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Energie- und Preiskrise: Zeit zum Handeln

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Eine Krise jagt die nächste. Seit dem 2. Quartal 2022 herrscht die Energie- und Preiskrise, deren mögliches Ausmaß und Auswirkungen zwar schon spürbar, aber nicht vollständig absehbar sind. Spätestens seit Ausrufen der Stufe 2 des Notfallplans Gas am 23. Juni 2022 steht fest, dass auch ein Gaslieferstopp droht. Die Energie- und Preiskrise hat und wird erhebliche Auswirkungen auf die Betriebe in Deutschland.

Erste Maßnahmen zur Entlastung, an deren Umsetzung auch Arbeitgeber mitwirken müssen, wurden verkündet. Welche Handlungsnotwendigkeit sich hier, jedoch auch bei einer weiteren Verschärfung der Energie- und Preiskrise für Arbeitgeber ergeben, wollen wir nachstehend aufzeigen.

Energiepreispauschale

Auf Basis des Steuerentlastungsgesetzes 2022 vom 23. Mai 2022 wurde eine Energiepreispauschale in Höhe von EUR 300 eingeführt, die einen Ausgleich für die gestiegenen Energiepreise bieten soll. Die Energiepreispauschale soll v.a. über die Arbeitgeber im September 2022 ausbezahlt werden. Dies gilt für alle Arbeitnehmer, die

  • am 1. September 2022 in einem gegenwärtigen ersten Dienstverhältnis stehen und
  • in eine der Steuerklassen I bis V eingereiht sind oder nach § 40a Abs. 2 EStG pauschal besteuerten Arbeitslohn beziehen (geringfügig Beschäftigte).

Die Abwicklung der Auszahlung der Energiepreispauschale erfordert eine entsprechende rechtzeitige Einsteuerung in die Lohnabrechnungsstellen. Das Bundesfinanzministerium hat hierzu FAQs veröffentlicht.

Betriebsrisiko liegt grundsätzlich auf Arbeitgeberseite

Nimmt der Arbeitgeber bspw. einen Gaslieferstopp oder die weitere Energiepreisentwicklung zum Anlass, den Betrieb oder Betriebsteile, bspw. die Produktion, einzuschränken oder teilweise zeitweise stillzulegen, realisiert sich das sog. Betriebsrisiko. Dies ist das Risiko des Arbeitgebers, seinen Betrieb nicht betreiben zu können und gleichwohl für den Lohn einstehen zu müssen. Dabei ist unerheblich, ob die Maßnahme auf einer eigenständigen unternehmerischen Entscheidung beruht, weil der Arbeitgeber z.B. einen hohen Gaspreis nicht bezahlen will, oder ob es sich um eine zwangsweise Folge handelt, die z.B. auf einem Zusammenbruch von Lieferketten infolge der Auswirkungen der Energie- und Preiskrise beruht. Die Rechtsfolge ist gemäß § 615 Satz 3 iVm. § 615 Satz 1, 2 BGB, dass der Arbeitnehmer unter Anrechnung des Ersparten einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung hat, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Der Anspruch setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbietet.

Ob und inwieweit diese Grundsätze zum Betriebsrisiko auch dann zum Tragen kommen, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer möglicherweise bei Ausrufen der Stufe 3 des Notfallplan Gas erfolgenden öffentlich-rechtlichen Verfügung den Betrieb schließen muss, wird entscheidend vom Zweck der behördlichen Maßnahme abhängen. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden (Urteil vom 13.10.2021 – 5 AZR 211/21), dass der Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, wenn die Betriebsschließung im Rahmen allgemeiner Maßnahmen staatlicher Stellen zur Pandemiebekämpfung, mit denen betriebsübergreifend zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen in Folge von SARS-CoV-2-Infektionen die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden, erfolgt.

Mögliche Handlungsfelder

Um die wirtschaftlichen Risiken aus den Grundsätzen zum Betriebsrisiko abzumildern, gleichzeitig die Betriebsabläufe aufrechterhalten und die Fachkräfte weiterhin im Arbeitsverhältnis halten zu können, bieten sich verschiedene Handlungsfelder an:

  • In Betracht kommen verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs im Betrieb. So kann durch die Entwicklung von alternativen Raumnutzungskonzepten die Nutzung der (beheizten) Arbeitsbereiche eines Betriebes reduziert werden, bspw. durch periodisch wechselnde Anwesenheiten im Betrieb (on- und off-site). Auch an die Absenkung der Raumtemperaturen ist zu denken. Je nach Arbeitsschwere und überwiegender Körperhaltung bei der auszuführenden Tätigkeit kann die Raumtemperatur auf die in ASR 3.5 der technischen Regeln des Arbeitsschutzes festgelegten Mindestwerte abgesenkt werden.
  • Die (Wieder)Einführung von mobiler Arbeit bzw. Homeoffice kann eine weitere Maßnahme sein. Hierdurch können Teilbereiche eines Betriebes ausgelagert werden. In arbeitsrechtlicher Hinsicht gilt insoweit nichts Neues: aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit sollten entsprechende Individualvereinbarungen geschlossen werden. Besteht ein Betriebsrat, sind dessen Mitbestimmungsrechte zu beachten. Zum mobilen Arbeiten finden Sie weitergehende Hinweise auf der Seite unserer Fokusgruppe mobile working. Angesichts der generellen Preissteigerungen ist damit zu rechnen, dass sich Arbeitgeber darauf einstellen müssen, dass von Seiten der Betriebspartner Forderungen nach einer Beteiligung an den auf Arbeitnehmerseite entstehenden Kosten lauter werden als dies noch zu Beginn der Coronapandemie der Fall gewesen ist.
  • Schließlich ist auch an das Instrument der Kurzarbeit zu denken. Der Einführung von Kurzarbeit bedarf einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer sowie ggf. einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Tarif- oder Betriebspartner. Auch zu den im Zusammenhang mit Kurzarbeit sich stellenden Fragen finden Sie Antworten und weitergehende Hinweise in unserem Blog. Zu beachten ist, dass noch bis zum 30. September 2022 erleichterte Zugangsvoraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld gelten. Durch die Kurzarbeitergeldzugangsverordnung vom 23. Juni 2022 wurde die zeitliche Geltung von § 421c SGB III verlängert. Für Betriebe ist daher bis zum 30. September 2022 weiterhin ausreichend, wenn mindestens 10 Prozent ihrer Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sind. Auch müssen die Beschäftigten nach wie vor keine Minusstunden vor dem Bezug von Kurzarbeitergeld aufbauen.
Fazit

Auch wenn die aktuellen Temperaturen den Herbst und Winter noch weit weg erscheinen lassen und die Versorgungssicherheit aktuell gewährleistet ist, ist es Zeit zum Handeln, um den Betrieb möglichst krisenfest aufzustellen. Dies erfordert insbesondere auch eine Überprüfung der aktuell bestehenden betrieblichen und arbeitsvertraglichen Regelungen zu Kurzarbeit und mobiler Arbeit auf Anpassungsbedarf.

Ferdinand Groß

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Ferdinand Groß berät Unternehmen insbesondere im Betriebsverfassungsrecht und begleitet bei Restrukturierungen, Fremdpersonaleinsatz und der Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Vertretung von Unternehmen in Einigungsstellenverfahren und arbeitsgerichtlichen Prozessen. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung".
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