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Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher trotz illegaler grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung

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Werden Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland nach Deutschland überlassen, ist hierfür eine deutsche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erforderlich. Andernfalls ist die Arbeitnehmerüberlassung illegal. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer und dem deutschen Entleiher als zustande gekommen gilt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht jüngst in einem sehr praxisrelevanten Urteil entschieden (BAG vom 26.4.2022, 9 AZR 228/21).  

Überlässt ein Vertragsarbeitgeber (der sog. Verleiher) einen Arbeitnehmer im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an einen anderen Arbeitgeber (den sog. Entleiher) bedarf er hierfür einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach dem AÜG. Rechtsfolge einer ohne eine solche Erlaubnis betriebenen Arbeitnehmerüberlassung ist bei inländischen Sachverhalten unter anderem die Unwirksamkeit des zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrags (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG). Stattdessen gilt kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher als zustande gekommen (§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG). Höchstrichterlich ungeklärt war bislang, ob und wann dies auch bei einer aus dem Ausland erfolgten Arbeitnehmerüberlassung gilt.

Der Fall

Eine französische Arbeitnehmerin war bei einem französischen Arbeitgeber auf der Grundlage eines in französischer Sprache abgefassten und auf französische Vorschriften Bezug nehmenden Arbeitsvertrags beschäftigt. Als Arbeitsort war Illkirch in Frankreich vorgesehen. Zugleich berechtigte der Vertrag die Arbeitgeberin, die Arbeitnehmerin auch an anderen Arbeitsorten – auch im Ausland – einzusetzen. In diesem Rahmen wurde die Arbeitnehmerin 19 Monate bei einem deutschen Unternehmen in Karlsruhe beschäftigt. Eine deutsche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis hatte die französische Arbeitgeberin nicht. Nachdem die Arbeitnehmerin (mehrere Jahre nach Beendigung dieses Einsatzes) von ihrer Arbeitgeberin eine Kündigung erhalten hatte, berief sie sich nunmehr darauf, sie stehe in einem Arbeitsverhältnis zu dem deutschen Einsatzunternehmen. Denn die Überlassung sei mangels Erlaubnis illegal gewesen und es greife die Fiktion des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG (in der damals geltenden Fassung). Die Vorinstanz, das LAG Baden-Württemberg, teilte diese Auffassung.

Auch grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung erfordert eine deutsche Erlaubnis

Das BAG sah dies jedoch anders. Zwar bedürfe auch die Arbeitnehmerüberlassung aus dem EU-Ausland nach Deutschland einer deutschen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Insoweit bestätigt das BAG in der Entscheidung die ständige Praxis der für die Erteilung von Arbeitnehmerüberlassungserlaubnissen zuständigen Bundesagentur für Arbeit.

Aber: Kein Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem deutschen Entleiher

Dennoch gelte hier kein Arbeitsverhältnis mit dem deutschen Entleiher als zustande gekommen (selbst wenn es sich um Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat, was das BAG offenließ). Denn eine solche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses setze zwingend – bereits nach dem Wortlaut – die Unwirksamkeit des zwischen Verleiher und Arbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrags voraus. Sei der Arbeitsvertrag nach dem anzuwendenden Recht nicht unwirksam, komme ein Arbeitsverhältnis zu dem deutschen Entleiher nicht in Betracht.

Vorliegend sei auf den Arbeitsvertrag kraft zulässiger Rechtswahl französisches Recht anwendbar. Die Regelungen in Art. 8 Abs. 1 S. 2 und Art. 8 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 Rom I-VO (keine Umgehung des ohne die Rechtswahl anwendbaren zwingenden Arbeitnehmerschutzrechts) stünden dem nicht entgegen. Denn auch ohne Rechtswahl wäre französisches Recht anwendbar, insbesondere weil der regelmäßige Arbeitsort in Frankreich liege. Das anwendbare französische Recht sehe die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags nicht vor. Die Unwirksamkeit ergebe sich auch nicht aus den Vorschriften des deutschen Arbeitnehmerentsendegesetzes oder sonstiger Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 der Rom I-VO.

Somit sei der französische Arbeitsvertrag rechtswirksam und deshalb kein Raum für ein (weiteres) Arbeitsverhältnis zum deutschen Entleiher.

Folgen für die Praxis

Die – sehr ausführlich begründete – Entscheidung des BAG überzeugt. Obwohl sie wegen des lange zurückliegenden Sachverhalt noch zum AÜG in der bis zum 31.3.20217 geltenden Fassung ergangen ist, ist lässt sie sich auch auf die aktuelle Gesetzesfassung übertragen. Sie bedeutet jedoch nicht, dass eine ohne Erlaubnis betriebene grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung sanktionslos wäre. Insbesondere drohen sowohl dem Verleiher als auch dem Entleiher Bußgelder.

Auch die Rechtsfolge eines Arbeitsverhältnisses zum deutschen Entleiher ist damit nicht in allen internationalen Fällen ausgeschlossen. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Arbeitsvertrag mit dem Verleiher unwirksam ist. Dies hängt wiederum maßgeblich von dem auf diesen Vertrag anwendbaren Recht ab. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts (und damit des § 9 AÜG) kann sich etwa aus einer ausdrücklichen oder konkludenten Rechtswahl ergeben oder aus dem regelmäßigen Arbeitsort (z.B. wenn der Arbeitnehmer durchgehend bei Entleihern in Deutschland eingesetzt wird).

Dr. Thomas Gerdom

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Thomas Gerdom berät nationale und internationale Unternehmen sowie öffentlich-rechtliche Institutionen umfassend im individuellen und kollektiven Arbeitsrecht. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Gestaltung und Begleitung von Umstrukturierungen, Transformationsprozessen, Outsourcing-Projekten und M&A-Transaktionen. Zudem hat er umfangreiche Erfahrungen im Bereich der Anstellungsverhältnisse von Leitungsorganen und deren Organhaftung. Hierzu berät er sowohl Vorstände und Geschäftsführer als auch Aufsichtsräte. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Aufsichtsratsberatung". 
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