open search
close
Arbeitszeit Datenschutz

Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprint – ArbG Berlin äußert sich zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit

Die elektronische Zeiterfassung gewinnt vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 – C-55/18 zunehmend an Bedeutung. Danach müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber bekanntlich verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dabei ist die digitale Zeiterfassung mittels Fingerprint für den Arbeitgeber besonders interessant. Hierdurch soll u.a. verhindert werden, dass Mitarbeiter für Kollegen „mitstempeln“ und einem Arbeitszeitbetrug entgegengewirkt werden. Zu dieser Form der Arbeitszeiterfassung berichteten wir bereits in unserem Blog (vgl. den Beitrag von Martin Eisenbeis v. 28.02.2019). Das ArbG Berlin hat sich zwischenzeitlich zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit einer entsprechenden Arbeitszeiterfassung geäußert (Urteil v. 16.10.2019 – 29 Ca 5451/19) und dem Arbeitgeber Kriterien an die Hand gegeben, die bei der rechtlichen Bewertung zu berücksichtigen sind.

Was ist passiert?

Der Arbeitgeber führte ein neues Zeiterfassungssystem ein, bei welchem sich die Mitarbeiter mittels Fingerprint an- und abmelden sollten. Hierbei wurden aus dem Fingerabdruck des Mitarbeiters zunächst sogenannte Minutien (individuelle, nicht vererbbare Fingerlinienverzweigungen) mittels eines speziellen Algorithmus extrahiert. Der Minutiendatensatz wurde sodann im Zeiterfassungsterminal gespeichert und zum Abgleich des Fingerabdrucks der Mitarbeiter bei der An- und Abmeldung verwendet. Nicht gespeichert wurde hingegen der Fingerabdruck selbst. Nachdem sich der klagende Arbeitnehmer weigerte, das Zeiterfassungssystem zu benutzen, erteilte ihm der Arbeitgeber zwei Abmahnungen.

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit

Das ArbG entschied, dass die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen seien, da die Zeiterfassung per Fingerprint im konkreten Fall nicht datenschutzrechtskonform erfolgt sei. Weil die Datenverarbeitung weder auf eine Einwilligung des Arbeitnehmers noch – mangels Betriebsrats – auf eine Betriebsvereinbarung gestützt werden konnte, richtete das Gericht seine rechtliche Prüfung an den einschlägigen Vorschriften des Art. 9 Abs. 1 DSGVO und § 26 Abs. 3 BDSG aus. Danach handelt es sich beim Minutiendatensatz um biometrische Daten und besondere Kategorien personenbezogener Daten, deren Verarbeitung ausnahmsweise nur dann erfolgen darf, wenn sie für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist.

Erforderlichkeitskriterien zugunsten des Arbeitgebers

Bei der Prüfung der Erforderlichkeit ging das ArbG von dem Grundsatz aus, dass der mit einer Datenverarbeitung verfolgte konkrete Zweck umso schwerer wiegen müsse, je intensiver in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer eingegriffen wird. Da der Eingriff bei der Einführung eines Fingerprintsystems erheblich sei, müssten besondere Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an dessen Einführung begründen könnten.

Bei der Interessenabwägung führte das Arbeitsgericht an, der Arbeitgeber müsse für eine „solche Art von Kontrollen“ einen besonderen Anlass haben. Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn

  • durch ein bisheriges „händisches“ System erheblicher Missbrauch betrieben worden sei,
  • im Fall der Einführung eines anderen Zeiterfassungssystems Missbrauch in nennenswertem Umfang zu befürchten sei oder
  • der klagende Arbeitnehmer in der Vergangenheit durch Falschangaben betreffend seine Arbeitszeit negativ aufgefallen sei.

Weil der Arbeitgeber entsprechende Umstände nicht ausreichend dargelegt hat, wurde der Klage des Arbeitnehmers stattgegeben.

Fazit

Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Einführung eines Zeiterfassungssystems mittels Fingerprint ist stets bezogen auf den jeweiligen Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Dabei gilt: je mehr Missbrauch im Betrieb des Arbeitgebers in der Vergangenheit praktiziert worden ist und je missbrauchsanfälliger andere Systeme erscheinen, desto eher darf ein entsprechendes System eingeführt werden.

Arbeitgeber mit Betriebsräten haben zudem den Vorteil, dass sie die datenschutzrechtliche Zulässigkeit auch durch eine Betriebsvereinbarung herbeiführen können. Der Betriebsrat hat bei der Einführung eines Fingerprintsystems zumindest auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht. Dagegen steht die Einholung von datenschutzrechtlichen Einwilligungen der Arbeitnehmer als Rechtsgrundlage „auf wackligen Füßen“. Diese können von den Arbeitnehmern nicht nur jederzeit mit der Folge widerrufen werden, dass eine darauf gestützte Datenverarbeitung unzulässig wird. Sie können auch mit Blick auf die von Art. 7 Abs. 4 DSGVO und § 51 Abs. 4 BDSG geforderte Freiwilligkeit angreifbar sein.

Tomislav Santon, LL.M.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Tomislav Santon berät Arbeitgeber in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die Begleitung von Unternehmen durch Restrukturierungsprozesse und die Unterstützung in Angelegenheiten des Mitarbeiterdatenschutzes, der betrieblichen Mitbestimmung sowie des Kündigungsschutzes. Besondere Expertise verfügt er in der Gestaltung und Verhandlung von IT-Betriebsvereinbarungen. Tomislav Santon ist Mitglied der Fokusgruppe „Digitalisierung in Unternehmen“.
Verwandte Beiträge
Kollektivarbeitsrecht Mitbestimmung Neueste Beiträge Unternehmensführung

Pflichttermin oder Störung? Wie Arbeitgeber Betriebsversammlungen in den Arbeitsalltag integrieren können

Betriebsversammlungen sind für den Betriebsrat ein gesetzlich verankertes Kommunikationsmittel – für Arbeitgeber hingegen oft ein organisatorischer Kraftakt. Denn sobald Versammlungen während der Arbeitszeit stattfinden, sind nicht nur Personalressourcen gebunden, sondern auch die betrieblichen Abläufe potenziell beeinträchtigt. Umso wichtiger ist die Frage: Was ist rechtlich zulässig, was ist zumutbar und wie lässt sich das Mitbestimmungsrecht mit den Anforderungen des laufenden Betriebs in Einklang bringen? Grundsätze der…
Arbeitsrecht 4.0 Arbeitszeit & Arbeitszeiterfassung Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge Unternehmensführung

Mehr Schein als (Da-)Sein: Was „Coffee Badging“ für Arbeitgeber bedeutet

In immer mehr Unternehmen ist ein neues Phänomen zu beobachten: Mitarbeitende erscheinen lediglich kurz im Büro, stempeln („badging“) sich ein – und sind wenig später wieder verschwunden. Diese Form symbolischer Anwesenheit, bekannt unter dem Schlagwort „Coffee Badging“, wirkt auf den ersten Blick unauffällig, verweist jedoch auf grundlegende Spannungen im modernen Arbeitsalltag. Wie ist „Coffee Badging“ arbeitsrechtlich einzuordnen und wie sollten Arbeitgeber damit umgehen? Begriff und…
Arbeitszeit Arbeitszeit & Arbeitszeiterfassung Compliance Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge Vergütung

Wegezeit, Umwegezeit, Arbeitszeit? Was zu vergüten ist – und was nicht

Die Abgrenzung zwischen vergütungspflichtiger Arbeitszeit und unbezahltem Arbeitsweg sorgt in der Praxis immer wieder für Unsicherheit. Besonders bei Reisetätigkeiten, erforderlichen Wegen zur eigenen Ausrüstung oder zum Umkleiden mit bereitgestellter Dienstkleidung stellt sich die Frage: Wann beginnt die vergütungspflichtige Arbeitszeit? Ein Überblick über typische Wegezeiten und ob sie zu vergüten sind. Arbeitsweg muss nicht vergütet werden Die Wegezeit zwischen Wohnung und Arbeitsstelle gilt nach ständiger Rechtsprechung…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert