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Arbeitnehmerhaftung nach Compliance-Untersuchungen

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Die Kosten einer Compliance-Untersuchung durch spezialisierte Anwaltskanzleien sind nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich ersatzfähig. Wir beleuchten, wie Arbeitgeber den hohen Anforderungen der Rechtsprechung zur Durchsetzung dieser Ersatzansprüche gerecht werden können – auch wenn am Ende fast immer eine reduzierte Haftung des Arbeitnehmers hinzunehmen ist.

Nicht zuletzt die medial geführten Diskussionen um die Höhe von siebenstelligen Anwaltsrechnungen einer Compliance-Untersuchung bei einer Landesrundfunkanstalt zeigen: Die Kosten einer Compliance-Untersuchung können erhebliche Höhen erreichen. Nach Abschluss der Ermittlungen stellt sich die Frage, ob nicht zumindest ein Teil der Kosten von den überführten Arbeitnehmern zurückverlangt werden kann oder bei Wahrung der Vermögensbetreuungspflichten der Organe etwaiger betroffener juristischer Personen sogar muss. Während das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 29. April 2021, Az. 8 AZR 276/20) erfreulicherweise klargestellt hat, dass überführte Arbeitnehmer notwendige Kosten der Ermittlung der Pflichtverletzung zu tragen haben (lesen Sie dazu den Blogbeitrag vom 11. Mai 2021), hat sich gezeigt, dass in der Instanzrechtsprechung nur selten werthaltige Schadensersatzansprüche ausgeurteilt werden.

Wo liegen die Schwierigkeiten?

Arbeitgebern gelingt es in der Regel, die für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch notwendige Pflichtverletzung des überführten Arbeitnehmers darzulegen und zu beweisen. Auch wenn an diesem Punkt auch tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten im Einzelfall bestehen können, ist beispielsweise keine besondere Schwere der Pflichtverletzung erforderlich. Dies ist im Falle einer Kündigung anders, dort muss insbesondere für eine außerordentliche Kündigung eine erhebliche Pflichtverletzung vorliegen.

Die Schwierigkeiten liegen typischerweise in einem Zusammenspiel aus dem notwendigen Verschulden des Arbeitnehmers (Vorsatz oder Fahrlässigkeit), auch in Bezug auf den konkret eingetretenen Schaden (beispielsweise Anwaltskosten der Compliance-Untersuchung), und dem sogenannten innerbetrieblichen Schadensausgleich. Weiterhin spielt die mögliche Kürzung des Ersatzanspruchs aufgrund eines Mitverschuldens des Arbeitgebers und ganz grundsätzlich die Darstellung eines kausalen Schadens regelmäßig eine erhebliche Rolle.

Doppeltes Verschulden

Das Verschulden des Arbeitnehmers muss sich nicht nur auf die konkrete arbeitsvertragliche Pflichtverletzung, sondern auch auf die Verursachung des konkret eingetretenen Schadens beziehen. Der Arbeitnehmer muss also beispielsweise die Ermittlungskosten einer straf- und oder arbeitsrechtlichen Spezialkanzlei entweder vorsätzlich oder fahrlässig mit seinem Verhalten hervorgerufen haben. Während ein Arbeitsgericht in der Regel noch offen ist, eine Pflichtverletzung als vorsätzlich begangen anzuerkennen, wird es kritisch hinterfragen, ob auch eine vorsätzliche Verursachung des Schadens vorliegt. Dafür wäre zumindest erforderlich, dass der Arbeitnehmer erkennt, dass durch sein Verhalten eine interne Untersuchung hervorgerufen wird und den entsprechenden für seinen Arbeitgeber entstehenden Schaden (also die Kosten einer solchen Untersuchung) in Kauf nimmt. Nimmt das Arbeitsgericht in Bezug auf den eingetretenen Schaden lediglich Fahrlässigkeit an, liegt das nötige Verschulden vor, es droht jedoch eine Haftungsreduzierung.

Haftungsreduzierung nach dem innerbetrieblichen Schadensausgleich

Die Rechtsprechung nimmt nach dem Modell des innerbetrieblichen Schadensausgleich eine Haftungsreduzierung vor, je nachdem welcher Grad des Verschuldens vorliegt. Handelt der Arbeitnehmer anlässlich seiner betrieblichen Tätigkeit leicht fahrlässig und verursacht einen Schaden, haftet der Arbeitnehmer nicht. Während bei mittlerer Fahrlässigkeit eine Quotelung der Haftung angenommen wird, haftet der Arbeitnehmer bei grober Fahrlässigkeit grundsätzlich und bei Vorsatz stets unbeschränkt. Hat das Arbeitsgericht dann beispielsweise festgestellt, dass die Pflichtverletzung vorsätzlich, der konkret eingetretene Schaden jedoch nur leicht Fahrlässigkeit verursacht wurde, haftet der Arbeitnehmer also nicht.

Selbst im Fall von grober Fahrlässigkeit kann das Gericht die Haftung des Arbeitnehmers noch beschränken, insbesondere wenn die Haftungssumme außer Verhältnis zum Verdienst des Arbeitnehmers steht und deshalb eine existenzbedrohende Inanspruchnahme droht. Diese Haftungsbeschränkung wird im Rahmen einer umfangreichen Abwägung von Schadenshöhe, Verdienst und der Gefahrgeneigtheit der Tätigkeit ermittelt. Zwar hält das Bundesarbeitsgericht eine Haftung bis zu einer ab einer Höhe von 12 Jahresgehältern für möglich, in der Instanzrechtsprechung hat sich jedoch eine geradezu schematische Haftungsbeschränkung auf 3 Monatsgehälter etabliert.

Mitverschulden

Bereits vor der Durchführung der Haftungsreduzierung spielt auch ein Mitverschulden des Arbeitgebers im Regelfall eine erhebliche Rolle. Auch wenn Arbeitnehmer vorsätzlich ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt haben, wird das Gericht auf einen entsprechenden Vortrag des Arbeitnehmers hin prüfen, ob der Arbeitgeber selbst bzw. durch seine handelnden Organe oder sonstige ihm zurechenbare Personen (insbesondere Vorgesetzte des Arbeitnehmers) an der Entstehung des Schadens mitgewirkt haben.

Welche Kosten sind konkret dem Arbeitnehmer zuzurechnen?

Auch wenn Anstoß einer Compliance-Untersuchung ausschließlich das Fehlverhalten eines Arbeitnehmers gewesen ist, ist ein möglicher Schaden in Form der Ermittlungskosten ausschließlich auf Aufwendungen des Arbeitgebers zur Aufklärung des Fehlverhaltens des individuellen Arbeitnehmers begrenzt. Eine Compliance-Untersuchung wird regelmäßig jedoch nicht nur zur Überführung eines konkreten Arbeitnehmers durchgeführt, sondern dient etwa auch der Erfüllung der Compliance-Pflichten der Geschäftsleitung, der Herstellung eines effektiven Compliance-Systems, der Unternehmensverteidigung in einem Bußgeldverfahren oder der weiteren Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren. Steht ein ganzes Geflecht von Pflichtverletzungen und Straftaten im Raum, wird selbst ein Interview des konkret befragten Arbeitnehmers zumindest teilweise auch der Überführung anderer Arbeitnehmer dienen. Hier verlangt die Rechtsprechung dann eine sehr detaillierte Differenzierung, welcher konkrete Aufwand dann noch tatsächlich der Überführung des konkreten Arbeitnehmers diente.

Fazit

Entscheidet sich der Arbeitgeber, externe Kanzleien mit einer Compliance-Untersuchung zu beauftragen, muss er sich bewusst sein, dass gegen überführte Arbeitnehmer nur unter engen Bedingungen werthaltige Schadensersatzansprüche durchgesetzt werden können. Dennoch: Je höher das Gehalt und die Position des Arbeitnehmers im Unternehmen und je mehr sich der entstandene Schaden dem Arbeitnehmer hätte aufdrängen müssen, desto eher ist mit einem werthaltigen Schadensersatzanspruch zu rechnen. Ein siebenstelliger Schadensersatzanspruch wird jedoch die absolute Ausnahme in der Arbeitnehmerhaftung sein.

Tobias Lamß

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Senior Associate
Tobias Lamß berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Seine Schwerpunkte liegen dabei im Bereich des Betriebsverfassungs- und Tarifrechts, der Betreuung von Kündigungsschutzstreitigkeiten und Unternehmenstransaktionen sowie in der Erstellung und Gestaltung von Arbeits-, Änderungs-, Abwicklungs- und Aufhebungsverträgen. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
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