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Kein Ausweg aus „zu teuren“ Pensionszusagen für Arbeitgeber!

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Die Hoffnungen auf ein Weihnachtsgeschenk aus Erfurt waren vergebens: Nach einem neuen Urteil vom 8. Dezember 2020 (3 AZR 64/19) [PM] sind Arbeitgeber nicht berechtigt, betriebliche Versorgungszusagen anzupassen, auch wenn aufgrund Änderung der zugrundeliegenden bilanzrechtlichen Bestimmungen die Kosten der Pensionszusage massiv angestiegen sind. Auch die langanhaltende Zinskrise und – so wird man vermuten müssen – die Corona-Krise werden insoweit keine neuen Spielräume eröffnen.

Warum laufen Pensionszusagen zunehmend aus dem Ruder?

Vereinfacht gesprochen, liegt das Problem sowohl in einer Gesetzesänderung als auch der anhaltenden wirtschaftlichen Situation an den Anlagemärkten:

  • Durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) haben sich für die Jahresabschlüsse seit 2010 die Prämissen für die Bewertung bilanzieller Posten teils erheblich geändert. Besonders waren hiervon Betriebsrentenrückstellungen („Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen“, § 253 Abs. 1 S. 2 HGB) betroffen, die seit der Neuregelung mit dem notwendigen Erfüllungsbetrag anzusetzen sind. Dieser übersteigt die zuvor maßgeblichen Rückstellungsbeträge teilweise deutlich: Nunmehr müssen z.B. auch zukünftige Rentenanpassungen mitberücksichtigt werden (§ 16 Abs. 1 BetrAVG).
  • Hinzu kommt die anhaltende Niedrigzinsphase, die es Arbeitgebern zunehmend schwierig macht, rückstellungsbasierte Versorgungszusagen adäquat und mit den dafür eigentlich rückgestellten finanziellen Mitteln zu bedienen.

In Konsequenz ist es für viele Unternehmen mit älteren Pensionssystemen in den letzten Jahren zu einer massiven Verteuerung der Pensionszusagen (40-60 % keine Seltenheit) gekommen. Nimmt man die aktuell durch die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise hinzutretenden weiteren Einflüsse hinzu, stehen einige Unternehmen in absehbarer Zeit vor existentiellen Problemen. Und die Frage wird immer offener gestellt: Wenn schon die Versicherungsunternehmen, deren Kerngeschäft die Geldanlage ist, die gegenwärtige baV nicht mehr gewährleisten können, kann dies dann ein Arbeitgeber schaffen, der ein vollkommen anders gelagertes Geschäftsmodell hat und nur im „Nebenbetrieb“ Betriebsrenten finanziert?

Ein Hoffnungsschimmer durch das BAG?

Der Versuch, einen Ausweg aus der Misere zu finden, schien zunächst erfolgreich: In seiner Entscheidung vom 12. Mai 2020 (3 AZR 157/19) hat das BAG selbst – eher in einem Nebensatz – angemerkt, dass Arbeitgeber auch bei Eintritt des Versorgungsfalls noch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend machen können. Kollektive Erleichterung bei vielen, die hieraus lasen, dass das BAG damit den „Ausstieg aus zu teuren Versorgungzusagen“ vorbereiten wollte – vielleicht etwas vorschnell und ergebnisorientiert, betrachtet man die grundsätzlichen Anforderungen für einen Eingriff in Versorgungzusagen? Jedenfalls aber war die Entscheidung vom 8. Dezember 2020 daher mit vielen Erwartungen „aufgeladen“.

Worum ging es dort?

In dem entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber Betriebsrenten versprochen, deren Leistungshöhe an die Entwicklung der höchsten Tarifgehaltsstufe gebunden war. Die Klägerin, mit 87 noch in den besten Jahren, beanspruchte eine Witwenrente für ihren verstorbenen Ehemann und wehrte sich dagegen, dass die Arbeitgeberin ab 2016 die Anpassung der Betriebsrenten im Einklang mit den Tarifgehaltsanpassungen einstellte und „nur noch“ Anpassungsprüfungen nach § 16 BetrAVG vornehmen wollte. Die Arbeitgeberin berief sich entsprechend auf eine erhebliche Erhöhung der Rückstellungen durch das BilMoG sowie die weitere Erhöhung durch die Niedrigzinsphase (hier insgesamt. 43,5 % über vier Jahre). Der Barwert der Versorgungszusage im Vergleich zu ihrer Erteilung habe sich bis 2016 sogar um 107,36 % gesteigert. Ihr müsse daher nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage möglich sein, die versprochene „Tarifgehaltsanpassung analog“ zu beenden, da ihr bei Erteilung der Zusage 1976 nicht vorhersehbar war, welche rechtlichen und tatsächlichen Entwicklungen eintreten würden. Daher war die Arbeitgeberin lediglich bereit, zuletzt 5.975,- EUR brutto monatlich auszuzahlen – die Klägerin war also nicht etwa in ihrer Existenz bedroht.

Während das Arbeitsgericht der Klage stattgab, ist das LAG (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Mai 2018 – 3 Sa 102/17) der Beklagten gefolgt. Und das BAG?

Kosten einer Betriebsrentenzusage sind Arbeitgeberrisiko!

Der Senat stellte nüchtern fest: Die hier zu entscheidende Situation stellt keine Situation dar, in der der Wegfall der Geschäftsgrundlage auch nur irgendwie herangezogen werden könne. Während dies grundsätzlich möglich sei, geht es bei einer Geschäftsgrundlage immer um

„die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, wenn der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut. Dem steht die Vorstellung einer der Parteien gleich, sofern sie für die andere Partei erkennbar war und nicht von ihr beanstandet wurde.“

Die Arbeitgeberin hat hier gerade nicht solche „gemeinsamen“ Vorstellungen ins Feld geführt, sondern schlicht die ihr unzumutbare Teuerung – womit sie nicht gehört wurde. Auch die Änderung des HGB durch das BilMoG sei keine Geschäftsgrundlage: Wenn schon ein schlechterer wirtschaftlicher Verlauf des Geschäftsjahrs nicht zum Widerruf von laufenden Betriebsrenten und somit auch nicht zur Änderung einer Anpassungsregelung führen kann, wenn selbst eine wirtschaftliche Notlage einen Widerruf von Versorgungszusagen nicht begründen kann – dann kann auch in solchen Fällen eine Gesetzesänderung, die rein die „Innenfinanzierung“ eines Unternehmens betrifft, keine Auswirkung haben. Die Arbeitgeberin müsse sich daher schlicht an die einmal gegebene Zusage halten.

Einfluss auf die Praxis

Was lässt sich daraus ableiten? Zunächst nur, dass zumindest für Direktzusagen alles – unbefriedigend – beim Alten bleibt. Arbeitgeber bleiben an einmal getätigte Versorgungszusagen gebunden, (fast) komme was wolle – und zwar auch, wenn es zu wirtschaftlich erheblichen Teuerungen kommt. Die politisch gewünschte weitere Verbreitung von Betriebsrentenzusagen wird mit dieser Gesetzeslage sicherlich nicht erreicht werden – nicht das Problem des BAG, aber sicherlich ein Aspekt, den der Senat erkannt haben wird. Ob allein diese Erkenntnis aber Reformwillen beim Gesetzgeber auslöst, bleibt zu bezweifeln. Für den Moment können sich Arbeitgeber – jenseits von Sanierungsfällen – nur damit behelfen, Liquidität umzuschichten, etwa über Treuhandmodelle (CTAs) – oder Änderungen einvernehmlich zu vereinbaren, wofür gerade in Krisenzeiten wenig Bereitschaft bestehen dürfte.

Dr. Till Heimann

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Till Heimann berät Arbeitgeber mit Fokus auf Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen (mit anschlie­ßen­der Integration), Umstruk­tu­rie­run­gen auf Unter­neh­mens- und Betriebsebene und Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Besondere Expertise besitzt Till Heimann darüber hinaus hinsichtlich der Beratung zu regulierter Vergütung (Banken/Kapitalanlagegesellschaften u.A. Institute), von Unternehmen der Technologiebranche sowie von Startups. Er besitzt langjährige Erfahrung in der Steuerung inter­na­tio­na­ler Projekte. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "ESG".
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