Die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen gemäß § 626 Abs. 2 S. 1 BGB ist bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vielfach problematisch. Diese Frist von zwei Wochen beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Hat der Arbeitgeber bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann er weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen beginnt. Dies gilt allerdings nur so lange er die Ermittlungen mit der gebotenen Eile durchführt. Soll der zu kündigende Arbeitnehmer im Kontext einer außerordentlichen Verdachtskündigung angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden.
Insbesondere in Fällen, in denen der Arbeitnehmer bei Entdeckung der Tat bereits arbeitsunfähig erkrankt war oder krank wurde, stand der Arbeitgeber vor der Frage, ob er den Mitarbeiter während der Arbeitsunfähigkeit zur Aufklärung des Sachverhalts kontaktiert oder doch lieber abwartet. In beiden Fällen hatte der Arbeitgeber ein Risiko: Bleibt er untätig, droht der Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB. Versucht der Arbeitgeber demgegenüber den arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer zu dem Sachverhalt anzuhören, setzt er sich gegebenenfalls dem Vorwurf aus, die Genesung des Arbeitnehmers zu gefährden. Doch wann genau ist der richtige Zeitpunkt an den Arbeitnehmer heranzutreten?
Das BAG hat zu dieser Problematik nun in einer Entscheidung vom 11. Juni 2020 2 AZR 442/19 Stellung bezogen und Arbeitgebern praxistaugliche Hinweise für solche Situationen an die Hand gegeben.
Worum ging es?
Die Arbeitgeberin hatte das Arbeitsverhältnis eines bei ihr angestellten Hausmeisters außerordentlich fristlos gekündigt, nachdem sie bei der Durchsicht von Telefonrechnungen festgestellt hatte, dass über einen Zeitraum von ca. sechs Wochen insgesamt rund 2750 Mal kostenpflichtig eine Glücksspiel-Hotline angerufen worden war. Die Anrufe wurden von zwei Anschlüssen getätigt, die dem letztlich gekündigten Arbeitnehmer und einem weiteren Hausmeisterkollegen zugeordnet waren. Da nur der betroffene Arbeitnehmer zu allen Anrufzeiten anwesend gewesen war, richtete sich der Verdacht nach einer Auswertung maßgeblich gegen ihn.
Jedoch war der betroffene Arbeitnehmer in der Folge für insgesamt zwei Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Er wurde daher erst nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit, ebenso wie sein Kollege, zu dem Vorwurf angehört, er habe während der Arbeitszeit von den dienstlichen Telefonen unbefugt die Glücksspiel-Hotline angerufen. Die Arbeitgeberin sah danach den Verdacht ihm gegenüber bestätigt und kündigte das mit dem Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Der Arbeitnehmer wehrte sich daraufhin gerichtlich gegen die Kündigung.
Die Arbeitgeberin hatte im Prozess darauf hingewiesen, dass eine frühere Anhörung aufgrund der zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht möglich gewesen sei. Man habe beide Mitarbeiter zeitlich unmittelbar nacheinander zu einem Gespräch bitten wollen, damit sie keine Möglichkeit zu einem wechselseitigen Austausch und einer Absprache hätten.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen
Die Vorinstanzen haben der Klage des Arbeitnehmers stattgegeben. Das LAG Düsseldorf ging unter anderem davon aus, die Arbeitgeberin habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB versäumt. Die Arbeitgeberin müsse auch während der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers zumindest versuchen in Erfahrung zu bringen, ob der Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit in der Lage ist, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben oder an einer persönlichen Anhörung teilzunehmen.
Die Entscheidung des BAG
Diese Sichtweise hielt einer Überprüfung durch das BAG nicht stand. Ausgangspunkt des BAG ist, dass die Aufklärung des Sachverhaltes mit der gebotenen Eile durchgeführt werden müsse, wozu im Regelfall auch die Anhörung des Arbeitnehmers innerhalb einer Woche gehöre, es sei denn, es lägen besondere Umstände vor. Im konkreten Fall habe die Arbeitgeberin mit der Anhörung des Arbeitnehmers und seines Kollegen abwarten dürfen. Dabei habe sie annehmen dürfen, dass die schriftliche Anhörung des Arbeitnehmers wegen einer dann möglichen Absprache mit dem Kollegen nicht zweckmäßig war, sondern allein eine Anhörung in einem Personalgespräch in zeitnahem Zusammenhang mit der Anhörung des Kollegen erfolgversprechend sein würde. Die Arbeitgeberin habe auch während der zweiwöchigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht an diesen herantreten müssen, um eine mündliche oder schriftliche Stellungnahme zu dem Kündigungssachverhalt einzuholen. Die aus § 626 Abs. 2 S. 1 BGB resultierende Obliegenheit der Arbeitgeberin, mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchzuführen, kollidiere mit ihrer aus § 241 Abs. 2 BGB folgenden Pflicht, auf das Wohl und die berechtigen Interessen des betroffenen Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen und ihn vor Gesundheitsgefahren zu schützen.
Während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sei eine Kontaktaufnahme mit dem Arbeitnehmer aus Gründen der Rücksichtnahme auf dessen Genesungsprozess nur begrenzt zulässig. Die Arbeitgeberin müsse auf die Erkrankung des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen und alles unterlassen, was dem Genesungsprozess abträglich sein oder ggf. sogar eine Verschlechterung des Zustands herbeiführen könnte. Die Arbeitgeberin müsse wegen ihrer eingeschränkten Kontaktaufnahmemöglichkeit mit dem erkrankten Arbeitnehmer und dessen fehlender Verpflichtung, den Grund und die Auswirkungen seiner Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen daher regelmäßig nicht nachforschen, ob der Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit an einer Anhörung teilnehmen kann.
Das BAG betonte jedoch andererseits auch, dass die Arbeitgeberin im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung nicht beliebig lang zuwarten dürfe, bis sie versucht, mit dem Arbeitnehmer auch während der Arbeitsunfähigkeit die erforderliche Sachverhaltsaufklärung durchzuführen. Insoweit sei die Arbeitgeberin nach einer angemessenen Frist gehalten, mit dem Arbeitnehmer Kontakt aufzunehmen, um zu klären, ob dieser gesundheitlich in der Lage ist, an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Diese Anfrage könne die Arbeitgeberin mit einer kurzen Erklärungsfrist verbinden. Warte die Arbeitgeberin dann, nachdem der Arbeitnehmer mitgeteilt habe, sich wegen einer Erkrankung nicht, auch nicht schriftlich äußern zu können, dessen Gesundung ab, liegen in der Regel hinreichende besondere Umstände vor, aufgrund derer der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB entsprechend lange hinausgeschoben werde. Umgekehrt verletze die Arbeitgeberin in einem solchen Fall nicht notwendig ihre vor einer Verdachtskündigung gegebene Aufklärungspflicht, wenn sie von einem weiteren Zuwarten absehe. Ihr könne dann – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – eine weitere Verzögerung unzumutbar sein.
Für die Dauer der „angemessenen“ Frist, verweist das BAG auf seine Rechtsprechung zur Kontaktaufnahme mit arbeitsunfähig erkrankten Zeugen, wonach ein Zeitraum von drei Wochen für die Kontaktaufnahme noch als angemessen angesehen werden müsse. Dabei handle es sich zwar nicht um eine starre Grenze, dennoch könne von der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall unter Anwendung dieses Maßstabs nicht verlangt werden, vor dem Ende der zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers an diesen heranzutreten.
Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung des BAG gibt Arbeitgebern erfreulich klare Hinweise für den Zeitrahmen der Anhörung von arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern vor einer außerordentlichen Verdachtskündigung.
Nach wie vor gilt, dass Arbeitgeber im Rahmen einer außerordentlichen Verdachtskündigung verpflichtet sind, die Aufklärung des Sachverhalts zügig voranzutreiben. Diese Pflicht kollidiert jedoch bisweilen mit der Pflicht des Arbeitgebers auf die Erkrankung des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen und alles zu unterlassen, was dem Genesungsprozess abträglich sein könnte oder gegebenenfalls zu einer Verschlechterung des Zustands führen könnte. Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, kann der Arbeitgeber nach der Entscheidung des BAG zunächst mit der Anhörung des Arbeitnehmers zur Sachverhaltsaufklärung warten. Freilich kann dieses abwarten nicht beliebig lange dauern. Angesichts der Hinweise im Urteil des BAG ist zu empfehlen noch innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen an einen erkrankten Arbeitnehmer heranzutreten und zu erfragen, ob und auf welchem Wege ihm eine Stellungnahme möglich ist. Arbeitgeber sollten dies mit einer Erklärungsfrist verbinden.