Drei Jahre nach in Kraft treten der Datenschutz-Grundverordnung zeigt sich: Der Auskunftsanspruch wird gegenüber Arbeitgebern auch für taktische Manöver eingesetzt. Nun hat der Bundesgerichtshof, höchstes deutsches Zivilgericht, noch vor dem Bundesarbeitsgericht mehrere offene Fragen zum Auskunftsanspruch entschieden. Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.
Die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) findet seit Mai 2018 Anwendung. Seither erfreuen sich Auskunftsansprüche nach Art. 15 DS-GVO gegen den Arbeitgeber zunehmender Beliebtheit. In vielen Fällen sind diese Auskunftsansprüche eher ein taktisches Mittel in einer Rechtsstreitigkeit, in der es eigentlich um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht. Gelegentlich sind sie auch das alleinige Ziel des Klägers im bereits beendeten Arbeitsverhältnis. Auch wenn diese Auskunftsansprüche nicht immer datenschutzrechtlich versiert geltend gemacht werden, ist die Wirkung eines solchen Anspruchs dennoch nicht zu unterschätzen. Umso wichtiger ist daher die Klärung von Voraussetzungen und Umfang des Anspruchs durch die Rechtsprechung.
Die große BAG-Entscheidung zum Thema fehlt noch
Mittlerweile hatten diverse Arbeits- und Landesarbeitsgerichte Gelegenheit, sich mit Auskunftsansprüchen nach Art. 15 DS-GVO auseinanderzusetzen. Eine fundierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Thema steht noch aus. Zur Erinnerung – der Verhandlungstermin am 02.09.2020 in dem Revisionsverfahren vor dem BAG 5 AZR 66/99 über die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 20.12.2018 – 17 Sa 11/18 war kurzfristig abgesagt worden. Die Parteien hatten sich in letzter Minute geeinigt. In jenem Verfahren, der umfangreichen Trennungsstreitigkeit eines Volljuristen gegen den Autohersteller Daimler, hatte der Kläger erst im Rahmen der Anschlussberufung einen Auskunftsanspruch geltend gemacht und war damit vor dem LAG erfolgreich.
Am 27.04.2021 hat der 2. Senat des BAG den Antrag des dort klagenden Wirtschaftsjuristen nach einem nur einmonatigem Arbeitsverhältnis auf Überlassung einer Kopie von E-Mails kurzerhand mangels hinreichender Bestimmtheit abgelehnt und auf die Möglichkeit der Stufenklage nach § 254 ZPO verwiesen (BAG, Urt. v. 27.04.2021 – 2 AZR 342/20, vgl. hierzu unser Blog vom 26.05.2021). Eine Entscheidung in der Sache erging daher ebenfalls nicht.
Aktuelle Entscheidung des BGH zum Auskunftsanspruch
Nunmehr hatte der Bundesgerichtshof (BGH) Gelegenheit, über den Umfang eines Auskunftsanspruches und insbesondere über den Umfang der Verpflichtung zur Erteilung einer Kopie der personenbezogenen Daten nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO zu entscheiden (Entscheidung vom 15.06.2021 – VI ZR 576/19). Im konkreten Fall ging es um einen ehemaligen Kunden der beklagten Versicherung, somit nicht um ein Arbeitsverhältnis. Dennoch sollte diese Entscheidung auch in der arbeitsrechtlichen Praxis sorgfältig studiert werden. Die wesentlichen Inhalte sind:
- Der Kläger ist auch dann berechtigt, eine Kopie der ihn betreffenden personenbezogenen Daten zu erhalten, wenn ihm diese Schreiben jedenfalls teilweise bereits bekannt sind, etwa weil es sich um zurückliegende Korrespondenz der Parteien handelt. Anders als in der Vorinstanz entschieden (und auch anders als auf Basis der dort gestellten Anträge das Arbeitsgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 5.3.2020 – 9 Ca 6557/18, Rz. 95, – siehe hierzu unser Blog vom 2.3.2020), beschränke sich das Auskunftsrecht nach Art. 15 DS-GVO nicht auf solche Daten, die dem Betroffenen noch nicht bekannt sind. Der Auskunftsberechtigte könnte grundsätzlich auch wiederholt Auskunft verlangen (so der BGH unter Hinweis auf EG 63 S. 1 DS-GVO, 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO, wonach im Fall wiederholter Auskunftsersuchen ggf. ein Entgelt verlangt werden darf).
- Der vom Kläger im Prozess formulierte Antrag auf Erteilung „einer vollständigen“, über den Umfang der im Prozess eingereichten Anlagen hinausgehenden „Datenauskunft“ durch Überlassen einer Kopie sei daher hinreichend bestimmt im Sinne von 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Anders als das BAG in der soeben erwähnten Entscheidung vom 27.04.2021 hat der BGH hier das Verlangen nach einer „vollständigen Auskunft“ als ausreichend angesehen, weil sich deren Umfang letztlich bereits aus dem Gesetz ergäbe.
- Wenig überraschend ist, dass die Beklagte verurteilt wurde, auch interne Vermerke und Kommunikation herauszugeben, soweit diese Informationen über den Kläger enthielten. Auch dabei handelt es sich um personenbezogene Daten, und vorbehaltlich eines besonderen Geheimhaltungsinteresses (hierzu sogleich) sind sie nicht per se vom Auskunftsanspruch ausgenommen.
- Wichtig und nützlich für Datenverantwortliche ist hingegen der Hinweis des Gerichts, der Auskunftsanspruch bestehe insoweit nicht, wie es dem Verantwortlichen gelinge, den mit der Erfüllung des Auskunftsanspruchs verbundenen unverhältnismäßigen Aufwand oder ein entgegenstehendes Geheimhaltungsinteresse darzulegen. Die datenschutzrechtlichen Ansprüche des jeweiligen Klägers seien möglicherweise teilweise oder ganz unbegründet
- nach 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO (offenkundig unbegründet oder exzessiver Charakter des Auskunftsantrags, was zB bei nicht näher eingegrenzten Ansprüchen auf Herausgabe von Kopien aller E-mails aus dem Arbeitsverhältnis ein üblicher Einwand ist),
- nach 15 Abs. 4 DS-GVO (Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten anderer Personen, relevant z.B. für betriebliche Geheimnisse des Verantwortlichen)
- oder nach 23 Abs. 1 DS-GVO in Verbindung mit § 29 Abs. 1 S. 2 BDSG (Geheimhaltungsinteresse, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, relevant in der Praxis z.B. für die Namen von Kollegen oder Kunden, die in den Dokumenten erwähnt und daher zu schwärzen sind).
- Offen gelassen wurde in der Entscheidung des BGH, ob 260 Abs. 2 BGB auch auf den Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO anzuwenden ist, ob also der Beklagte bei Anlass zu Zweifeln verpflichtet werden kann, die Vollständigkeit der Auskunft zu Protokoll ein Eidesstatt zu versichern.
- Ausgenommen von Auskunftsansprüchen sind nach der Entscheidung des BGH rechtliche Analysen, auch wenn diese den Anspruchsteller betreffen. Die auf der Grundlage dieser personenbezogenen Daten vorgenommene Beurteilung der Rechtslage selbst sei keine Information über den Betroffenen und stellt daher kein personenbezogenes Datum dar, führt der BGH aus unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.07.2014 – RS C-141/12 und C-372/12, Rz. 33 ff. Das ist eine wichtige und erfreuliche Klarstellung, da dies nicht nur die Korrespondenz mit externen Anwälten, sondern auch mit der internen Rechtsabteilung betrifft.
Fazit
Das Datenschutzrecht ist von den ordentlichen Gerichten und der Arbeitsgerichtsbarkeit gleichermaßen anzuwenden. Es lohnt sich daher der Blick über den Tellerrand. Wie die jüngsten Entscheidungen zeigen, können Anspruchsteller Fehler machen bei der inhaltlichen Eingrenzung ihrer Ansprüche und bei der Formulierung der Klageanträge. Auf Seiten des Verantwortlichen, und damit des Arbeitgebers, ist vor allem die interne Abwägung und sodann die prozessuale Darlegung der entgegenstehenden Geheimhaltungsinteressen eine wichtige Aufgabe.