Das Jahr 2021 ist fast vorbei. Zur Anheizung der weihnachtlichen Vorfreude kommt hier wieder unser Jahresrückblick auf eine Reihe beachtenswerter arbeitsrechtlicher Urteile. Von Krank(feiern), über Urlaub bei Kurzarbeit, bis hin zu Compliance-Ermittlungen und Betriebsübergängen ist alles dabei.
Auch im Jahr 2021 gab es wieder eine Reihe beachtenswerter Gerichtsentscheidungen, die in einem arbeitsrechtlichen Jahresrückblick nicht fehlen dürfen. Unsere diesjährige Top 5 möchten wir Ihnen gerne auch in diesem Jahr vorstellen (lesen Sie zum letzten Jahr unseren Blogbeitrag vom 10. Dezember 2020). Für Hintergrundinformationen haben wir die jeweiligen Blog-Beiträge zu den einzelnen Themen verlinkt.
Der Beweiswert einer Krankschreibung ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21) jedenfalls dann erschüttert, wenn der Arbeitnehmer am Tag der Krankschreibung sein Arbeitsverhältnis gekündigt hat und die Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.
Insbesondere bei Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, bspw. aufgrund eines Jobwechsels, kommt es immer wieder vor, dass im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt wird und die Kündigungsfrist (mutmaßlich) „krankgefeiert“ wird. Dem Arbeitgeber entstehen durch den Ausfall in der Kündigungsfrist bzw. die nicht abbaubaren etwaigen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers zusätzliche Kosten.
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist zwar das gesetzlich vorgesehene Beweismittel, der Arbeitgeber kann jedoch deren Beweiswert erschüttern. Dazu hat der Arbeitgeber tatsächliche Umstände vorzutragen und ggf. zu beweisen, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Gelingt ihm dies, ist es Sache des Arbeitnehmers die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit darzulegen und zu beweisen. Anlass zu ernsthaften Zweifeln bestehen nach der Entscheidung des BAG jedenfalls dann, wenn die Krankschreibung auf den Tag der Kündigung datiert ist und die gesamte Kündigungsfrist passgenau umfasst. Im hier entschiedenen Fall gelang es der Arbeitnehmerin nicht, ihre Arbeitsunfähigkeit konkret darzulegen.
Die Entscheidung hat zur Folge, dass der Beweiswert von Krankschreibungen nun nicht mehr unerschütterlich ist. Die Vorinstanzen hatten noch keinen Anlass für ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit gesehen. Auf arbeitgeberseitige Kündigungen sind diese Grundsätze nach unserer Auffassung und ähnlich typische Sachverhalte zu übertragen.
Nachdem zunächst das LAG Düsseldorf entschied, dass der Arbeitgeber bei einem Lockdown zum Schutz der Bevölkerung allein das Risiko der Betriebsschließung tragen und weiter Annahmeverzugslohn zahlen solle, schaffte das BAG nun klare Verhältnisse (BAG vom 13. Oktober 2021 – 5 AZR 211/21).
Anders als noch die Vorinstanzen entschied das BAG, dass der Arbeitgeber nicht das Risiko eines Arbeitsausfalls trage, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen durch behördliche Anordnungen flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen würden. In einem solchen Fall realisiere sich nicht das Betriebsrisiko des einzelnen Betriebs. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei statt dessen Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer Gefahr, die die gesamte Gesellschaft betrifft.
Durch die Entscheidung wird klargestellt, dass es Sache des Staates ist, für die durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden Nachteile einen finanziellen Ausgleich vorzusehen. Diese Bürde kann nicht einseitig den Arbeitgebern auferlegt werden. Zwar ist die Einführung von Kurzarbeit in den meisten Fällen das Mittel der Wahl, in dem hier entscheidenden Fall war Kurzarbeit jedoch aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung nicht möglich, weil es mangels Sozialversicherungspflicht an einer der persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld fehlte.
Weiter bestätigte das BAG eine weitere vielbeachtete Entscheidung des LAG Düsseldorf (LAG Düsseldorf vom 12.03.2021 — 6 Sa 824/20) zur anteiligen Kürzung des gesetzlichen Urlaubsanspruch für Zeiten, in denen die Arbeitspflichtpflicht infolge Kurzarbeit vollständig aufgehoben ist, („Kurzarbeit Null“). Das LAG entschied, dass auch bei im Falle der Einführung von Kurzarbeit die betreffenden Arbeitnehmer wie Teilzeitbeschäftigte zu behandeln seien. Danach ist der gesetzliche Anspruch auf Erholungsurlaub im Verhältnis zur geschuldeten Arbeitszeit anteilig zu kürzen. Für Zeiten, in denen Kurzarbeit Null gilt, bestehe dementsprechend auch kein Urlaubsanspruch.
In einem bisher unveröffentlichten Urteil des BAG (BAG vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21) bestätigte dieses das Urteil des LAG Düsseldorfs und stellte sich somit in eine Linie mit der Rechtsprechung des EuGH. Dieser geht bei Kurzarbeit Null für das europäische Urlaubsrecht ebenfalls von einer anteiligen Kürzung des Mindesturlaubsanspruch gem. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG aus.
Eine weitere wichtige Entscheidung fällte das BAG zu der Erstattung von Kosten einer Compliance-Ermittlung durch den überführten Arbeitnehmer (BAG vom 29. April 2021 – 8 AZR 276/20). Das BAG hat klargestellt, dass die Kosten einer Compliance-Ermittlung nach Feststellung einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung zurückgefordert werden können. Dies gilt insbesondere auch für die erforderlichen Kosten einer externen Anwaltskanzlei.
12a ArbGG, der einen umfangreichen Kostenerstattungsausschluss auch für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten enthält, stand der Erstattung nicht entgegen. § 12a ArbGG sei seinem Sinn und Zweck nach nicht anzuwenden, wenn Ermittlungsmaßnahmen infolge einer vorsätzlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen unerlaubten Handlung erforderlich werden. Ein solcher Arbeitnehmer ist laut BAG im Ergebnis nicht schutzwürdig.
Zwar ließ das BAG den Erstattungsanspruch in dem vorliegenden Fall am Merkmal der Erforderlichkeit scheitern. Hiernach sind nur solche Ermittlungskosten zu ersetzen, die ein „vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich“ aufgewandt hätte. Nach Ansicht des BAG hatte der Arbeitgeber die Erforderlichkeit nicht ausreichend dargelegt. Gelingt der Nachweis der Erforderlichkeit, sind Kosten für Compliance-Untersuchungen aber erstattungsfähig. Arbeitgeber sollte daher vor Beginn derartiger Untersuchungen sorgfältig prüfen und aktenkundig nachhalten, welche Ermittlungsmaßnahmen für erforderlich gehalten werden.
Das BAG entschied außerdem über den Fall sogenannter Widersprecher und Annahmeverzugslohn (BAG vom 19. Mai 2021 – 5 AZR 420/20). Wer nach einem Widerspruch gegen einen Betriebsübergang sein Gehalt weiter beziehen wolle, müsse jedenfalls vorübergehend auf Weisung des Arbeitgebers bei der Betriebserwerberin arbeiten.
Die Beklagte hatte im Rahmen einer Ausgliederung als Betriebsveräußerin mit dem Betriebserwerber vereinbart, dass im Falle von Widersprüchen gegen den Betriebsübergang die bei dem Erwerber dadurch entstehende Vakanz für einen Zeitraum von zwölf Monaten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung „kompensiert“ werden soll. Die Klägerin lehnte es ab, nach ihrem Widerspruch beim Erwerber als Leiharbeitskraft eingesetzt zu werden. Nachdem die Beklagte die Gehaltszahlung verweigerte, klagte die Arbeitnehmerin auf Annahmeverzugslohn.
Das BAG entschied, dass ein Anspruch der Klägerin auf Annahmeverzugslohn nicht besteht. Die angebotene Beschäftigung ist zumutbar, weil dieselbe Tätigkeit wie zuvor am selben Arbeitsort für die gleiche Vergütung ausgeführt wird. Auch stelle § 615 S. 2 BGB nicht auf die vertraglich geschuldete, sondern auf eine zumutbare anderweite Verdienstmöglichkeit ab.
Die begrüßenswerte Entscheidung ist vor allem für die Vertragsgestaltung bei M&A-Unternehmenskaufverträgen von besonderer Bedeutung. Der Widerspruch beim Betriebsübergang dürfte in Zukunft somit deutlich unattraktiver und Kostenrisiken aus Verkäufersicht vermieden werden.