Komplexe Sachverhalte, gestiegene Compliance-Anforderungen und notwendige Expertise – interne Untersuchungen nicht durch Externe durchführen zu lassen, ist keine Option. Gleichwohl kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass die Durchsuchung und Beschlagnahme von Unterlagen in einer Rechtsanwaltskanzlei verfassungsgemäß seien.
Im Rahmen des Diesel-Skandals waren viele Augen auf die Richter am Bundesverfassungsgericht gerichtet. Wie das Bundesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen vom 27. Juni 2018 für Bestürzung sorgte:
Der Fall
Die Kanzlei Jones Day wurde anlässlich eines in den USA geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Dieselskandal im September 2015 von der Volkswagen AG zur Aufklärung des zugrundeliegenden Sachverhalts beauftragt. Zu diesem Zwecke sichteten die Rechtsanwälte – auch Anwälte aus dem Münchner Büro – im Rahmen von konzernweiten internen Ermittlungen eine Vielzahl von Dokumenten und führten über 700 Befragungen von Mitarbeitern des Volkswagen-Konzerns durch. Im Januar 2017 einigten sich die Volkswagen AG und das U.S. Department of Justice im Rahmen eines sogenannten Plea Agreement auf die Zahlung eines Strafgeldes.
Infolge der Veröffentlichung des Plea Agreements leitete die Staatsanwaltschaft München Ermittlungen ein, die sich später auch gegen die Audi AG richteten. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurden im Rahmen der Ermittlungen sodann die Kanzleiräume der Kanzlei Jones Day durchsucht und die Dokumente und Daten, die im Wege der internen Ermittlungen der Volkswagen AG gewonnen wurden, sichergestellt.
Nicht nur die Volkswagen AG, sondern auch die Kanzlei Jones Day sowie die betroffenen Rechtsanwälte wendeten sich gegen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des Amts- und Landgerichts München.
Die Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.
- Die Verfassungsbeschwerden der Kanzlei Jones Day seien mangels Beschwerdeberechtigung unzulässig. Die Kanzlei sei nicht Trägerin von Grundrechten, da sie keine inländische juristische Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG Maßgeblich sei auf den Sitz bzw. den Ort der tatsächlichen Hauptverwaltung der juristischen Person abzustellen. Das Vorbringen der Kanzlei lasse nicht darauf schließen, dass sich ihr Hauptverwaltungssitz in Deutschland oder einem Mitgliedstaat der Europäischen Union befinde. Eine Berufung auf die materiellen Grundrechte sei auch aufgrund der Betroffenheit ihres Münchner Standortes nicht gegeben, insoweit fehle es an einer organisatorisch eigenständigen Stellung.
- Die Verfassungsbeschwerde der einzelnen Rechtsanwälte sei mangels Beschwerdebefugnis unzulässig. Eine Grundrechtsverletzung sei nicht dargetan.
- Die Verfassungsbeschwerden der Volkswagen AG seien in Bezug auf den Durchsuchungsbeschluss bereits unzulässig, im Übrigen jedenfalls unbegründet. Ein rechtlich geschütztes Interesse an der verfassungsrechtlichen Prüfung des Durchsuchungsbeschlusses bestehe nicht, da dieser aufgrund der Bestätigung der Sicherstellung prozessual überholt sei. Die Prüfung der Sicherstellung ergebe zwar, dass ein Eingriff in das Recht der Volkswagen AG auf informationelle Selbstbestimmung Dieser sei jedoch gerechtfertigt. Dem stehe auch § 160a Abs. 1 S. 1 StPO nicht entgegen, da § 97 Abs. 1 StPO diesem als speziellere Norm für Beschlagnahmen vorgehe. Es sei auch von Verfassung wegen nicht geboten, den absoluten Schutz des § 160a Abs. 1 S. 1 StPO auf den Bereich der Durchsuchungen einschließlich der vorläufigen Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht und auf Beschlagnahmen von Mandantenunterlagen eines Rechtsanwaltes auszudehnen. Nicht zu beanstanden sei weiter, dass die Fachgerichte davon ausgingen, dass sich ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO nur im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen einem Berufsträger und dem im konkreten Ermittlungsverfahren Beschuldigten ergebe. Die Volkswagen AG sei selbst nicht Beschuldigte im zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren, weshalb sie sich nicht auf § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO berufen könne.
Verfahren vor dem EGMR
Die Kanzlei Jones Day sowie die betroffenen Rechtsanwälte wendeten sich gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und reichten Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein (Az.: 1022/19 und 1125/19). Sie hielten die Durchsuchung der Kanzleiräume und die Beschlagnahme von Dokumenten und elektronischen Daten für nicht vereinbar mit Art. 8 EMRK.
Dem schloss sich auch die Bundesrechtsanwaltskammer an, die als Drittbeteiligte in dem Verfahren zugelassen wurde. Nach Auffassung der Bundesrechtsanwaltskammer weise Art. 8 EMRK dem Austausch von Informationen zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten einen besonderen Schutz zu. Daher müssten Anwälte ihren Mandanten die Vertraulichkeit der zwischen ihnen stattfindenden Kommunikation garantieren können.
Die Parteien wurden zwischenzeitlich zur Stellungnahme aufgefordert. Der EGMR hinterfragt dabei unter anderem:
- Ob durch die Ermittlungsmaßnahmen in das Recht auf Achtung der Wohnung eingegriffen wurde?
- Inwieweit durch die Ermittlungsmaßnahmen das Mandatsverhältnis beeinträchtigt wurde?
- Ob die Anwendung der zugrunde liegenden Rechtsvorschrift (§ 103 StPO) in Verbindung mit den Vorschriften über die Beschränkung von Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte (§§ 97, 160a StPO) vorhersehbar war? Und, ob die Vorhersehbarkeit der Anwendung des Gesetzes durch abweichende Auslegungen verschiedener innerstaatlicher Gerichte beeinträchtigt war?
Fazit
Dass das Bundesverfassungsgericht dem Schutz der Kommunikation im Mandatsverhältnis im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr Gewicht beigemessen hat, verwundert. Es scheint, dass die gesamte Anwaltschaft unter den Generalverdacht des Missbrauchs eines geschützten Mandatsverhältnisses gestellt wurde. Es ist zu wenig beachtet worden, dass interne Ermittlungen ohne entsprechenden Beschlagnahmeschutz anwaltlicher Unterlagen gefährdet und auch Rechtsanwälte Organe der Rechtspflege sind. Um ihrer Aufgabe als Organe der Rechtspflege nachzukommen, ist es allerdings notwendig, dass Rechtsanwälte ihren Mandanten die Vertraulichkeit der zwischen ihnen stattfindenden Kommunikation garantieren können.
Es ist zu hoffen, dass der EGMR die Entscheidungen korrigiert. Aber auch der Gesetzgeber ist zur Handlung aufgefordert. Denn einerseits wird ein Rechtsrahmen geschaffen, der dazu führt, dass Unternehmen zunehmend interne Untersuchungen durchführen müssen, andererseits fehlt es jedoch weiterhin an einer gesetzlichen Regulierung eben dieser.