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Nachweisgesetz: Müssen bald alle Arbeitsverträge geändert werden?

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Das Nachweisgesetz dürfte nicht zu den bekanntesten Arbeitsgesetzen zählen. Ein Blick in das geplante (neue) Nachweisgesetz lohnt bereits jetzt, denn aktuell wird eine neue Fassung diskutiert (BT-Drucks. 20/1636). Die aktuellen Änderungsvorschläge basieren auf einer Richtlinie, die das Ziel hat, mehr Transparenz hinsichtlich der Arbeitsvertragsbedingungen in Europa herzustellen. Dass Transparenz immer auch mit einem gewissen Aufwand für Arbeitgeber verbunden ist, zeigt sich z.B. eindrucksvoll an Art. 15 DS-GVO. Droht auch hier ein Bürokratiehürde? Nicht unbedingt.  

Hintergrund – Anlass der Neuregelung  

Am 31. Juli 2019 ist eine neue EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union („Arbeitsbedingungenrichtlinie“) in Kraft getreten. Diese Richtlinie verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, transparente und vorhersehbarere Beschäftigung sicherzustellen. Die Umsetzung erfolgt über die Ausweitung der arbeitgeberseitigen Unterrichtungspflichten, die im Nachweisgesetz bereits geregelt sind, nun aber erweitert werden sollen. Die Festlegung von Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen in Bezug auf die Höchstdauer einer Probezeit, Mehrfachbeschäftigung, Mindestvorhersehbarkeit der Arbeitsbedingungen und insbesondere die Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts versprechen zumindest auf den ersten Blick Kopfzerbrechen bei den Unternehmen. Aber der Reihe nach.

Kurz erklärt – Was galt bisher nach dem Nachweisgesetz?

In Deutschland regelt bereits jetzt das Nachweisgesetz (NachwG) umfangreiche Informationspflichten, sodass Arbeitnehmer über ihre Vertragsbedingungen Kenntnis haben. In § 2 NachwG ist u.a. geregelt, dass der Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses, bei Befristungen die vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitsort oder (falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll) ein Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden kann, eine kurze Tätigkeitsbeschreibung, Zusammensetzung resp. die Höhe des Arbeitsentgelts, die vereinbarte Arbeitszeit, die Dauer des Erholungsurlaubs, die Kündigungsfristen sowie ein allgemeiner Hinweis auf anwendbare Tarifverträge resp. Betriebsvereinbarungen. Sofern diese Punkte nicht in einem Arbeitsvertrag geregelt sind, haben Unternehmen spätestens einen Monat nach dem Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen.

Das NachwG bezweckt eine Klarstellungsfunktion und soll die Mitarbeiter schützen, die keinen (schriftlichen) Arbeitsvertrag besitzen. Damit ist eine zweite Funktion angesprochen, die das NachwG erfüllen soll, nämlich die Regelung von Arbeitsbedingungen auch in kleineren Unternehmen sowie bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen zu schaffen und illegale Beschäftigungen zu vermeiden. Das Nachweisgesetz bezweckt als dritte Funktion auch, die Vermeidung von Streitigkeiten über Arbeitsbedingungen. Wichtig ist, dass das bisherige deutsche Recht keine Sanktionen kannte, wenn die Nachweispflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt wurden. Auch das ändert sich.

Neuregelungen – Was sich nach den Vorgaben der RL ändern soll: Der Gesetzentwurf

In der Bundestagsdrucksache 20/1636 sind die geplanten Änderungen des Nachweisgesetzes niedergelegt. Insbesondere folgende Änderungen dürften auch auf Deutschland Auswirkungen haben:

  • die Zusammensetzung und der Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind, und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung,
  • die Dauer der Probezeit; bei einem befristeten Arbeitsverhältnis, muss diese zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit in einem angemessenen Verhältnis stehen,
  • die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen,
  • sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen,
  • bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden.
  • Bußgeldvorschriften, wenn wesentliche Vertragsbedingung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigt, eine genannte Niederschrift nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig aushändigt oder eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erfolgt.

Somit werden die Nachweispflichten teilweise ergänzt und neue Informationspflichten hinsichtlich der Probezeit, den Umfang des Fortbildungsanspruchs, Überstunden, Abrufarbeit und die Identität des Versorgungsträgers im Falle der betrieblichen Altersversorgung eingeführt. Es werden auch die Unterrichtungspflichten bei einem Auslandsaufenthalt des Arbeitnehmers in Entsendefällen erweitert.

Welche Auswirkungen auf die Praxis sind zu erwarten?

Für Unternehmen stellt sich jetzt die spannende Frage, welche Auswirkungen die geplanten Änderungen haben. Müssen jetzt alle Arbeitsverträge geändert werden? Die Antwort fällt kurz aus: Nein. Leider muss hier noch ein „aber“ ergänzt werden. Es sind andere Möglichkeiten der Informationen vorgesehen, sodass Altverträge nicht geändert werden müssen. Neue Arbeitsverträge sollten nach der Verabschiedung des Gesetzes allerdings überprüft und angepasst werden. Neben einer Vertragsanpassung ist es auch möglich, ein Informationsblatt dem Arbeitnehmer auszuhändigen, sodass die Aufklärungspflichten erfüllt werden. Neu geplant ist auch, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 1. August 2022 bestanden hat, ebenfalls über alle neu hinzugekommenen Informationen unterrichtet werden müssen, wenn sie dies verlangen.

Arbeitgeber können hier vorsorgen, in dem sie entsprechende Informationen nach der Verabschiedung des Gesetzes bereits entwerfen und in der Schublade haben. Zudem sollten sich Unternehmen auch darauf vorbereiten, dass es möglicherweise ab dem Inkrafttreten des neuen Nachweisgesetzes Anfragen gibt, die zügig bearbeitet werden müssen und entsprechende Prozessschritte vorhalten.

Abschließend ist der Blick auf eine interessante Vorschrift zu lenken, die vorsieht, dass der Arbeitgeber auch über die Vorgaben des Kündigungsschutzes und der entsprechenden Fristen für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu informieren hat. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass diese Pflicht, selbst wenn sie verletzt wird, nicht dazu führt, dass die Kündigung rechtsunwirksam ist. Dennoch werden Arbeitnehmervertreter den Einwand erheben, dass wegen einer diesbezüglich fehlerhaften Unterrichtung die Kündigung unwirksam ist. Bereits jetzt ist diesem Argument entgegenzutreten, denn die Richtlinie spricht zwar auch von Sanktionen, meint aber hier Bußgelder und nicht die Unwirksamkeit von Kündigungen. Somit sollten sich die deutschen Unternehmen auf diese Änderungen einstellen und die Umsetzung in den Blick nehmen.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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