Komplexe Konzernstrukturen sind keine Seltenheit. Oft führen sie dazu, dass sich Konzernmuttergesellschaften mit nur wenigen eigenen Mitarbeitern für die unternehmerischen Entscheidungen beherrschter Tochterunternehmen mit deutlich mehr Mitarbeitern verantwortlich zeigen. Keinesfalls verwunderlich war daher das Begehren eines Wirtschaftsausschusses in einem kürzlich vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall. Der bei dem beherrschten Unternehmen nach § 106 Abs. 1 BetrVG gebildete Ausschuss begehrte monatliche Auskünfte über die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens. Dem haben die Erfurter Richter infolge einer sorgsamen Auslegung der gesetzlichen Grundlagen nun einen Riegel vorgeschoben.
Worum ging es?
Arbeitgeberin (ca. 750 Arbeitnehmer) und herrschendes Unternehmen (< 100 Arbeitnehmer) waren eng miteinander verflochten. Die Arbeitgeberin produzierte ausschließlich für das herrschende Unternehmen. Das herrschende Unternehmen bestimmte über die Produktpalette und vertrieb die Produkte in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Im Kontext der Durchführung von Kurzarbeit begehrte der beim Arbeitgeber gebildete Wirtschaftsausschuss Auskünfte zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Muttergesellschaft. Der Spruch der einvernehmlich errichteten Einigungsstelle erlegte der Arbeitgeberin sodann die Pflicht zur laufenden Beschaffung von Informationen und Unterlagen über die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens und deren Zurverfügungstellung an den Wirtschaftsausschuss auf. Hiergegen wendete sich die Arbeitgeberin im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.
Wie hat das BAG entschieden?
Wie schon das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht erkannte das BAG die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle. In seiner sorgfältig begründeten Entscheidung kommt der 1. Senat zurecht zu dem Ergebnis, die Arbeitgeberin sei nicht nach § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG verpflichtet, den Wirtschaftsausschuss über die gewünschten wirtschaftlichen Daten des herrschenden Unternehmens zu unterrichten. § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG begründe lediglich eine Pflicht des Arbeitgebers, den Wirtschaftsausschuss über die finanzielle und wirtschaftliche Lage desjenigen Unternehmens zu unterrichten, in dem er nach § 106 Abs. 1 BetrVG gebildet sei.
Systematische und teleologische Erwägungen ausschlaggebend
Systematisch stellt das BAG insbesondere darauf ab, die in § 106 Abs. 3 BetrVG aufgeführten Beispielsfälle, die den Begriff der „wirtschaftlichen Angelegenheiten“ konkretisieren, beträfen inhaltlich nur den jeweiligen rechtlichen Unternehmensträger. Auch bei einem Kontrollwechsel über das beherrschte Unternehmen habe der Gesetzgeber die Unterrichtungspflicht in §§ 106 Abs. 2 S. 2 und § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG auf die Bedeutung dieses Vorgangs für das kontrollierte Unternehmen und dessen Arbeitnehmer beschränkt. Auch vom Sinn und Zweck her könne sich die Unterrichtungspflicht nur auf Angelegenheiten des beherrschten Unternehmens beziehen. Die Vorschrift des § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG bezwecke, dass der Wirtschaftsausschuss gleichgewichtig mit dem Unternehmer über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens beraten und auf diese Einfluss nehmen könne. Eine Möglichkeit zur Einflussnahme auf das herrschende Unternehmen habe der Wirtschaftsausschuss hingegen nicht. Nach überzeugender Begründung des BAG kann eine Pflicht zur Unterrichtung über wirtschaftliche Angelegenheiten des herrschenden Unternehmens auch nicht mittels einer analogen Anwendung des § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG begründet werden. Im Rahmen der Beratungen über das BetrVG-Reformgesetz im Jahr 2001 habe der Gesetzgeber den Wirtschaftsausschuss bewusst auf der Ebene der Unternehmen belassen. Es fehle insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke.
Praxisfolgen und Ausblick
Wirtschaftsausschüsse in beherrschten Unternehmen waren oftmals bestrebt, fleißig Informationen auch über die Konzernmuttergesellschaft und andere Tochtergesellschaften zu sammeln. Dem werden Arbeitgeber künftig auf Grundlage der aktuellen Entscheidung einfacher entgegentreten können. Ein zahnloser Tiger ist der Wirtschaftsausschuss dadurch nicht, bleiben doch erhebliche Informationsrechte bestehen. Gleichwohl hat das BAG der Unterrichtungspflicht nun eine klare Grenze gesetzt. Einer von mehreren üblicherweise auftretenden Streitpunkten ist damit entschieden. Andere bleiben indes ungeklärt.
Wünschenswert wäre insofern gewesen, hätte sich das BAG auch zur vielfach diskutierten Informationsbeschaffungspflicht des beherrschten beim herrschenden Unternehmen positioniert. Freilich dürfte diese Diskussion künftig nur noch in Bezug auf Informationen, die das beherrschte Unternehmen unmittelbar betreffen, geführt werden. Ebenso bleibt höchstrichterlich ungeklärt, ob im Fall unzureichender Informationen durch das beherrschte Unternehmen sogar – wie teils vertreten – ein unmittelbarer Informationsanspruch des Wirtschaftsausschusses gegen das herrschende Unternehmen bestehen kann (sog. Informationsdurchgriff). Beides wäre richtigerweise mangels gesetzlicher Grundlage abzulehnen.