Die Anforderungen an die Anhörung einer Verdachtskündigung sind hoch. Am 30.04.2019 hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung zu entscheiden und setzte dabei die sehr strengen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts konsequent um. Dabei äußerte sich das LAG auch zu den inhaltlichen Anforderungen an die Anhörung des Mitarbeiters und stellte fest, dass der Arbeitgeber den Mitarbeiter zu sämtlichen Erkenntnissen konkret anhören und Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss, bevor er eine Verdachtskündigung ausspricht. Dennoch ist für eine ordnungsgemäße Anhörung eine kontextbezogene Konfrontation mit dem Sachverhalt ausreichend.
Die Entscheidung gibt Anlass, die von Arbeitgebern zu beachtenden inhaltlichen Anforderungen an die Mitarbeiteranhörung im Vorfeld einer Verdachtskündigung in den Blick zu nehmen.
Hintergrund der Entscheidung
Bei der Beklagten handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Dienstleistungen für Beamten- und Hinterbliebenenversorgung anbietet. Die Klägerin ist dort für die Finanzbuchhaltung verantwortlich. Leiter der Buchhaltung ist ihr Lebensgefährte. Im Juli 2017 veranlasste der Lebensgefährte der Klägerin eine Mitarbeiterin der Beklagten, eine Überweisung i. H. v. 5 Mio. € von der Beklagten auf ein konkret benanntes Konto freizugeben. Angeblich sollte es sich um eine Termingeldanlage bei einem Handelspartner der Beklagten handeln. Tatsächlich war die Erklärung des Handelspartners gefälscht. Die Klägerin erhielt einen Teilbetrag hiervon in Höhe von 10.000 €.
Im April 2018 stellte die Beklagte Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Überweisung fest. Die Beklagte hörte die Klägerin am 26. 4. 2018 an. Der Fachbereichsleiter Personal fragte die Klägerin, ob sie an den Straftaten ihres Lebensgefährten beteiligt sei. Er fragte die Klägerin auch, ob sie auf ihrem Konto einen entsprechenden Zahlungseingang verzeichnet hat. Der Beklagten lag zu diesem Zeitpunkt bereits der Durchsuchungsbeschluss mit konkreten Erkenntnissen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie zu der Überweisung von 10.000 € an die Klägerin vor, mit diesen konfrontierte sie die Klägerin jedoch nicht. Die Beklagte stellte die fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung am 08.05.2018 zu. Im Kündigungsschreiben sprach die Beklagte die Kündigung sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung aus. Die Klägerin macht in ihrer Kündigungsschutzklage unter anderem geltend, dass die Kündigung bereits aufgrund der fehlerhaften Anhörung sowie dem Ablauf der Zwei-Wochen-Frist unwirksam sei.
Das ArbG Kiel (Urt. v. 09.10.2018 – 3 Ca 681 b/18) hielt die außerordentliche Kündigung für verfristet, die ordentliche Kündigung als Verdachtskündigung aber für wirksam. Mit der Berufung begehrte die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung. Die Berufung der Klägerin war erfolgreich.
Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Eine Verdachtskündigung ist nur dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., vgl. BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 698/15). Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist damit Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung.
Anforderungen an die Anhörung des Mitarbeiters
Die konkrete Durchführung der Anhörung stellt die Praxis oftmals vor Probleme. Fragen zur Teilnahmeberechtigung von Vertrauenspersonen (beispielsweise von Anwälten und Betriebsratsmitgliedern), zu Problemen bei der Kontaktaufnahme mit „schwer erreichbaren“ Verdächtigen (beispielsweise bei plötzlicher Arbeitsunfähigkeit oder bereits angeordneter Untersuchungshaft) und zur Form der Anhörung (schriftlich oder mündlich) stehen hierbei im Mittelpunkt. Erschwerend tritt hinzu, dass die ERmittlungen häufig noch „im Fluss“ sind. Und über allem schwebt das „Damoklesschwert“ der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB und die Obliegenheit des Arbeitgebers zu zügigen Ermittlungen. Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis häufig schon bei den inhaltlichen Anforderungen an die Anhörung. Auch wenn viele Fragen noch ungeklärt sind, lässt sich manches festhalten:
- Die Anhörung des Mitarbeiters hat vor der Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG zu erfolgen (LAG Hamm v. 30.3.2012 – 18 Sa 1801/11). Sie ist an keine Form gebunden. Für eine schriftliche Anhörung sprechen Beweisgründe; demgegenüber ermöglicht eine mündliche Anhörung spontane und präzise Nachfragen.
- Eine Mindestfrist für die Stellungnahme auf eine Schriftliche Anhörung gibt es nicht, sie sollte jedoch 3-6 Arbeitstage betragen. Hier kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalles an. So hat die Rechtsprechung beispielsweise auch eine dem Arbeitnehmer gesetzte dreitägige Frist zur Stellungnahme als nicht generell zu kurz angesehen (LAG München v. 19.3.2009 – 3 Sa 25/09), während es eine Frist von zwei Arbeitstagen als nicht ausreichend ansah (LAG Schleswig-Holstein v. 21.03.2018 – 3 Sa 398/17).
- Die Einladung zum Anhörungsgespräch ist ebenfalls an keine formalen Voraussetzungen geknüpft; das Bestehen einer Pflicht zur vorherigen Mitteilung des „Anhörungsthemas“ in diesem Zusammenhang wohl zu verneinen (BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13 zum Berufsausbildungsverhältnis; bejahend allerdings: LAG Berlin-Brandenburg v. 30.3.2012 – 10 Sa 2272/12). Keinesfalls aber ist der Mitarbeiter unter Angabe eines unzutreffenden Gesprächsthemas (beispielsweise: „Ihre Beförderung“) zum Anhörungsgespräch einzuladen.
- Nicht ausreichend ist es, den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung zu konfrontieren. (vgl. BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06).
LAG Schleswig-Holstein: Inhaltlich Anforderungen an die Anhörung des Mitarbeiters
Das LAG bejaht hier zwar das Vorliegen von konkreten Tatsachen, die den dringenden Verdacht einer ganz erheblichen Pflichtverletzung durch die Klägerin begründen, verneinte die Wirksamkeit der Kündigung jedoch aufgrund der fehlerhaften Anhörung. Lediglich der Verdacht einer Verfehlung könne den Anforderungen an den Ausspruch einer Kündigung nur dann genügen, wenn der Arbeitgeber den Verdacht weder auszuräumen, noch auf eine ganz sichere Grundlage zu stellen vermochte – weshalb einer auf den konkreten Sachverhalt bezogenen Anhörung vor Ausspruch einer Kündigung ganz besondere Bedeutung zukomme. Hier habe die Beklagte trotz der vorhandenen konkreten Erkenntnisse zu dem Immobilienerwerb des Vaters der Klägerin sowie der Überweisung an die Klägerin diese nicht mit allen erheblichen Umständen konfrontiert und ihr so nicht die Möglichkeit gegeben, sich zu den tragenden Verdachtsmomenten zu äußern. Die Klägerin sei von der Beklagten nur allgemein danach gefragt worden, ob Geld geflossen ist. Der Klägerin war es deshalb nicht möglich, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder zu entkräften und so zur Aufklärung der für den Arbeitgeber im Dunklen liegenden Geschehnisse beizutragen. Das LAG stellte darauf ab, dass die Beklagte die Arbeitnehmerin mit den Erkenntnissen aus dem Durchsuchungsbeschluss hätte konfrontieren müssen, denn eine wirksame Anhörung des Arbeitnehmers darf nicht lediglich unsubstantiierte Wertungen ohne Mitteilung der wesentlichen Erkenntnisse enthalten.
Konsequenzen für die Praxis
Mit dieser Entscheidung setzt das Gericht konsequent die strengen Vorgaben des BAG zur Anhörung des Arbeitnehmers bei einer Verdachtskündigung um. Die Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Anhörung gestellt werden, sind hoch. Die Entscheidung sollte aufgrund der hohen praktischen Bedeutung dringend berücksichtigt werden.
Insbesondere auf komplexe, Compliance-indizierte Verdachtskündigungen ist sie jedoch nicht grenzenlos übertragbar. Richtig ist, dass eine Anhörung nur dann ordnungsgemäß erfolgt, wenn der Arbeitnehmer möglichst wertungsfrei mit den wesentlichen Erkenntnissen und erheblichen Umständen konfrontiert wird, die zu dem Verdacht der Pflichtverletzung führen. Dabei soll zwar – zu Recht – eine pauschale Schilderung des Verdachts bzw. ein pauschales Befragen ohne konkrete Tatsachen nicht genügen, der Arbeitgeber ist jedoch nicht gezwungen, sämtliche verfügbare Beweismittel vorzulegen oder gar Quellen zu offenbaren. Der Arbeitnehmer muss in die Lage versetzt werden, zu einzelnen Vorwürfen und Ereignissen konkret Stellung zu nehmen. Dies ist jedoch auch dann der Fall, wenn der Arbeitgeber z. B. den Inhalt einer belastenden Mitarbeiterbefragung zusammenfassend wiedergibt (ohne das ganze Protokoll vorzulegen), belastende E-Mails aus einer E-Search kontextbezogen (und nicht als Ganzes) vorlegt oder aber – wie im vorliegenden Fall – den Arbeitnehmer mit den Erkenntnissen aus dem Durchsuchungsbeschluss konfrontiert, das Dokument aber nicht direkt vorlegt. Dass der Arbeitgeber hierzu auch die konkreten Dokumente zur Verfügung stellen muss, geht aus der Entscheidung des LAG gerade nicht hervor und würde den Bogen erheblich überspannen. Bei der Anhörung handelt es sich gerade nicht um eine vorweggenommene „Beweisaufnahme“.
Eine ausführliche Urteilsbesprechung unserer Partnerin Katja Giese finden Sie unter ZIP 2020, 1004 – 1006.
Fazit
Der Ausspruch einer Verdachtskündigung bedarf entsprechender Vorbereitung. Arbeitgeber müssen hierbei ebenso zügig wie sorgfältig vorgehen. Auch wenn Sie nicht bereits im Rahmen der Anhörung „alle Karten auf den Tisch“ legen müssen, so muss der Arbeitgeber die im Raum stehenden Vorwürfe doch bereits zu diesem Zeitpunkt bereits konkret und umfänglich beschreiben. Denn die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein verdeutlicht, dass die Rechtsprechung auch zukünftig bei der Einhaltung der formalen Voraussetzungen einer Verdachtskündigung genau hinschauen wird.