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Ewiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats? – Passé!

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Das Arbeitsgericht Stuttgart stellt klar: Betriebsräte können Mitbestimmungsrechte nicht ohne zeitliche Begrenzung gerichtlich geltend machen.

Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsrechte unterliegen grundsätzlich keiner zeitlichen Begrenzung. Betriebsräte fordern daher teilweise auch noch lange Zeit nach dem Ende einer Maßnahme ihre Beteiligung ein. Das kann erhebliche Nachteile für den Arbeitgeber mit sich bringen. Dieser Praxis zeigt das Arbeitsgericht Stuttgart in einer bemerkenswerten Entscheidung nunmehr Grenzen auf.

Sachverhalt und Hintergrund der Entscheidung

Die ausländische Muttergesellschaft eines internationalen Konzerns legte ein konzernweites Bonusprogramm für Mitarbeiter bestimmter Hierarchieebenen auf. Sie regelte die Budgetierung und sämtliche Bedingungen, unter denen der Bonus zur Auszahlung kommen sollte (allein konzernweite Finanzkennzahlen) selbst. Die lokalen Gesellschaften – so auch der deutsche Arbeitgeber – hatten weder bei der Budgetierung, noch bei der Verteilung der Geldmittel irgendwie geartete Entscheidungsbefugnisse, sondern agierten als reine Zahlstellen. Auch in den Arbeitsverträgen der deutschen Arbeitnehmer fand der Bonus keine Erwähnung, sondern er wurde vielmehr direkt von der ausländischen Muttergesellschaft an die betroffenen Mitarbeiter kommuniziert.

Als der Bonus zur Auszahlung kommen sollte, machte der Betriebsrat gegenüber dem deutschen Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geltend. Dieser wies das Ansinnen zurück. Der Bonus wurde anschließend ausgezahlt. Erst über zwei Jahre später wandte sich der Betriebsrat an das Arbeitsgericht Stuttgart und beantragte die Einsetzung einer Einigungsstelle.

Zeitliche Beschränkung einer prozessualen Geltendmachung des Mitbestimmungsrechts

Bei einer materiell-rechtlichen Prüfung des Falls hätte das Arbeitsgericht Stuttgart zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine Einigungsstelle offensichtlich unzuständig und daher nicht einzusetzen wäre (§ 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Bezüglich eines reinen Konzernbonusprogramms einer ausländischen Muttergesellschaft ohne eigene Entscheidungsbefugnisse des deutschen Arbeitgebers ist eine Mitbestimmung des Betriebsrats eindeutig und zwingend ausgeschlossen. Wenn der Arbeitgeber nicht entscheiden kann, muss (und kann) er auch nicht beteiligen.

Das Arbeitsgericht Stuttgart wählte jedoch in seinem Beschluss vom 07.06.2021 (Az.: 7 BV 103/21) einen anderen Weg. Es ließ die Frage der offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle offen und wies den Antrag des Betriebsrats bereits aufgrund prozessualer Verwirkung gemäß § 242 BGB als unzulässig zurück. Zwar sei eine materiell-rechtliche Verwirkung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats nicht möglich. Jedoch könne eine prozessuale Geltendmachung dieser Rechte – so insbesondere der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle – ausgeschlossen sein. Hierfür müsse zum einen das Mitbestimmungsrecht über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht worden sein und zum anderen der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände nun nicht mehr mit einer Geltendmachung durch den Betriebsrat rechnen dürfen. Diese Anforderungen sah das Arbeitsgericht Stuttgart als erfüllt an. Der Betriebsrat habe über zwei Jahre mit seinem Antrag zugewartet, ohne hierfür eine schlüssige Erklärung liefern zu können. Da der Bonus in der Zwischenzeit auf Weisung der ausländischen Muttergesellschaft durch den deutschen Arbeitgeber ausgezahlt worden sei, habe sich dieser darauf verlassen dürfen, dass der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht mehr einfordern werde. Angesichts des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) hätte der Betriebsrat ein etwaiges Mitbestimmungsrecht vielmehr zeitnah gerichtlich geltend machen müssen.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart ist bemerkenswert. Bislang wurde das Konstrukt einer prozessualen Verwirkung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zwar angedeutet aber kaum angewendet. Das Arbeitsgericht Stuttgart zeigt sich hier jedoch mutig und liefert mit der prozessualen Verwirkung eine überzeugende Begründung für die Zurückweisung des Antrags des Betriebsrats. Dadurch wird ein in der Praxis großes Risiko für Arbeitgeber und ein korrespondierendes Missbrauchspotential für Betriebsräte effektiv beschränkt. Bei Anwendung der Grundsätze über die prozessuale Verwirkung ist es für Betriebsräte zukünftig nicht mehr ohne weiteres möglich, die Auszahlung von Boni durch den Arbeitgeber – aus Nachlässigkeit oder Berechnung – abzuwarten, um im Nachhinein ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geltend zu machen und so unter Umständen zusätzliche Zahlungen durch den Arbeitgeber zu erzwingen. Das ewige Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist passé.

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