Zu den „Evergreens“ im Bereich der betrieblichen Altersversorgung zählt neben Streitigkeiten um die Anpassung der Betriebsrente auch der Streit um die Wirksamkeit der Ablösung einer Versorgungsordnung. Eine solche Ablösung ist für Unternehmen oftmals ein extrem aufwändiges Projekt. Mit dessen Umsetzung ist das Thema bei vielen Arbeitgebern erst einmal gedanklich „abgehakt“. Doch was passiert, wenn ein (ehemaliger) Mitarbeiter viele Jahre später die Wirksamkeit der seinerzeitigen Ablösung in Frage stellt und sich auf die Anwendbarkeit der früheren, für ihn günstigeren Versorgungsregelungen beruft?
„Und das nach all‘ den Jahren…“
Ein solches Vorgehen stößt auf Unternehmensseite oftmals auf Unverständnis. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Mitarbeiter sogar schon seit Jahren Versorgungsleistungen bezieht und bislang nie Einwände gegen die Rentenberechnung und die Anwendung der zugrunde liegenden Versorgungsregelungen erhoben hat. Schnell kommt dann die Frage auf, ob die nunmehr vorgebrachten Einwände gegen die Ablösung nicht inzwischen verwirkt sind. Häufig lautet die Antwort dann: „Leider nein!“.
Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Unterfall des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB. Die Verwirkung setzt zunächst voraus, dass der Berechtigte ein ihm zustehendes Recht über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). In Ablösungsfällen ist dabei zu berücksichtigen, dass das Zeitmoment nach herrschender Rechtsprechung erst ab Fälligkeit der Versorgungsleistungen und damit in der Regel erst ab Renteneintritt beginnt. Der Umstand, dass die Ablösung als solche bei Rentenbeginn bereits etliche Jahre zurück liegt, genügt daher noch nicht für die Verwirkung.
Zum Zeitmoment muss zudem jedenfalls ein Verhalten des Berechtigten hinzutreten, aus dem der Verpflichtete darauf schließen kann, der Berechtigte werde sein Recht auch zukünftig nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Allein die widerspruchslose Entgegennahme der Versorgungsleistungen ist dabei grundsätzlich noch nicht ausreichend für die Annahme des Umstandsmoments.
Keine Verwirkung bei Rechten aus einer Betriebsvereinbarung
Unabhängig vom Vorliegen eines Zeit- und Umstandsmoments wird der Einwand der Verwirkung in der Praxis vielfach bereits an der Regelung des § 77 Abs. 4 S. 3 BetrVG scheitern. Danach ist die Verwirkung eines Rechts ausgeschlossen, wenn dieses aus einer Betriebsvereinbarung resultiert.
Gerade in größeren Unternehmen bilden typischerweise Betriebsvereinbarungen die Grundlage der betrieblichen Altersversorgung. In einer solchen Konstellation steht dem Verlangen eines ehemaligen Mitarbeiters, seine Rente wegen der Unwirksamkeit der seinerzeitigen Ablösung nach der früheren Versorgungsordnung zu berechnen, selbst nach Jahren des Zuwartens nicht der Einwand der Verwirkung entgegen. Dies hat das BAG in einer neueren Entscheidung (BAG vom 13. Oktober 2020 – 3 AZR 246/20) festgestellt.
Die Entscheidung des BAG
In dem vom BAG entschiedenen Fall stritten die Parteien unter anderem um die Wirksamkeit einer Ablösung, die vor über 30 Jahren erfolgte. Bei der Beklagten war die betriebliche Altersversorgung seit 1979 durch eine Betriebsvereinbarung geregelt (BV 1979). Danach erhielten die Mitarbeiter eine Versorgung, die sich für jedes vollendete Dienstjahr um 0,4 % des ruhegeldfähigen Einkommens erhöhen sollte. Im Jahr 1988 wurde die BV 1979 durch eine neue Betriebsvereinbarung (BV 1988) abgeändert, die nur noch einen Steigerungssatz von 0,2 % vorsah. Der Kläger schied Ende 2003 bei der Beklagten aus und bezieht seit Januar 2004 eine Betriebsrente, die auf Basis der BV 1988 berechnet wurde. Rund 13 Jahre später machte der Kläger erstmals die Neuberechnung seiner Ausgangsrente und damit die Unwirksamkeit der Ablösung geltend. Die Beklagte berief sich zur Rechtfertigung der Ablösung auf die seinerzeit schlechte wirtschaftliche Lage und erhob darüber hinaus den Einwand der Verwirkung.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Auch mit seiner Berufung blieb der Kläger beim LAG Saarland erfolglos (LAG Saarland vom 13. November 2019 – 1 Sa 1/19). Nach Ansicht des LAG hatte der Kläger sein Recht auf Neuberechnung seiner Ausgangsrente verwirkt und konnte sich wegen § 242 BGB nicht mehr auf die Unwirksamkeit der Ablösung berufen.
Die eingehend begründete Entscheidung des LAG hielt insoweit der Überprüfung durch das BAG nicht stand. Dem Anspruch auf Neuberechnung der Ausgangsrente auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung – und damit der Überprüfung der Wirksamkeit der Ablösung – kann nach Ansicht des BAG wegen § 77 Abs. 4 S. 3 BetrVG nicht der Einwand der Verwirkung entgegen gehalten werden. Die Sache wurde an das LAG zurückverwiesen, das nunmehr zu prüfen hat, ob die Ablösung gerechtfertigt war.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG kam wenig überraschend und ist im Ergebnis dogmatisch konsequent. Sie zeigt deutlich, dass der Einwand der Verwirkung dem Arbeitgeber bei Streitigkeiten um die Wirksamkeit einer Ablösung nur selten zum Erfolg verhelfen wird. Im Großteil der streitigen Fälle wird es daher darauf ankommen, ob Rechtfertigungsgründe für die Ablösung vorlagen. Gerade dann, wenn die Ablösung womöglich Jahrzehnte zurück liegt, kann die Darlegung des zugrunde liegenden Sachverhalts den Arbeitgeber vor erhebliche Herausforderungen stellen. Vor diesem Hintergrund sollte bei der Planung und Umsetzung einer etwaigen Ablösung insbesondere auch auf eine sorgfältige Dokumentation des Prozesses geachtet werden. Lesen Sie ergänzend hierzu auch den Beitrag von KLIEMT.ARBEITSRECHT: „Eingriffe in Versorgungszusagen leicht gemacht – oder doch nicht?“.