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Damit das Licht nicht endgültig ausgeht? Kurzarbeit in aktuellen Krisenzeiten

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Die deutsche Wirtschaft kämpft teilweise immer noch mit den Langzeitfolgen der Pandemie. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die daraus resultierenden Unsicherheiten bezüglich Lieferketten und Energieengpässen sowie die bereits hohen Energiepreise verschärfen die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmen weiter. Die Kurzarbeit rückt erneut in den Fokus und soll Unternehmen nun auch in den derzeitigen multiplen Krisen helfen. Inwiefern die genannten Umstände zur Begründung der Anträge auf Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld herangezogen werden können, zeigt dieser Beitrag.

Kurzarbeitergeld: Verlängerung des vereinfachten Zugangs und Ausweitung auf Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer

Die während der Pandemie eingeführten Zugangserleichterungen zum Kurzarbeitergeld wurden verlängert und gelten vorerst bis zum 31.12.2022 weiter.

Grundsätzlich haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gemäß § 95 SGB III Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, der auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, nur vorübergehend und nicht vermeidbar ist und eine Mindestanzahl an Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen betrifft. Zudem müssen die betrieblichen Voraussetzungen, d.h. dass mindestens ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im Betrieb oder einer Betriebsabteilung beschäftigt ist, und die persönlichen Voraussetzungen, nämlich das Vorliegen einer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung, erfüllt sein und der Arbeitsausfall rechtzeitig der Agentur für Arbeit angezeigt werden (s. zu den Voraussetzungen im Detail den Blogbeitrag von Dr. Anja Dachner: Kurzarbeit – eine Bestandsaufnahme).

Durch die Zugangserleichterung reicht es im Rahmen der Prüfung, ob ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt, für den Zugang zum Kurzarbeitergeld nunmehr weiterhin aus, wenn mindestens zehn Prozent statt regulär ein Drittel der Beschäftigten von einem Entgeltausfall betroffen sind. Zudem ist es nicht erforderlich, dass die Mitarbeiter vor dem Bezug von Kurzarbeitergeld ihre Plusstunden abbauen.

Darüber hinaus können auch Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer wieder Kurzarbeitergeld erhalten. Diese Regelung zur Öffnung des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld war zuvor außer Kraft getreten und gilt nun wieder bis zum 31.12.2022.

Die derzeitigen Krisen als mögliches Argument zur Begründung der Kurzarbeit?

Doch diese Sonderregelungen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes bedeuten keinesfalls, dass der Antrag auf Kurzarbeit und der Bezug von Kurzarbeitergeld ein „Selbstläufer“ wären – im Gegenteil. Denn bis auf die genannte Zugangserleichterung müssen die übrigen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld nach wie vor erfüllt sein. Die örtlichen Agenturen für Arbeit, die derzeit nach eigenen Angaben noch mit etwa 800.000 Abschlussprüfungen aus den letzten Jahren beschäftigt sind und über so gut wie keine finanziellen Reserven mehr verfügen, sehen trotz bzw. genau wegen der erneuten Flut von Anträgen, der sie derzeit ausgesetzt sind, mitunter noch genauer hin.

(Vorübergehende) Einschränkung oder Stilllegung von Betrieben bzw. Betriebsteilen aufgrund hoher Energiekosten oder Energierationierungen

Nimmt ein Unternehmen die derzeit hohen Energiekosten zum Anlass, einen Betrieb oder jedenfalls Teile davon vorübergehend einzuschränken oder sogar stillzulegen, so ist das bislang regelmäßig kein ausreichendes Argument, um Kurzarbeit erfolgreich geltend zu machen und Kurzarbeitergeld beziehen zu können. Denn hier realisiert sich das sog. Betriebsrisiko. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn das Unternehmen keine Wahl mehr hat, ob es den Betrieb aufrechterhält, etwa weil infolge einer möglichen Verschärfung der Krise und der Ausrufung der Stufe 3 des Notfallplan Gas öffentlich-rechtliche Verfügungen dazu führen, dass der Betrieb im Extremfall von der Gasversorgung ausgenommen wird und daher zwingend eingeschränkt oder stillgelegt werden muss. Insoweit sei auf den Blogbeitrag von Ferdinand Groß: Energie- und Preiskrise: Zeit zum Handeln verwiesen.

Eingeschränkte oder zusammengebrochene Lieferketten sowie Auftragsrückgang

Ein Anspruch auf Gewährung von Kurzarbeitergeld kommt aber auch wegen gestörter Lieferketten unter dem Gesichtspunkt des erheblichen Arbeitsausfalls aus „wirtschaftlichen Gründen“ in Betracht. Insofern kann einerseits die eigene Lieferkette betroffen sein, aber auch die eines Zulieferers oder Abnehmers, die mittelbar zu einem erheblichen Arbeitsausfall führt. Schließlich ist auch ein Auftragseinbruch aufgrund mangelnder Nachfragen von Kunden als weiterer Grund denkbar.

Ein Arbeitsausfall beruht insbesondere auf wirtschaftlichen Gründen, wenn er durch eine Veränderung der betrieblichen Strukturen verursacht wird, die durch die „allgemeine wirtschaftliche Entwicklung“ bedingt sind. Hierunter fallen klassischerweise solche Maßnahmen des eigenen Staates oder fremder Staaten, die zu Import- und Exporterschwerungen führen und sonstige Störungen in der arbeitsteiligen Organisation der Wirtschaft sowie der wirtschaftlichen Infrastruktur. Abzugrenzen sind diese Gründe von solchen, die spezifisch betriebsinnerorganisatorische Gründen sind.

  • Einschränkung bis hin zum Zusammenbruch von Lieferketten

Soweit etwa die Produktion eines Unternehmens unter pandemie- oder kriegsbedingten Lieferschwierigkeiten leidet, dürften daher weiterhin regelmäßig die Voraussetzung zur Gewährung von Kurzarbeitergeld vorliegen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der neuerlichen gesetzgeberischen Begründung zur Verlängerung des vereinfachten Zugangs zum Kurzarbeitergeld, die explizit auf das Fehlen von Vorprodukten abstellt, welche die Produktionstätigkeit der Betriebe erheblich beeinträchtigen. Zudem rechnet die Bundesregierung mit sich weiter verschlechternden Geschäftserwartungen, die nicht nur das verarbeitende Gewerbe, sondern auch den Handel und den Dienstleistungssektor betreffen werden.

In der Beratung mehren sich zudem Fälle, in denen sich die gestörten Lieferketten nur mittelbar auswirken. So können einige Zulieferunternehmen zwar ungestört produzieren. Die eigenen Produkte finden jedoch keine Abnehmer mehr, da die Abnehmer ihrerseits für die Weiterverarbeitung unmittelbar auf zusätzliche Vorprodukte aus gestörten Lieferketten angewiesen sind. Aus unserer Sicht dürfte es sich auch in diesen Fällen um ein Paradebeispiel der Störung der arbeitsteiligen wirtschaftlichen Organisation im eng vernetzten Wirtschaftsumfeld handeln. Aufgrund der Vielzahl von Zulieferunternehmen ließen sich die gesetzgeberischen Ziele der Schaffung von Planungssicherheit und der Stabilisierung des Arbeitsmarktes bei Ausnahme dieser „nur“ mittelbar, aber wirtschaftlich ebenso stark betroffenen Unternehmen nicht erreichen.

  • Auftragsrückgang

Darüber hinaus beobachten viele Unternehmen, dass die bei ihnen eingehenden Aufträge bzw. der Konsum ihrer Produkte kontinuierlich und deutlich zurückgehen. Je nach Branche und Produkt haben Kunden deutlich weniger oder überhaupt keinen Bedarf mehr, was ein deutliches Absinken der Absatzmöglichkeiten und einen vorübergehenden, erheblichen Arbeitsausfall zur Folge haben kann. Dabei ist auszuschließen, dass der Auftragsrückgang auf der fehlenden Akzeptanz des Produktes basiert (dies wäre kein Grund für die Gewährung von KUG). Vielmehr müssen tatsächlich wirtschaftliche Gründe den Auftragsrückgang bedingen. Derzeit mindert die generelle konjunkturelle und strukturelle Störung der Gesamtwirtschaftslage mit der hohen Inflation die Kaufkraft vieler Kunden.

Fazit

Kurzarbeit kann auch in der derzeitigen Krisensituation ein probates Mittel sein, um Betriebe zu erhalten. Darauf kommen auch zunehmend mehr Unternehmen, die zuvor möglicherweise noch keinen Gebrauch davon gemacht haben, zurück. Denn während das Instrument der Beschäftigungssicherung bis zur Pandemie vor allem betriebs- oder branchenbezogen in den Fokus rückte, änderte sich das in den letzten zwei Jahren, u.a. auch durch große mediale Aufmerksamkeit, deutlich. Das führte und führt immer noch dazu, dass sich die Agenturen für Arbeit bisweilen einer noch höheren Flut an Anträgen ausgesetzt sehen. Hinzu kommen die fehlenden finanziellen Reserven der Agenturen für Arbeit zur Bereitstellung des Kurzarbeitergeldes, die vor diesem Hintergrund etwaige Anträge im Hinblick auf die Begründung der Ursachen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die die Kurzarbeit bedingen sollen, noch genauer prüfen. Deshalb sind lediglich schlagwortartige Umschreibungen mit Bezug auf den Angriffskrieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Krisen und ihre Folgen zu vermeiden. Unternehmen sollten ihre Anträge vielmehr besonders sorgfältig begründen und belegen, etwa durch Vorlage entsprechender Auftragszahlen im Vergleich zu den Vorjahren o.ä. Die Einschränkung bzw. der Zusammenbruch von Lieferketten und die Auswirkungen auf die eigene Produktion dürften derzeit noch die besseren Argumente sein als die Energiekrise an sich. Sofern mehrere Ursachen den erheblichen Arbeitsausfall bedingen, ist es sinnvoll, diese alternativ anzuführen. Das kann das Risiko minimieren, durch weitere Nachfragen der Arbeitsagenturen wertvolle Zeit zu verlieren. Im Übrigen kann sich bei einer Ablehnung die Einlegung eines Widerspruchs gegen den Bescheid lohnen. Schließlich sind Fehlentscheidungen, auch aufgrund der derzeitigen Überlastung der Agenturen, nicht ausgeschlossen

Dr. Susanna Stöckert

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Susanna Stöckert berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Aufsichtsratsberatung".
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