Weigert sich ein Arbeitnehmer, seine Arbeit vor Ort im Betrieb zu erbringen, weil er seine bevorstehende Urlaubsreise nicht durch eine Corona-Infektion gefährden möchte, kann dies nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Kiel eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Steht in Zeiten der Corona-Pandemie ein Urlaub an, ist die Befürchtung vieler, sich kurz vor der Abreise mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu infizieren. Eine Tätigkeit aus dem Homeoffice scheint aus Sicht des Arbeitnehmers geeignet, das Risiko einer Infektion zu reduzieren. Doch was, wenn der Arbeitgeber vor einem geplanten Urlaub die Weisung erteilt, im Betrieb zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter anwesend zu sein? Darf der Arbeitgeber im Falle der Weigerung im Betrieb zu erscheinen kündigen? Diese Fragen beantwortet das Arbeitsgericht Kiel in seiner Entscheidung vom 11.3.2021.
Worum geht es in der Entscheidung?
Der Kläger ist als Web-Entwickler bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Nachdem er der Arbeitgeberin im März 2020 mitgeteilt hatte, dass er Risikopatient sei, setzte er seine Tätigkeit aus dem Homeoffice fort. Für den Zeitraum ab Mitte Dezember 2020 beantragte der Kläger Erholungsurlaub. Diesen genehmigte die Arbeitgeberin und wies den Kläger gleichzeitig an, ab Anfang Dezember bis zu seinem Urlaubsantritt zwei neue Mitarbeiter vor Ort im Betrieb einzuarbeiten. Diese sollten den Kläger während seiner urlaubsbedingten Abwesenheit vertreten. Aufgrund des einzigartigen Aufgabenzuschnitts seiner Position war nur er in der Lage, die zweiwöchige Einarbeitung durchzuführen. Bereits am zweiten Tag der Einarbeitung brach der Kläger diese ab. Er teilte der Arbeitgeberin mit, die Einarbeitung sei beendet. Diese Ansicht teilte die Arbeitgeberin nicht. Vielmehr forderte sie den Kläger mehrmals auf, die Einarbeitung im Betrieb fortzusetzen. Dies verweigerte der Arbeitnehmer. Er teilte mit, er wolle nicht persönlich im Betrieb erscheinen. Seine Urlaubsreise sei bereits geplant und er wolle nicht das Risiko eingehen, sich zuvor im Betrieb mit Corona zu infizieren. Die Nachfrage, ob dies seine endgültige Entscheidung sei, bejahte er. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich.
Wichtiger Grund „an sich“
Zunächst stellt das Arbeitsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG fest, dass die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, „an sich“ geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Eine solche nimmt das Arbeitsgericht an und führt dazu im Wesentlichen aus:
Weisung berechtigt erfolgt
Die Weisung der Arbeitgeberin, die Einarbeitung im Betrieb durchzuführen, sei berechtigt gewesen. Durch seine vorherige Tätigkeit im Homeoffice habe sich der Tätigkeitsort nicht auf das Homeoffice konkretisiert.
Die Weisung entspreche zudem dem billigen Ermessen nach 315 BGB. Die Weisung sei nicht etwa daher unbillig, weil ein Zwang zum Homeoffice bestand. Ein solcher ergebe sich nicht aus der Pflicht zur Einhaltung von Schutzmaßnahmen aus § 618 BGB i.V.m. den damals geltenden Sars-Cov-2 Arbeitsschutzstandard und Arbeitsschutzregeln. Zudem sei im Falle des Klägers kein derartig hohes Risiko eines schweren Corona-Erkrankungs-Verlaufs zu befürchten, dass jegliche Beschäftigung im Betrieb mit anderen Mitarbeitern unverantwortlich wäre. Zu Gunsten der Arbeitgeberin führt das Arbeitsgericht zudem insbesondere an, dass sie die Einarbeitung von Mitarbeitern in Präsenz organisieren dürfe. Darüber hinaus habe sie bei der Ermessensausübung auf keinen Fall das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser tatsächlich seinen Urlaub antreten könne, indem er sich vorab quasi in häusliche Quarantäne begebe. Die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung sei keine Vorbereitung für einen geglückten Urlaub.
Beharrliche Weigerung
Weiterhin stellt das Arbeitsgericht fest, dass die Weigerung des Klägers beharrlich gewesen sei. Er habe trotz zwischenzeitlicher Überlegungszeit die Einarbeitung im Betrieb mehrfach verweigert. Diese sei daher als sein letztes Wort zu verstehen.
Abwägung im konkreten Einzelfall
Im Rahmen der Interessenabwägung gelangt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass die Interessen der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Klägers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist überwiegen. Diesbezüglich führt das Arbeitsgericht zu Lasten des Klägers insbesondere an, dass die Arbeitsverweigerung eine schwerwiegende Arbeitsverletzung darstelle. Dem Kläger müsse aufgrund seiner Position klar gewesen sein, wie wichtig die Einarbeitung der neuen Mitarbeiter gewesen sei. Er habe mit bemerkenswerter Deutlichkeit seine eigenen Urlaubsinteressen über die Interessen der Beklagten auf einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf gestellt.
Fazit
Auch wenn sich die Entscheidung mit einem konkreten Einzelfall befasst, lässt sich aus ihr dennoch Grundlegendes ableiten: Die Arbeitsschutzregeln aufgrund der Pandemie sollen dem Arbeitnehmer nicht dazu verhelfen, seine Belange über das Interesse des Arbeitgebers an einem ordnungsgemäßen Betriebsablauf stellen zu können.
Offen bleibt jedoch, ob das Arbeitsgericht eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn bereits der derzeit geltende § 28b Abs.7 S.1 IfSG anzuwenden gewesen wäre. Demnach ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Falle von Büroarbeit oder vergleichbarerer Tätigkeiten eine Beschäftigung aus dem Homeoffice anzubieten, sofern zwingende betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Zu prüfen wäre dann im Rahmen der Berechtigung der Weisung, ob die Einarbeitung neuer Mitarbeiter einen solchen zwingenden Grund darstellen könnte. Auch für andere Konstellationen bleibt also abzuwarten, wie die Rechtsprechung den Begriff des zwingenden betrieblichen Grundes näher konkretisieren wird und so das Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich des Beschäftigungsortes während der Pandemie womöglich einschränken könnte.