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Betriebsbedingte Kündigung: Rentennähe als berücksichtigungsfähiges Kriterium bei der Sozialauswahl

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Die Frage der Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung ist immer wieder Gegenstand arbeitsrechtlicher Streitigkeiten. Insbesondere die ordnungsgemäße Durchführung der Sozialauswahl birgt mögliche Fallstricke für Arbeitgeber. Ende des Jahres 2022 hat das BAG nun Klarheit hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit der Rentennähe des Arbeitnehmers im Rahmen des Sozialauswahlkriteriums des Lebensalters geschaffen.

Zur Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung bedarf es einer sozialen Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG. Dazu muss der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers berücksichtigen. Im Rahmen einer Insolvenz wird dies jedoch durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO modifiziert: Wenn eine Betriebsänderung geplant ist und zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen ist, kann die Sozialauswahl nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und insoweit auch nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Im Fokus der Entscheidung des BAG vom 8. Dezember 2022  (6 AZR 31/22, bisher nur Pressemitteilung veröffentlicht) stand das Kriterium des Lebensalters.

Grundannahme bei dem Kriterium des Lebensalters ist eine mit steigendem Lebensalter sinkende Vermittlungschance auf dem Arbeitsmarkt, woraus wiederum eine steigende soziale Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer resultiert. Nach Ansicht des BAG muss dies allerdings nicht immer so sein. Bereits in der Vergangenheit hatte das BAG eine sinkende soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers angenommen, wenn der Arbeitnehmer bereits Regelaltersrente beziehe.

Aber gilt dies auch, wenn der Arbeitnehmer zwar noch keine Altersrente bezieht, aber rentennah ist?

Mit dieser Frage hatte sich nun das BAG zu befassen.

Worum ging es?

Die Klägerin war eine 65-jährige Arbeitnehmerin, die seit 1972 bei der inzwischen insolventen Arbeitgeberin beschäftigt war. Im März 2020 sprach der beklagte Insolvenzverwalter gegenüber der Klägerin eine betriebsbedingte Kündigung zum 30. Juni 2020 aus, der ein Interessenausgleich mit Namensliste zugrunde lag. Die Klägerin war nach Ansicht des beklagten Insolvenzverwalters in ihrer Vergleichsgruppe im Rahmen der Sozialauswahl am wenigsten schutzwürdig. Sie habe als einzige die Möglichkeit gehabt, zeitnah im Anschluss an das beendete Arbeitsverhältnis Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu beziehen.

Die Klägerin erhob gegen diese und gegen eine weitere nachträglich ausgesprochene zweite Kündigung Kündigungsschutzklage.

Die Vorinstanzen

Sowohl das Arbeitsgericht Dortmund in erster Instanz (Urteil vom 09.12.2020 – 10 Ca 1380/20) als auch das LAG Hamm (Urteil vom 03.09.2021 – 16 Sa 152/21) in der Berufungsinstanz gaben der Klägerin Recht und erachteten die Kündigungen für unwirksam. Die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit der Rentennähe im Rahmen der Sozialauswahl verneinte das LAG in seinem Urteil. Zur Begründung verwies das Gericht auf die bisherige Rechtsprechung des BAG, wonach zwar ein Arbeitnehmer, der bereits regelaltersrentenberechtigt ist, als weniger schutzwürdig einzustufen sei, was jedoch nicht auf den Fall eines lediglich rentennahen Arbeitnehmers übertragen werden könne.

Die Entscheidung des BAG

Wie auch die Vorinstanzen hielten die Erfurter Richter die erste Kündigung zwar im Ergebnis für unwirksam wegen Außerachtlassung anderer wichtiger Kriterien der Sozialauswahl. Allerdings sei nach Ansicht des BAG die Rentennähe der Klägerin – anders als noch das LAG Hamm in der Berufungsinstanz ausführte – bei der Sozialauswahl im Rahmen des Kriteriums des Lebensalters sehr wohl zu berücksichtigen. Damit setzte das BAG seine bisherige Linie fort und erweiterte sie dahingehend, dass eine sinkende soziale Schutzbedürftigkeit bereits dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitnehmer nur „rentennah“ ist.

Zur Begründung führte das BAG aus, dass das Kriterium „Lebensalter“ ambivalent sei. Zwar nehme die Schutzbedürftigkeit mit steigendem Lebensalter erst einmal zu. Sie nehme jedoch wieder ab, wenn der Arbeitnehmer bereits eine vorgezogene Rente wegen des Alters abschlagsfrei beziehe. Dasselbe gelte, wenn der Arbeitnehmer spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen durch eine solche abschlagsfreie Rente verfügen oder die Regelaltersrente beziehen könne. Diese „Rentennähe“ könne zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Insoweit billigten § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO dem Arbeitgeber einen Wertungsspielraum zu.

Eine Einschränkung sei laut BAG allerdings zu beachten: Die Altersente für schwerbehinderte Menschen nach §§ 37, 236a SGB VI dürfe zum Schutz vor Diskriminierung insoweit nicht berücksichtigt werden.

Fazit

Das Urteil schafft für Arbeitgeber Klarheit hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit der Rentennähe bei der Sozialauswahl und erleichtert im Ergebnis die betriebsbedingte Kündigung rentennaher Arbeitnehmer.

Das Urteil ist insbesondere auch deshalb beachtlich, da die Erfurter Richter einen recht langen Zeitraum von zwei Jahren bis zur Rente als rentennah werteten. Trotzdem sollte nicht vergessen werden, weitere Kriterien wie die Betriebszugehörigkeit oder Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers ausreichend bei der Sozialauswal zu berücksichtigen. Denn ansonsten droht trotz der Berücksichtigungsfähigkeit der Rentennähe eine Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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