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Arbeitnehmerüberlassung: Wann sind Offenlegungs- und Konkretisierungs­pflichten erfüllt?

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Bei der Arbeitnehmerüberlassung gibt es eine Vielzahl von potenziellen Fallstricken, die es zu umschiffen gilt. Dass es hierbei nicht nur um eine gültige Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, die Beachtung von Höchstüberlassungsdauer, Verbot von Kettenverleih und Equal Pay geht, zeigt eine jüngere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu den Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten.

Gemäß § 1 Abs. 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) haben Verleiher und Entleiher die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen, bevor sie den Leiharbeitnehmer überlassen oder tätig werden lassen. Darüber hinaus haben sie vor der Überlassung die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu konkretisieren.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann diese Pflichten erfüllt sind. Bereits mit Fertigstellung des Vertragstextes oder erst mit formwirksamem Abschluss des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages? Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 5. März 2024 (Az. 9 AZR 204/23) klar Stellung bezogen.

Der Fall

Der Kläger war seit 2012 bei der Beklagten tätig, zunächst auf Basis eines Werkvertrags. Ab dem 16. Februar 2018 wurde der Kläger durch einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bei der Beklagten als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Dieser Vertrag wurde vom Verleiher am 5. Februar 2018, somit vor, von der Beklagten jedoch erst am 28. Februar 2018 und somit nach Beginn der Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten unterzeichnet. Der Vertrag enthielt eine Anlage mit Angaben zum Einsatz des Klägers vom 16. Februar 2018 bis zum 31. Dezember 2018. Über den geplanten Einsatz des Klägers in diesem Zeitraum informierte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 5. Februar 2018. Der Betriebsrat stimmte am 8. Februar 2018 zu.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass es aufgrund der fehlenden Unterzeichnung des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages durch die Beklagte zu Überlassungsbeginn zu einem Verstoß gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) gekommen sei. Somit sei ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten mit Wirkung ab dem 16. Februar 2018 begründet worden.

Die Beklagte hingegen behauptete, die gesetzlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt zu haben. Insbesondere argumentierte sie, für deren Erfüllung komme es nicht darauf an, ob bereits bei Beginn der Arbeitnehmerüberlassung ein formwirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorgelegen habe. Darüber hinaus sei im Fall des Klägers die Überlassung offen erfolgt, da der Vertrag bei Überlassungsbeginn inhaltlich schon vorgelegen habe. Da der Kläger in der Anlage des Vertrages bereits aufgeführt gewesen sei, sei demnach auch bereits Konkretisierung eingetreten.

Entscheidung des BAG

Das BAG entschied, dass ein formwirksamer, d. h. ein von Verleiher und Entleiher schriftlich (§ 12 Abs. 1 AÜG) unterzeichneter Arbeitnehmerüberlassungsvertrag im Zeitpunkt des Überlassungsbeginns erforderlich ist, um die Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten nach § 1 Abs. 1 S. 5 und 6 AÜG zu erfüllen.

Die Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG verlange, dass die Arbeitnehmerüberlassung in einem formwirksamen Vertrag ausdrücklich als solche bezeichnet werde, bevor der Leiharbeitnehmer überlassen werde. § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG setze darüber hinaus voraus, dass die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag konkretisiert werde. Die Offenlegung- und Konkretisierungspflicht sei damit erst dann erfüllt, wenn ein formwirksamer, d. h. ein von Ver- und Entleiher schriftlich unterzeichneter Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zum Zeitpunkt des Überlassungsbeginns vorliege.

Vor der (beidseitigen) Vertragsunterzeichnung sei ein Überlassungsvertrag nichtig. Er werde auch nicht dadurch nachträglich wirksam, dass der Verleiher und Entleiher nach der tatsächlichen Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers die Schriftform noch erfüllen. Ein insoweit unwirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag kann damit die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht nicht erfüllen bzw. heilen.

Für die Offenlegung genüge es daher nicht, dass ein (noch) formunwirksamer Vertrag vorgelegen habe. Eine Konkretisierung sei auch nicht dadurch erfolgt, dass die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 5. Februar 2018 über den geplanten Einsatz des Klägers informiert habe. Zu diesem Zeitpunkt habe noch kein formwirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorgelegen, auf den i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG Bezug genommen werden konnte.

Fazit

Das Urteil des BAG unterstreicht erneut die zentrale Bedeutung der Einhaltung der formalen Anforderungen des AÜG für die Rechtmäßigkeit von Arbeitnehmerüberlassungen. Arbeitgeber, die sich Leiharbeitnehmern bedienen möchten, ist dringend zu raten, sicherstellen, dass alle gesetzlichen Pflichten erfüllt sind, um ein ordnungsgemäßes Arbeitsnehmerüberlassungsverhältnis zu gewährleisten. Insbesondere müssen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten durch einen formwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zum Zeitpunkt des Überlassungsbeginns bereits erfüllt werden. Verstöße können erhebliche rechtliche Konsequenzen, insbesondere die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zur Folge haben.

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