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Vorwurf sexueller Belästigung – wie Unternehmen richtig reagieren

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Anstößige Fotos per Mail, zweideutige Witze während der Videokonferenz, unangemessene Offerten im Feedback-Gespräch – das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist präsent. Arbeitgeber geraten bei Vorwürfen gegen ihre Mitarbeiter in eine herausfordernde Situation: Sie sind zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet und haben dabei zunächst eine neutrale Rolle. Je nach Ausgang der Untersuchung kommen unterschiedliche (Disziplinar-)Maßnahmen in Betracht.

Sexuelle Belästigungen sind vielschichtig. Sie reichen von verbalen und physischen Belästigungen bis hin zu non-verbalen Formen wie anzüglichen Blicken. Wir haben uns in unserem Beitrag vom 5. Dezember 2017 näher mit dem Begriff beschäftigt.

Insbesondere am Arbeitsplatz können sexuelle Belästigungen zu bedrückenden Situationen führen. Deshalb ist es wichtig, Mitarbeiter zu sensibilisieren und für eine möglichst belästigungsfreie Umgebung zu sorgen. Hierzu sind Arbeitgeber auch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet.

Welche Pflichten treffen Arbeitgeber?

Welche konkreten Pflichten Arbeitgeber treffen, ergibt sich aus § 12 AGG: Arbeitgeber sind bereits verpflichtet, präventiv gegen sexuelle Belästigungen vorzugehen. Steht der Vorwurf einer sexuellen Belästigung im Raum, müssen sie Maßnahmen zur Aufklärung eines Verdachtes ergreifen. Bestätigt sich der Verdacht, müssen Arbeitgeber mit geeigneten Maßnahmen, etwa einer Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung, reagieren. Im Falle eines Verstoßes gegen diese Pflichten drohen Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche, vgl. § 15 AGG.

Handlungsempfehlungen zur effizienten Pflichtenerfüllung

Wie kann der Arbeitgeber diesen Pflichten nach Prävention, Aufklärung und Reaktion effizient nachkommen?

Prävention

  • Aufstellen konkreter Richtlinien zum Verhalten und zum Vorliegen einer sexuellen Belästigung

Arbeitgeber machen durch Richtlinien bereits im Vorhinein deutlich, wann (aus ihrer Sicht) eine sexuelle Belästigung vorliegt. Sie verhindern hierdurch etwa Unsicherheiten bei Mitarbeitern darüber, wann die Grenze von einem (zunächst) einvernehmlichen Flirt zu einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz überschritten wird. Diese klare Positionierung dürfte für den Großteil potenzieller Täter „abschreckende“ Wirkung haben. Denn darin liegt die klare Botschaft, dass jede Form der sexuellen Belästigung vom Arbeitgeber nicht geduldet werde.

  • Einrichtung einer (zusätzlichen) Meldestelle

Die Pflicht zur Bestimmung einer betrieblichen Meldestelle für etwaige Verstöße gegen das AGG folgt bereits aus § 13 AGG. Der Arbeitgeber hat bei der Bestimmung der zuständigen Stelle einen weiten Spielraum hinsichtlich der personellen Besetzung. Unternehmen sollten auf eine vertrauenswürdige Person setzen und den Ablauf des Beschwerdeverfahrens vorab festlegen. Strengere Vorgaben für Whistleblowing-Systeme werden sich für eine Vielzahl von Unternehmen in Zukunft aus dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz ergeben. Mit den Inhalten des aktuellen Gesetzesentwurfs für das Hinweisgeberschutzgesetz haben wir uns in unserem Videobeitrag vom 6. Oktober 2022 beschäftigt.

Aufklärung

  • Zügiges Vorgehen bei Aufklärung

Arbeitgeber sind gut beraten, die Aufklärung zügig voranzutreiben, wenn aufgrund der erhobenen Vorwürfe eine außerordentliche Kündigung im Raum steht. Denn unverhältnismäßige Verzögerungen im Rahmen der Ermittlungen begründen die Gefahr, dass Arbeitgeber ihr Kündigungsrecht wegen der in § 626 Abs. 2 BGB enthaltenen Zweiwochenfrist nach Ablauf der Frist verlieren. Näheres hierzu auch unseren Beitrag vom 27.Oktober 2022.

  • Mitarbeiterinterviews richtig aufstellen

Häufiges Instrument von Aufklärungsmaßnahmen sind Mitarbeiterinterviews. Hierzu haben wir bereits in unserem Beitrag vom 20. April 2022 berichtet. Zur Vorbereitung gehört zunächst die Auswahl der relevanten Mitarbeiter sowie die durchdachte Überlegung der Fragen. Denn Ziel sollte die genaue Aufklärung des Sachverhalts sein, jedoch ohne, dass Arbeitgeber ihre neutrale Rolle durch voreingenommene Fragen verlieren. Es empfiehlt sich, die geführten Befragungen durch einen – neben dem Interviewer – anwesenden Protokollanten möglichst wortgenau zu protokollieren. Neben dem Ergebnis dieser Befragung sollten Arbeitgeber natürlich alle weiteren Ermittlungsmaßnahmen und -ergebnisse dokumentieren.

  • Einbindung von externen Personen empfehlenswert

Im Interesse des Arbeitgebers an einem reibungslosen Ablauf kann sich insbesondere bei komplexeren und/oder undurchsichtigen Sachverhalten die Aufklärung durch geeignete außenstehende Dritte empfehlen. Dadurch unterstreicht der Arbeitgeber seine neutrale Rolle in der Aufklärungsphase.

Reaktion

  • Arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen und Hilfe für das Opfer bei erwiesenem Vorwurf

Bei erheblichen erwiesenen Verstößen dürfte der Arbeitgeber verpflichtet sein, arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. Das können eine Um-/Versetzung, Abmahnung oder – bei besonders schweren Pflichtverstößen – auch eine (außerordentliche) Kündigung des Arbeitsverhältnisses sein. Ausschlaggebend für die Beurteilung der geeigneten Maßnahme dürfte auch das „Nachtatverhalten“ des Beschuldigten sein. Sieht er sein Fehlverhalten ein und bewertet dies selbst als sog. „Augenblickversagen“, kann dies jedenfalls ein Argument dafür sein, das Arbeitsverhältnis nicht (einseitig) zu beenden. Daneben kann das Unternehmen dem Opfer der sexuellen Belästigung Hilfe zukommen lassen. Hier kommt zum Beispiel eine psychologische Betreuung in Betracht.

  • Maßnahmen bei unklarem Sachverhalt

Lässt sich der Sachverhalt nicht aufklären und bleibt der Verdacht offen, führt dies in der Regel zu weiteren Schwierigkeiten mit Blick auf die in § 12 AGG enthaltene Reaktionspflicht. Hier dürfte der Grad des (Tat-)Verdachts entscheidend sein. Besteht nach Abschluss der Aufklärung ein (dringender) Tatverdacht gegen den Beschuldigten und kommen weitere Aufklärungsmaßnahmen nicht in Betracht, kommen arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen allein aufgrund des Verdachts in Betracht.

Wenn der Tatverdacht nicht schwerwiegend genug für Disziplinarmaßnahmen ist, könnte eine Trennung der betroffenen Personen in der zukünftigen Zusammenarbeit sinnvoll sein. In dem Fall sollten allen Beteiligten das Ergebnis der Aufklärung sowie die Gründe für eine nicht erfolgversprechende weitere Ermittlung mitgeteilt werden. Hierbei ist Fingerspitzengefühl gefragt.

  • Reaktion bei erwiesener Falschbeschuldigung

Das Ergebnis der Aufklärung kann auch sein, dass eine sexuelle Belästigung eindeutig nicht vorliegt. In dem Fall sollten Arbeitgeber unterscheiden: Handelt es sich schlicht um eine falsche Einschätzung von der Person, die die Vorwürfe erhoben hat, oder um ein Missverständnis, kommen keine Disziplinarmaßnahmen in Betracht. Es sollten alle Beteiligten über das Ergebnis und die Begründung informiert werden – auch um die zwischenzeitlich beschuldigte Peron zu rehabilitieren. Wenn bewiesen ist, dass es sich um eine bewusste Falschbeschuldigung handelte, kommen Disziplinarmaßnahmen gegen die Person, die die Vorwürfe erhoben hat, in Betracht.

Dr. Jan Heuer

Rechts­an­walt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Principal Counsel
Jan Heuer berät deutsche und internationale Unternehmen sowie öffentlich-rechtliche Institutionen umfassend in allen Fragen des Arbeitsrechts. Einen Schwerpunkt bilden die Begleitung von Reorganisationen und Restrukturierungen sowie die Vertretung in Arbeitsgerichtsprozessen. Besondere Expertise hat er außerdem im Datenschutzrecht (z. B. DS-GVO-Checks, Abschluss von IT-Betriebsvereinbarungen) und im Bereich arbeitsrechtlicher Compliance (z. B. interne Untersuchungen bei Fehlverhalten von Mitarbeitern, Vermeidung von Scheinselbständigkeit und illegaler Arbeitnehmerüberlassung, Einhaltung Betriebsverfassungsrecht). Jan Heuer ist bei KLIEMT.Arbeitsrecht verantwortlich in den Fokusgruppen "Whistleblowing und interne Untersuchungen" sowie "Digitalisierung und Mitbestimmung".
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