„Arbeitnehmer, die sich während ihres Urlaubs wegen einer Coronainfektion, jedoch ohne ärztliches Attest in behördlich angeordnete Quarantäne begeben müssen, haben keinen Anspruch auf Nachgewährung der Urlaubstage für die Zeiten der Quarantäne“ – dies war die bisherige von der Rechtsprechung nahezu einhellig vertretene Rechtsauffassung. In einem vergleichbaren Fall hat das LAG Hamm nun überraschend einem Arbeitnehmer die Nachgewährung von Urlaubstagen zugesprochen.
Jeder Arbeitnehmer hat pro Kalenderjahr einen gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Urlaub (§ 1 BUrlG). Zweck des Urlaubs ist die Erholung sowie der Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers. Um den Erholungszweck des Urlaubs nicht zu gefährden, sieht § 9 BUrlG vor, dass die durch ärztliches Attest nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit während eines Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden.
Doch was passiert, wenn sich ein Arbeitnehmer während seines Urlaubs aufgrund einer Coronainfektion (oder eines bloßen Infektionsverdachts), jedoch ohne ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in behördlich angeordnete Quarantäne begeben muss? Bleibt für diese Zeiten der Quarantäne der Urlaubsanspruch weiter bestehen und muss zu einem späteren Zeitpunkt vom Arbeitgeber erneut gewährt werden?
Bisherige Rechtsprechung
Das Arbeitsgericht Bonn hatte sich vergangenes Jahr mit dieser Frage zu befassen und entschied, dass eine Nachgewährung von Urlaubstagen auch im Fall einer Quarantäneanordnung wegen einer Infektion mit dem Coronavirus ohne ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht in Betracht käme, da die Voraussetzungen des § 9 BUrlG nicht erfüllt wären und es für eine analoge Anwendung an einer planwidrigen Regelungslücke fehle (lesen Sie hierzu auch unseren Blogbeitrag Keine Nachgewährung von Urlaub bei Corona-Quarantäne von Dr. Alexa Paehler, LL.M.). In zweiter Instanz hat das LAG Köln (vgl. Urteil v. 13.12.2021 – 2 Sa 488/21) die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn bestätigt. Auch das LAG Düsseldorf (vgl. Urteil v. 15.10.2021 – 7 Sa 857/21) hat in einem ähnlich gelagerten Fall diese Rechtsauffassung vertreten.
Diese Entscheidungen waren nachvollziehbar und daher zu begrüßen.
LAG Hamm gewährt Urlaubstage während Quarantäne nach
Das LAG Hamm hat in einem vergleichbaren Fall nun jedoch eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten und entschieden, dass die Zeiten der Quarantäne in analoger Anwendung des § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen und dem klagenden Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt nachzugewähren sind (vgl. Urteil v. 27.01.2022 – 5 Sa 1030/21).
Das Gericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Fall einer angeordneten Quarantäne mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers vergleichbar sei. Insbesondere komme es nicht darauf an, wie der betroffene Arbeitnehmer die Quarantäne empfinde oder ob er der Quarantäne positive Aspekte abzugewinnen könne. Vielmehr stehe die Anordnung einer Quarantäne immer einem wesentlichen Aspekt der Urlaubsgewährung entgegen, die darin bestehe, die Urlaubsgestaltung frei zu bestimmen bzw. selbstbestimmt zu gestalten. Genau dies verhinderten jedoch die geltenden Quarantäne-Regelungen, da sie bestimmten, wo sich eine Person aufzuhalten habe, mit wem sie Kontakt haben dürfe und ob sie sich gegebenenfalls Untersuchungen unterziehen müsse. Ebenfalls zu berücksichtigen sei dabei, dass dieser Zeitraum auch mit der Belastung verbunden sei, jederzeit einen schweren Ausbruch der Erkrankung erfahren zu können.
Erholung trotz Quarantäne weiterhin möglich
Die Rechtsauffassung des LAG Hamm überzeugt nicht. Zwar ist es richtig, dass der sich in Quarantäne befindliche Arbeitnehmer in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt ist. Der Erholungszweck des Urlaubs kann auch während der Quarantäne – trotz örtlicher Einschränkung – weiterhin erreicht werden.
Auch gibt es vergleichbare Umstände, die einer Erholung im Urlaub entgegenstehen können, beispielsweise die Erkrankung des (Ehe-)Partners, die nicht nur einen (gemeinsamen) Genuss des Urlaubs erschweren, sondern auch zu Betreuungsnotwendigkeiten für gemeinsame Kinder führen können. Hier würde jedoch, da das urlaubsstörende Ereignis in der Risikosphäre des Arbeitnehmers liegt, nicht die Rechtsfolge von § 9 BUrlG ausgelöst werden; weder unmittelbar noch in analoger Anwendung. Daher kann nicht jede Einschränkung des Erholungswertes eines Urlaubs zu einem Nachgewährungsanspruch für den Arbeitnehmer führen.
Fehlende planwidrige Regelungslücke
Darüber hinaus scheitert die vom LAG Hamm vorgenommene analoge Anwendung der Norm an der zwingend erforderlichen, hier jedoch fehlenden planwidrigen Regelungslücke. Eine Regelungslücke liegt vor, wenn der Sachverhalt nicht unter den Wortlaut des Gesetzes subsumierbar ist (hier Arbeitsunfähigkeit ≠ Quarantäne). Planwidrig ist eine solche Lücke, wenn anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber bei der Regelung eines Sachverhaltes (hier § 9 BUrlG) es irrtümlich unterlassen hat, eine Regelung für ein konkretes Szenario zu treffen. Bei der Schaffung von § 9 BUrlG im Jahre 1963 waren Unterscheidungen zwischen Krankheit und bloßer seuchenbezogener Risiken, die schon damals zu einer Quarantäneanordnung führen konnten, bereits bekannt. Zu dieser Zeit galt das Bundesseuchengesetz. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des § 9 BUrlG daher den Anwendungsbereich bewusst auf den Fall der Arbeitsunfähigkeit beschränkt und behördliche Quarantäneszenarien ausgeklammert.
Im Ergebnis kann daher für die Beurteilung, ob es zu einer Nachgewährung von Urlaubstagen gemäß § 9 BUrlG kommen muss, nur entscheidend sein, ob der Arbeitnehmer während seines Urlaubs nachweislich arbeitsunfähig erkrankt war.
Praxishinweise
Die sich gegen die bisherige Rechtsprechung der Instanzengerichte wendende Entscheidung des LAG Hamm führt zu einer vorübergehenden Unsicherheit für die Praxis. Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht die Frage der Nachgewährung von Urlaubstagen während einer behördlich angeordneten Quarantäne in absehbarer Zeit beantworten wird. Gegen die Entscheidung des LAG Hamm ist gegenwärtig die Revision beim BAG anhängig.
Arbeitgebern ist bis dahin weiterhin zu empfehlen, Arbeitnehmern unter Verweis auf die herrschende Rechtsprechung die Nachgewährung von Urlaubstagen für Zeiten behördlich angeordneter Quarantäneanordnung zu verweigern, sofern diese für den streitigen Zeitraum nicht zusätzlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt haben.