonds, die Pensionskasse oder die Direktversicherung weiterleiten, soweit er durch die Entgeltumwandlung Sozialversicherungsbeiträge einspart. Hintergrund: Der sozialversicherungsrechtliche Vorteil, den der Arbeitgeber durch die Entgeltumwandlung erlangt, soll an die Arbeitnehmer als zusätzlicher Anreiz für die betriebliche Altersversorgung weitergegeben werden.
Für den Fall, dass der für das Arbeitsverhältnis geltende Tarifvertrag eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Vereinbarung über den Arbeitgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung vorsieht, ist § 19 Abs. 1 Abs. 1 BetrAVG einschlägig. Hiernach kann von § 1a BetrAVG und damit auch der gesetzlichen Verpflichtung zur Zahlung eines Arbeitgeberzuschusses in Tarifverträgen abgewichen werden. Die Zuschusspflicht ist mithin tarifdispositiv (vgl. unseren Beitrag aus 2022).
Unklar und vom BAG zu entscheiden war jedoch bislang, ob eine Abweichung auch durch solche Tarifverträge erfolgen kann, die bereits vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung zur Zuschusspflicht abgeschlossen wurden. Sprich: Kann in Tarifverträgen von etwas abgewichen werden, was es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages noch gar nicht gab?
Die Antwort des BAG
Die Antwort aus Erfurt auf diese äußerst praxisrelevante Frage erfolgte nun endlich mit der erhofften Eindeutigkeit (Urteil vom 20. August 2024, 3 AZR 285/23, hier die Pressemitteilung):
„Die Auslegung von § 19 Abs. 1 BetrAVG ergibt, dass von § 1 a BetrAVG abweichende Regelungen auch in vor dem Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes geschlossenen Tarifverträgen enthalten sein können.“
Das bedeutet, dass sich der Arbeitgeber hinsichtlich der Arbeitgeberzuschüsse bei der Entgeltumwandlung nicht nach § 1a Abs. 1a BetrAVG richten muss, wenn der geltende Tarifvertrag eine davon abweichende Regelung trifft. Auf das „Alter“ des Tarifvertrages kommt es dabei nicht an.
Damit stimmt das BAG mit der in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 31. Mai 2017 aufgezeigten Intention, dass auch Regelungen in vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes abgeschlossenen Tarifverträgen gültig bleiben, überein.
Bedeutung für die Praxis: Zeit den Tarifvertrag (nochmal) genau zu lesen
Da das BAG somit klargestellt hat, dass alle Tarifverträge – unabhängig davon, wann sie geschlossen wurden – Ausnahmen von der gesetzlichen Regelung zum Arbeitgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung enthalten können, ist Arbeitgebern zu empfehlen, ihre Tarifverträge auf entsprechende Ausnahmeregelungen zu überprüfen beziehungsweise überprüfen zu lassen. Eine genaue rechtliche Prüfung erscheint insbesondere deshalb sinnvoll, da tarifvertragliche Ausnahmeregelungen auch anders ausgestaltet sein können als die gesetzliche Regelung zum Arbeitgeberzuschuss – mithin nicht immer klar als Ausnahmeregelung erkennbar sind. In dem am 20. August 2024 entschiedenen Fall ist beispielsweise an Stelle des in § 1a Abs. 1a BetrAVG vorgesehenen Arbeitgeberzuschusses in Höhe von 15 Prozent des umgewandelten Entgelts ein im Tarifvertrag aus dem Jahre 2008 vereinbarter Altersvorsorgegrundbetrag in Höhe des 25-fachen des Facharbeiter-Ecklohns vom Arbeitgeber zu entrichten.
Viele Antworten, aber noch mehr Fragen
Klar ist nun, dass auch Ausnahmeregelungen zum Arbeitsgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung in Alt-Tarifverträgen zu berücksichtigen sind. Offen bleibt aber die Frage, ob eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Ausnahmeregelung auch darin zu sehen ist, dass der (Alt-)Tarifvertrag gerade keine ausdrückliche Regelung zum Arbeitgeberzuschuss trifft. Schließlich könnte das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung als bewusste Entscheidung gegen einen Arbeitgeberzuschuss und damit als von der gesetzlichen Regelung abweichende Ausnahmeregelung im Sinne eines „Arbeitgeberzuschusses 0“ verstanden werden.
Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung könnte aber auch bedeuteten, dass eine von der gesetzlichen Regelung abweichende tarifvertragliche Regelung gerade (absichtlich) nicht getroffen wurde und es daher zur Anwendung der gesetzlichen Regelung kommen soll. Eine klare Vorgabe zur Auslegung solcher Tarifverträge gibt es hierzu aus Erfurt (noch) nicht.
Bei dieser Frage erscheint eine Unterscheidung zwischen „Neu“- und „Alt“-Tarifverträgen aber durchaus weiterhin angebracht zu sein: Sollten die Tarifvertragsparteien nach Einführung des § 1a Abs. 1a BetrAVG die Regelungsinhalte des gesamten § 1a BetrAVG im Tarifvertrag im Wesentlichen (sinngemäß) wiedergeben, jedoch auf eine Regelung zum Arbeitgeberzuschuss verzichten, kann hier mit guten Argumenten der Wille der Tarifvertragsparteien gesehen werden, bewusst einen Arbeitgeberzuschuss vollständig abzulehnen und damit eine dahingehende Ausnahmeregelung von der gesetzlichen Regelung zu treffen. Eine solche Auslegung erscheint bei Tarifverträgen, die vor der gesetzlichen Regelung zum Arbeitgeberzuschuss geschlossen wurden, ohne nähere Anhaltspunkte nicht ohne weiteres möglich.