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Ist der (Haus-) Tarifvertrag jetzt allgemeinverbindlich?

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Das BAG sagte mit Urteil vom 13. Oktober 2021 der klagenden Gewerkschaft die Anwendung eines (Haus-) Tarifvertrages zu, auch wenn die vom (Haus-) Tarifvertrag erfassten Mitarbeiter nicht namentlich benannt werden. Gewerkschaften können „vorerst anonym“ die Rechte ihrer Mitglieder geltend machen.

Die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ist ein Tabu. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Mitglied in einer Gewerkschaft, doch niemand spricht darüber. Insbesondere soll der Arbeitgeber nicht von einer Gewerkschaftszugehörigkeit erfahren. Doch wie können Gewerkschaften die Rechte ihrer Mitglieder durchsetzen ohne die Namen ihrer Mitglieder preisgeben zu müssen? Recht haben und Recht bekommen geht zunächst auch anonym, so das BAG nun in einer aktuellen Entscheidung (Az. 4 AZR 403/20), zu der bislang nur die Pressemitteilung vorliegt.

Worum ging es?

Gewerkschaft und Arbeitgeber stritten um einen Anspruch auf Tariferfüllung. Die Klägerin ist eine im Betrieb der Beklagten, einer Landesrundfunkanstalt, vertretene Gewerkschaft. Die Parteien schlossen mehrere Haustarifverträge. Einer dieser Haustarifverträge ist ein Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen, in dem das Honorar für verschiedene Leistungen festgelegt ist. Die Beklagte vergütete zunächst alle bei ihr beschäftigten arbeitnehmerähnlichen Personen nach diesem Tarifvertrag nach entsprechenden Honorarkennziffern – unabhängig von einer Tarifbindung; die Arbeitsverträge enthielten entsprechende Bezugnahmeklauseln.

Im November 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ab Ende des Jahres 2016 die in der neuen Redaktion eingesetzten arbeitnehmerähnlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – entgegen der Regelungen im Haustarifvertrag – pauschal pro Schicht vergüten werde.

Die Klägerin sah darin einen Verstoß gegen den Haustarifvertrag und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, die Vergütungsregelungen des Haustarifvertrages auf die bei ihr beschäftigten arbeitnehmerähnlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzuwenden. Hilfsweise beschränkte die Klägerin den Antrag auf die „Mitglieder der Klägerin [der Gewerkschaft]“ – ohne namentliche Nennung der Gewerkschaftsmitglieder. Die Klage wurde erst- und zweitinstanzlich abgewiesen. Das BAG hingegen gab der Klage teilweise statt und weichte damit die Anforderungen an einen bestimmten Klageantrag auf.

Nach den Vorinstanzen sind Anträge ohne Nennung der konkreten Mitarbeiter unzulässig

Die Vorinstanzen wiesen sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag als unzulässig ab. Der Hauptantrag erfasse alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sei damit zu weit. Der Hilfsantrag sei zwar nicht zu weit, es sei aber nicht erkennbar, welche konkreten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davon umfasst sein sollen.

Eine Gewerkschaft habe kein rechtlich schützenswertes Interesse, die Regelungen des Haustarifvertrages generell durchzusetzen. Der Haustarifvertrag sei nicht allgemeinverbindlich. Eine klagende Gewerkschaft vertritt nur ihre Mitglieder und spricht für diese. Eine Bezugnahmeklausel in einem Arbeitsvertrag ändere hieran nichts.

Auch der Hilfsantrag sei nicht erfolgsversprechend. Es scheitert an der Bestimmtheit des Hilfsantrages. Ein Leistungsantrag müsse so genau bezeichnet sein, dass ohne Weiteres erkennbar sei, was nach einem stattgebenden Urteil zu tun sei. Da der Hilfsantrag nur anonym auf „Mitglieder der Gewerkschaft“ bezogen sei, könne die Beklagte bei einem Klageerfolg nicht unmittelbar der Entscheidung entnehmen, wem gegenüber der Haustarifvertrag durchzuführen sei.

Mit anderen Worten: Die Gewerkschaftsmitgliedschaft ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht „auf die Stirn geschrieben“. Für einen Arbeitgeber ist im Obsiegensfall einer Gewerkschaft nicht erkennbar, wer denn „Mitglieder der Gewerkschaft“ ist. Gehören Frau Schmid und Herr Müller auch dazu? Es wäre damit nur ohne weiteres erkennbar, was zu tun sei, wenn die Namen der Gewerkschaftsmitglieder genannt werden.

BAG löst Zwickmühle der Gewerkschaften auf

Nach der Entscheidung der Vorinstanzen befanden sich die Gewerkschaften in einer Zwickmühle. Entweder sie klagen den Anspruch für alle ein – wie in diesem Fall durch den Hauptantrag geschehen – dann verlieren die Gewerkschaften vor Gericht oder sie klagen den Anspruch für ihre namentlich benannten Mitglieder ein – dann geben sie die Anonymität ihrer Mitglieder auf.

Dieses Dilemma der Gewerkschaften hat das BAG erkannt und hierfür einen Lösungsweg gefunden. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen gab das BAG dem Hilfsantrag statt. Der Hilfsantrag sei zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt, und begründet. Der schuldrechtliche Anspruch auf Durchführung eines zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft geschlossenen Haustarifvertrages ist auf Mitglieder der Gewerkschaft beschränkt. Für die Bestimmtheit des Hilfsantrages ist es jedoch nicht erforderlich, die Namen der Mitglieder schon im arbeitsgerichtlichen Prozess zu benennen.

Fazit und Praxisfolgen

Das BAG stärkt mit dieser Entscheidung zwar die prozessualen Rechte der Gewerkschaften. Daraus folgt aber nicht, dass ein Tarifvertrag plötzlich „allgemeinverbindlich“ wird. Der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können einen – ggf. durch die Gewerkschaft erkämpften – tarifvertraglichen Anspruch nur dann durchsetzen, wenn sie sich zu der Gewerkschaftsmitgliedschaft gegenüber dem Arbeitgeber auch bekennen.

Nachdem die Namensnennung also noch nicht im arbeitsgerichtlichen Prozess erforderlich ist, ist sie es weiterhin nach dem arbeitsgerichtlichen Prozess. Über das bisherige Tabu der Gewerkschaftszugehörigkeit muss also spätestens dann gesprochen werden. Denn für die Durchsetzung ist es erforderlich, dass eine Frau Schmid oder ein Herr Müller erklären, dass sie die „Mitglieder der Gewerkschaft“ sind.

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