In einem jüngeren Fall (LAG Berlin-Brandenburg v. 10.12.2020 – 26 TaBVGa 1498/20) stritten die Betriebsparteien über einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Durchführung von Betriebsänderungen. Das LAG Berlin-Brandenburg lehnte einen solchen Unterlassungsanspruch mit der Begründung ab, der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats diene der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs, nicht aber der Untersagung einer Betriebsänderung als solcher.
Worum ging es?
Die Arbeitgeberin betreibt drei Kliniken. Sie informierte den antragstellenden Betriebsrat über ihre Absicht, ab dem 1.11.2020 mit ihrer neu gegründeten Tochtergesellschaft an ihren drei Standorten jeweils einen Gemeinschaftsbetrieb zu errichten. Dazu schlossen die Arbeitgeberin und die neu gegründete Tochtergesellschaft eine Betriebsführungsvereinbarung. Vorgesehen war, ab dem 1.11.2020 Neueinstellungen die Tochtergesellschaft vorzunehmen, die zuvor weder über Betriebsmittel noch Personal verfügte. Der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat hatte die Ansicht vertreten, die Bildung des Gemeinschaftsbetriebs stelle eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG dar. Er hatte daher im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, der Arbeitgeberin und die Tochtergesellschaft bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache aufzugeben, die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebes sowie Einstellungen i. S. v. § 99 BetrVG zu unterlassen, bevor die Verhandlungen über einen Interessenausgleich abgeschlossen oder endgültig gescheitert sind. Das ArbG Brandenburg hat die Anträge zurückgewiesen.
Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
Das LAG hat die Beschwerde des Betriebsrats gegen die Entscheidung des ArbG Brandenburgs als unbegründet zurückgewiesen. Zunächst stellte das LAG fest, dass am Verfahren außer der in der Vorinstanz allein angehörten Arbeitgeberin auch die Tochtergesellschaft zu beteiligen sei, da die vom Betriebsrat begehrte Entscheidung beide in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Funktion als (potentielle) Arbeitgeber beträfe. Denn im Gemeinschaftsbetrieb seien Inhaber der betrieblichen Leitungsmacht alle Unternehmen, die sich zur einheitlichen Leitung des Betriebs verbunden haben.
Ferner seien die Anträge des Betriebsrats unbegründet. Soweit dieser mit seinem Antrag die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebes untersagen lassen möchte, fehle es bereits an einem Unterlassungsanspruch. Insoweit wolle der Betriebsrat mit seinem Antrag eine unternehmerische Entscheidung untersagen lassen, was jedoch nicht möglich sei. Dabei könne es dahinstehen, ob hier überhaupt eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG vorliege und ob – sollte es sich um eine solche handeln – diese bereits umgesetzt wäre, denn ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Durchführung von Betriebsänderungen könne nur der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs dienen, nicht aber losgelöst hiervon der Untersagung einer Betriebsänderung selbst. Mit seinem auf die Unterlassung von Einstellungen gerichteten Antrag gehe es dem Betriebsrat allerdings gerade um die Sicherung seines Verhandlungsanspruchs für die Untersagung von Einstellungen. Der Betriebsrat wolle dadurch verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, weil durch die Einstellungen die von ihm angenommene Betriebsänderung durchgeführt wäre und sein Verhandlungsanspruch entfiele.
Gegen das Vorliegen einer Betriebsänderung spräche, dass sich am und im Betrieb nichts ändert. Alle bestehenden Strukturen sollen sich mit dem Hinzukommen der Tochtergesellschaft nicht verändern. Für die vorhandene Belegschaft sollte sich ebenfalls nichts ändern. Nach Auffassung des LAG handele es sich tatsächlich um einen nur auf dem Papier existierenden „virtuellen Gemeinschaftsbetrieb“. Die beabsichtigten Maßnahmen entsprächen nicht den Anforderungen entsprechen, bei denen das BAG vom Vorliegenden eines Gemeinschaftsbetriebs ausgeht. Danach sei eine Führungsvereinbarung nämlich nicht ausreichend. Die Tätigkeit des Leitungspersonals ändere sich nicht. Sie werde nur auf unterschiedlichen Briefköpfen durchgeführt. Auch strukturell seien Änderungen nicht erkennbar. Auch sei der Betriebsrat in der vorliegenden Konstellation nicht auf einen Unterlassungsanspruch zur Sicherung seiner Rechte angewiesen. Die ihm zur Verfügung stehenden Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte seien ausreichend, um die durch ihn verfolgten Interessen durchzusetzen. So sei der Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG vor einer Einstellung zu beteiligen und könne die Zustimmung verweigern.
Exkurs: Keine einheitliche Rechtsprechung zum Unterlassungsanspruch des Betriebsrats im Wege einer einstweiligen Verfügung
Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburgs steht neben der Frage, ob die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs als Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG anzusehen ist auch im Zusammenhang mit einer zweiten – besonders umstrittenen und nicht höchstrichterlich geklärten – Frage, nämlich, ob dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch gegen eine Betriebsänderung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zusteht. Gegen einen solchen Unterlassungsanspruch wird vielfach zutreffend vorgebracht, dass der Gesetzgeber mit dem Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG anders als bei der Mitbestimmung gem. § 87 BetrVG eine ausdrückliche Sanktion für die Nichtbeachtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats vorgesehen hat. Die Meinungen in der Instanzrechtsprechung zum Unterlassungsanspruch sind jedoch nach wie vor geteilt. Das LAG Berlin-Brandenburg lehnt einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegen Betriebsänderungen im Wege einer einstweiligen Verfügung anders als zahlreiche andere Landesarbeitsgerichte – darunter das LAG Rheinland-Pfalz, das LAG Baden-Württemberg, das LAG Nürnberg, das LAG Köln, das LAG Düsseldorf, das LAG München und das LAG Sachsen-Anhalt – zwar nicht grundsätzlich ab, lehnte ihn vorliegend dennoch mit der Begründung ab, der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats diene zwar der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs nach § 111 BetrVG, nicht aber der Untersagung einer Betriebsänderung als solcher.
Bewertung der Entscheidung und Fazit
Die Entscheidung zeigt sehr deutlich, dass die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs nicht in jedem Fall eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG darstellt. Dabei liegt die Besonderheit des entschiedenen Falls darin, dass eines der beiden am (potentiellen) Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen weder über Betriebsmittel noch Personal, also über keinen eigenen Betrieb verfügte. Werden dagegen existierende Betriebe mehrerer Unternehmen zu einem Gemeinschaftsbetrieb zusammengefasst, so ist genau zu prüfen, ob darin der Zusammenschluss von Betrieben i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG und damit eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung liegt.
Bei der Planung einer Maßnahme kann es aus Sicht des Arbeitgebers für eine – möglicherweise nur vorsorgliche – Beteiligung der Arbeitnehmervertreter sprechen, wenn die vermeintliche Betriebsänderung Betriebe in dem Bezirk eines Landesarbeitsgerichts trifft, das in der Vergangenheit einstweilige Verfügungen gegen Betriebsänderungen erlassen hat. Ist das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG zweifelhaft, kann es für Arbeitgeber im Rahmen der Business Judgement Rule bei guten Argumenten gegen den Tatbestand einer Betriebsänderung, sinnvoll sein, das Risiko des Erlasses einer einstweiligen Verfügung in Kauf zu nehmen, wenn die unmittelbare Alternative das sofortige Zusteuern auf (möglicherweise) lange Verhandlungen und hohe Abfindungsforderungen ist. Dies gilt besonders in Bezirken der Landesarbeitsgerichte, die voraussichtlich zurückhaltend mit dem Erlass einer einstweiligen Verfügung sein werden.