Weil seine fünfjährige Tochter Louann krebskrank ist, hatte ein Mitarbeiter in Frankreich seinen Arbeitgeber um unbezahlten Sonderurlaub gebeten. Unterstützung erfuhr der Familienvater überraschenderweise durch seine Kollegen: Insgesamt „spendeten“ sie 262 Urlaubstage, sodass der Vater sich über ein Jahr um seine Tochter kümmern konnte. Auch in Berlin hatte ein Arbeitnehmer ähnliches Glück. Um seinen an Krebs erkrankten Sohn zu pflegen, spendeten seine solidarischen Kollegen 930 bezahlte Überstunden.
Auch in Zeiten von Corona bieten einige deutsche Arbeitgeber neuerdings die Möglichkeit, Überstunden an Kollegen zu spenden, die sie für die Kinderbetreuung nutzen können, sofern die Betreuungseinrichtungen im Zuge der Pandemie geschlossen werden müssen.
Doch ist so eine Übertragung von Urlaub und Überstunden auf Kollegen überhaupt rechtlich zulässig – geht das?
Gesetzlicher Regelungsrahmen
Für den Fall, dass Eltern eines schwer erkrankten oder verletzten Kindes ihre eigenen Urlaubstage bereits verbraucht haben, dürfen Mitarbeiter in Frankreich auf Urlaubstage verzichten und sie an Kollegen weitergeben. Hierfür wurde in Frankreich im Jahr 2014 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet (sog. „Loi Mathys“). Während ein solches Vorgehen in französischen Unternehmen also seit Längerem üblich und es ausdrücklich erlaubt ist, einen Teil der eigenen bezahlten Ruhetage zugunsten von Arbeitskollegen, die sich um ihre schwer kranken Familienangehörigen kümmern wollen, zu spenden, ist eine derartige Regelung hierzulande nicht vorgesehen.
In Deutschland gilt der Grundsatz, dass die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen ist, d.h. die Arbeitspflicht ist regelmäßig an die Person des Arbeitnehmers gebunden. Eine Übertragung von Überstunden und Urlaubstagen ist daher grundsätzlich nicht möglich, da auch hier der Verpflichtete seine Arbeitsleistung durch einen anderen Mitarbeiter erbringt.
Etwas anderes dürfte unseres Erachtens aber dann gelten, wenn der Arbeitgeber der Übertragung von Urlaubstagen oder Überstunden einverstanden ist und keine zwingenden gesetzlichen Regelungen entgegenstehen:
- Eine Übertragung von Überstunden dürfte wirksam sein, sofern diese nicht unter Verstoß gegen § 3 ArbZG zustande gekommen sind, angeordnet oder geduldet wurden und individualvertraglich nicht nur ein monetärer Ausgleich, sondern (auch) eine Abgeltung durch Freizeitausgleich (= Anspruch auf bezahlte Freistellung) vorgesehen ist.
- Dahingehend ist ein Verzicht auf Urlaubstage rechtlich nur bedingt zulässig. Nach §§ 1, 3 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat jeder Arbeitnehmer bei Zugrundelegung einer fünf Tage Woche einen gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen. Da der Urlaub der selbstbestimmten Erholung des Arbeitnehmers dienen soll und nur erreicht werden kann, wenn der Freistellungsanspruch gerade dem jeweiligen Arbeitnehmer zu Gute kommt, ist der gesetzliche Mindesturlaub jeglicher Disposition entzogen. Der Arbeitnehmer kann gemäß § 13 BUrlG auch nicht wirksam auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch verzichten, unabhängig davon, in welcher Form dieser Verzicht erfolgen soll (z.B. Erlassvertrag, Verzichtsvertrag oder negatives Schuldanerkenntnis).
- Allerdings ist lediglich ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch unwirksam, hinsichtlich des den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch übersteigenden einzelvertraglich vereinbarten Mehrurlaubs fehlt es an einer vergleichbaren Regelung. Vorausgesetzt, im Arbeitsvertrag wurde klar zwischen gesetzlichem und vertraglichen zusätzlichen Urlaub differenziert, könnte somit auf individualvertragliche zusätzliche Urlaubsansprüche wirksam verzichtet werden.
Auch wenn bislang die Frage über die Zulässigkeit der Übertragbarkeit von Überstunden und Urlaubstagen auf Kollegen noch nicht gerichtlich entschieden wurde, lässt sich u.E. durchaus vertreten, dass Arbeitnehmer auf zusätzliche vertragliche Urlaubstage und Überstunden zugunsten von Kollegen verzichten können – sofern der Arbeitgeber damit einverstanden ist und gesetzliche Bestimmungen nicht umgangen werden.
Inhalt des Anspruchs und Empfehlungen zur praktischen Umsetzung
Hinsichtlich des Anspruchsinhalts ist festzuhalten, dass der betroffene Arbeitnehmer, dem Überstunden oder Urlaubstage übertragen werden sollen, einen (von den Kollegen übertragenen) Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung erhält. Dieser Anspruch korrespondiert mit einer entsprechenden Verbuchung bzw. Rückstellung auf Seiten des Arbeitgebers: Soweit die Kollegen auf einen Teil ihrer Ansprüche auf bezahlten zusätzlichen Erholungsurlaub oder Überstundenabgeltung durch Freizeitausgleich verzichten, kann der Arbeitgeber dieses Guthaben der Kollegen übertragen, indem er die Ansprüche der Kollegen auf bezahlte Freistellung zugunsten eines anderen Arbeitnehmers in dem bestimmten Umfang „umbucht“ bzw. diesem zuordnet.
Sollten sich Unternehmen für eine solche Solidaritätslösung entscheiden, empfehlen wir, eine schriftliche Vereinbarung über die „Übertragung von Überstunden und Urlaubstagen“ zu schließen. So kann verhindert werden, dass Arbeitnehmer den Anspruch im Nachhinein doppelt geltend machen. Hierbei sollten folgende Regelungen enthalten sein:
- Aktuelles Überstundenguthaben bzw. über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehender, differenziert betrachteter Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers;
- Erklärung des Arbeitnehmers, auf welchen Anteil seines zusätzlichen Urlaubsanspruchs bzw. seines Anspruchs auf Überstundenabgeltung er verzichtet;
- Festlegung des Zwecks des Verzichts (Gegenfinanzierung der bezahlten Freistellung von der Verpflichtung zur Erbringung einer Arbeitsleistung) und
- Benennung des Arbeitnehmers, zugunsten der Verzicht erklärt wird.