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Kann ich den Betriebsrat „abmahnen“? – Rechtsprechung weiterhin uneins

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Handelt der Betriebsrat zuwider der Betriebsverfassung, eröffnet das Gesetz nur wenige Handlungsoptionen für Arbeitgeber. Grobe Pflichtverletzungen können zu einer Auflösung des Betriebsrates oder einem Ausschuss eines einzelnen Betriebsratsmitgliedes durch das Arbeitsgericht führen. Unter dem Schlagwort „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ wird seit Jahren diskutiert, inwieweit es Arbeitgebern möglich ist, amtswidrigem Verhalten schon früher zu begegnen. Eine einheitliche Linie in der Rechtsprechung fehlt.

Über die Frage, ob der Arbeitgeber dem Betriebsrat bzw. einzelnen Betriebsratsmitgliedern als Folge eines betriebsverfassungswidrigen Verhaltens eine sogenannte „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ erteilen darf, scheiden sich die Geister. Auch die Instanzgerichte sind sich uneins. Die Rechtsunsicherheiten sind verheerend: Arbeitgeber scheuen sich davor, auf Pflichtverletzungen des Betriebsrates mit einer Abmahnung zu reagieren, da sie sich selbst nicht des Vorwurfs unzulässiger Verhaltensweisen aussetzen wollen. Dies führt in der Konsequenz häufig dazu, dass vorschnell der Weg über einen Auflösungs- bzw. Ausschlussantrag nach § 23 BetrVG gesucht wird, was dem Betriebsfrieden und der vertrauensvollen Zusammenarbeit keineswegs zuträglich ist.

Unklare Rechtslage infolge uneinheitlicher Rechtsprechung

Das Betriebsverfassungsgesetz bietet Arbeitgebern keine Rechtsgrundlage, um gegenüber Betriebsratsmitgliedern Pflichtverletzungen zu rügen und sie dabei gleichzeitig unter Androhung der Einleitung weiterer Schritte zu einem gesetzeskonformen Verhalten anzuhalten. Was im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Standard und ausdrücklich in § 314 BGB niedergelegt ist, soll im betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtenkanon nicht gelten? Hier bleibt nur das scharfe Schwert des § 23 Abs. 1 BetrVG?

Richtig ist, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung als Vorstufe eines Verfahrens gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG nicht erforderlich ist. Auch klar sein dürfte, dass die Abmahnung des Betriebsrates oder seiner Mitglieder für ausschließlich betriebsverfassungswidriges Verhalten keine individualrechtlichen Bezüge aufweisen darf und mithin keine arbeitsvertraglichen Sanktionen auslösen kann. Aus diesem Grund – so bereits mehrfach durch die Rechtsprechung bestätigt – kann die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung nicht Bestandteil der Personalakte des betroffenen Betriebsratsmitglieds werden. Entsprechend hat das LAG Baden‑Württemberg (Beschluss v. 3.7.2020 – 8 TaBV 3/19) klargestellt, dass eine Amtspflichtverletzung eines Betriebsratsmitgliedes in keinem Zusammenhang zu seinem Arbeitsverhältnis stehe, und hat einer entsprechenden Klage auf Entfernung der betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung aus der Personalakte stattgegeben. Das LAG Baden-Württemberg hat jedoch auch festgehalten: Es sei dem Arbeitgeber gestattet, seiner Ansicht nach betriebsverfassungsrechtlich unzulässige Verhaltensweisen einzelner Betriebsratsmitglieder anzusprechen und zu rügen und sogar diesen gegenüber anzukündigen, dass ein entsprechendes Verhalten in Zukunft nicht mehr geduldet wird.

Anders hingegen das LAG Hessen (Beschluss v. 29.11.2021 – 16 TaBV 52/21): Hier hatte der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber geltend gemacht, da er die zuvor gegen den Betriebsrat ausgesprochene Abmahnung wegen vermeintlich amtswidrigen Verhaltens als Störung oder Behinderung der Betriebsratsarbeit ansah. Nach Ansicht des LAG Hessen sei eine Abmahnung wegen betriebsverfassungsrechtlicher Amtspflichtverletzung weder erforderlich noch möglich. Das LAG Hessen begründet seine Auffassung mit einem Verweis auf § 23 Abs. 1 BetrVG, der einen Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat (nur) wegen grober Pflichtverletzung seiner gesetzlichen Pflichten vorsehe. Hieraus zieht das Gericht den Schluss, dass nach der gesetzgeberischen Wertung im Interesse einer vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) weniger gravierende Pflichtverletzungen ohne Folgen bleiben sollen. Mahnt ein Arbeitgeber betriebsverfassungsrechtliche Verstöße eines Betriebsratsmitgliedes ab, könne dies nur den Zweck haben, das betroffene Mitglied in der Ausübung seiner Amtstätigkeit zu verunsichern. Das Rechtsinstitut der (individualvertraglichen) Abmahnung sei, so die Kammer, Ausprägung des Kündigungsrechts, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Anders als in § 314 BGB sei ein Abmahnungserfordernis im Betriebsverfassungsgesetz nicht geregelt und daher systemwidrig.

Rechtliche Bewertung

Die Argumente des LAG Hessen und dieses stützende Stimmen überzeugen nicht. Dem Arbeitgeber muss es möglich sein, amtswidriges Verhalten des Betriebsrates oder einzelner Mitglieder zu kritisieren und ein pflichtgemäßes Handeln zu verlangen. Dem Arbeitgeber dies zu verwehren, entbehrt jeder sachlichen Rechtfertigung. Vielmehr zeigt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG gerade auf, Pflichtverstöße unterhalb der Schwelle des § 23 Abs. 1 BetrVG rechtzeitig mit dem Betriebsrat aufzulösen, um eine Verstetigung des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens frühzeitig zu vermeiden und spätere Auflösungs- oder Ausschlussanträge zu verhindern. Insoweit erscheint der Ausspruch einer Abmahnung auch zweckmäßig und einer zukünftigen gedeihlichen Zusammenarbeit förderlich. Nicht zu unterschätzen ist insoweit auch die damit verbundene Dokumentations-, Warn- und Rügefunktion, welche die Durchführung eines später nicht vermeidbaren Ausschlussverfahrens gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG erleichtern könnte. Doch selbst wenn die Voraussetzungen des Verfahrens nach § 23 BetrVG gegeben sind, muss einem Arbeitgeber, der nicht das schwere Schwert des § 23 BetrVG ziehen möchte, eine geeignete Handlungsalternative eröffnet bleiben, um festgestellte Pflichtverstöße nicht gänzlich unbeanstandet zu lassen. Insbesondere gebietet es die stets mit einem Auflösungs- bzw. Ausschlussantrag verbundene Rechtsunsicherheit, ob in dem verfolgten Verhalten eine grobe Pflichtverletzung – insoweit sind die rechtlichen Hürden relativ hoch – vorliegt oder nicht, eine Abmahnung als milderes Mittel zuzulassen.

Betriebsverfassungsrechtliche Abmahnungen richtig gestalten

Wollen Arbeitgeber Amtsverstöße abmahnen, ist folgendes zu berücksichtigen: Grundsätzlich gilt bei einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung das Erfordernis einer klaren Trennung zwischen der Amtstätigkeit und der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit. Wie schon in der individualrechtlichen Abmahnung sind auch hier Sachverhalt und Pflichtverstoß umfassend und präzise darzustellen. Die für den Wiederholungsfall angedrohte betriebsverfassungsrechtliche Sanktion – hier der Ausschluss nach § 23 BetrVG – ist ausdrücklich zu benennen; arbeitsrechtliche Konsequenzen (individualrechtliche Abmahnung und Kündigung) können nicht zum Gegenstand einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung gemacht werden. Zu Dokumentationszwecken empfiehlt sich stets die Schrift- oder Textform. Schließlich kann die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung nicht in die Personalakte des betroffenen Betriebsratsmitglieds aufgenommen werden.

Fazit

Das Ausschluss- bzw. Auflösungsverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG belastet das Verhältnis der Betriebsparteien in der Regel erheblich. Das wiederum beeinträchtigt vor allem laufende Verhandlungen über Betriebsvereinbarungen und die üblichen Abstimmungs- und Zustimmungsverfahren im täglichen Betriebsalltag. Die Einleitung eines Verfahrens nach § 23 Abs. 1 BetrVG wird daher immer ultima ratio für jeden Arbeitgeber bleiben. Keine Sanktionen vorzunehmen im Sinne eines „ganz oder gar nicht“ erscheint wenig pragmatisch und schon aus dem Bedürfnis, dauerhaft Rechtsfrieden innerhalb des Betriebes herzustellen, ohnehin alternativlos. Trotz der unklaren Rechtslage sollten Arbeitgeber daher den Ausspruch einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung in Erwägung ziehen. Werden gewisse Grundsätze beachtet, kann mithilfe einer solchen vorgeschalteten „Verwarnung“ sachlich bestimmt, aber ohne dies gleich bis ins Letzte zu eskalieren, eine Verhaltensänderung beim Betriebsrat bewirkt werden.

Isabell Flöter

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Counsel
Isabell Flöter berät Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Bereich des Betriebsverfassungs- und Tarifrechts, der Betreuung von Kündigungsschutzstreitigkeiten und Unternehmenstransaktionen sowie in der Erstellung und Gestaltung von Arbeits-, Änderungs- Abwicklungs- und Aufhebungsverträgen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppeen "ESG" und "Unternehmensmitbestimmung".
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