Im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen sind straffe Zeitpläne in der Praxis nicht unüblich. Kaum wurden Kollektivvereinbarungen geschlossen, startet auch schon das Freiwilligenprogramm. Häufig nimmt dann auch noch der Vorbereitungsprozess für die Massenentlassungsanzeige mehr Zeit in Anspruch als geplant. Im Ergebnis führen zeitliche Verzögerungen meist zu einer Verkürzung der Laufzeit des Freiwilligenprogramms – zu Lasten aller Betriebsparteien. Arbeitnehmern fehlt die Zeit, sich mit den Vertragsangeboten auseinander zu setzen und Rechtsrat einzuholen. Betriebsrat und Personalabteilung stehen unter enormem Zeitdruck bei der Beantwortung von Rückfragen der Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber schadet es ebenfalls, wenn sich Arbeitnehmer wegen einer zu kurz bemessenen Frist gegen eine einvernehmliche Lösung entscheiden.
Weshalb eine Verkürzung des Beteiligungsprozesses der Arbeitnehmervertretungen im Verfahren zur Erstattung der Massenentlassungsanzeige wünschenswert wäre und inwieweit eine solche im Ergebnis umzusetzen ist, beleuchten wir im Folgenden.
Zeitlicher Ablauf des Konsultationsverfahrens
Vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 S.1 KSchG rechtzeitig zweckdienliche Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich zu unterrichten. Darüber hinaus haben der Arbeitgeber und der Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG über die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Dieser Prozess ist grundsätzlich erst abgeschlossen, wenn der Betriebsrat gem. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG zu den beabsichtigten Kündigungen eine abschließende Stellungnahme abgibt oder der Arbeitgeber gem. § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt.
In der Praxis gibt der Betriebsrat häufig keine Stellungnahme ab, sodass der Arbeitgeber gezwungen ist, die Zwei-Wochen-Frist des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG verstreichen zu lassen. Dies trägt aber u. a. zu dem zeitintensiven Prozess vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige bei. Wünschenswert wäre daher die Zulässigkeit einer einvernehmlichen Verkürzung der Konsultationsfrist, wie sie bereits teilweise im Rahmen von § 102 BetrVG befürwortet wird.
Verkürzung der Beteiligungsfrist nach § 102 BetrVG
Hinsichtlich der Mitbestimmung des Betriebsrats bei Kündigungen gem. § 102 Abs. 1 und 2 BetrVG ist umstritten und bislang nicht höchstrichterlich entschieden, ob eine einvernehmliche Verkürzung der Wochenfrist durch Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede zulässig ist. Bislang stellte das BAG ausschließlich fest, dass eine einseitig vom Arbeitgeber veranlasste Verkürzung grundsätzlich nicht möglich ist (Urt. v. 29.03.1977 – 1 AZR 46/75).
Die einvernehmliche Verkürzung der Frist des § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist nach hiesiger Ansicht richtigerweise als zulässig zu erachten. Für die Disponibilität spricht zum einen, dass der Betriebsrat auch durch eine vorzeitige Stellungnahme die Möglichkeit hat, auf das Ausschöpfen der Wochenfrist zu verzichten. Zum anderen stellt eine derartige Verkürzung der Frist gerade keinen Fall eines unwirksamen Verzichts auf das Mitbestimmungsrecht dar. Das Mitbestimmungsrecht ist im Falle der Verkürzung schlicht innerhalb einer kürzeren Frist auszuüben.
Konsequent wäre es aber auch darüber hinaus den Eintritt der Fiktionswirkung mit Ablauf der verkürzten Frist anzunehmen – dies ist einstweilen jedoch Zukunftsmusik.
Übertragbarkeit dieser Grundsätze
Nicht nur die einvernehmliche Verkürzung der gesetzlichen Frist des § 102 BetrVG, sondern auch die der Zwei-Wochen-Frist des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG ist unter den vorgenannten Erwägungen zu befürworten. Auch im Rahmen des Konsultationsverfahrens kann der Betriebsrat durch eine vorzeitige Stellungnahme auf das Ausschöpfen der Zwei-Wochen-Frist verzichten. Gerade wenn bereits Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan geführt worden sind, wurden die Möglichkeiten zur Vermeidung der Entlassungen bereits im Rahmen der Kollektivvereinbarungen verhandelt, sodass der Sinn und Zweck der Vorschrift einer Verkürzung Zwei-Wochen-Frist nicht entgegen steht. Nach ständiger Rechtsprechung ist es ja sogar möglich, dass der Betriebsrat bereits im Interessenausgleich erklärt, dass eine Beratung über soziale Maßnahmen erfolgte, er diese für abgeschlossen erachtet und mit Unterzeichnung des Interessenausgleichs bereits abschließend Stellung zu den Entlassungen nimmt und damit das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG abgeschlossen ist.
Mit Blick auf die Entscheidung des LAG Berlin Brandenburg vom 11.07.2019 – 21 Sa 2100/18, behandelt in unserem Blog-Beitrag vom 14. November 2019, sollten Arbeitgeber, die eine einvernehmliche Verkürzung der gesetzlichen Frist des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG oder eine abschließende Stellungnahme bereits im Interessenausgleich anstreben, alle Arbeitnehmervertretungen frühzeitig an den Verhandlungstisch und damit ins Boot wäre die Verkürzung der Frist mit allen Arbeitnehmervertretungen vereinbart werden bzw. eine abschließende Stellungnahme aller Arbeitnehmervertretungen vorliegen.
Zukunftsmusik
Ein Tätigwerden des Gesetzgebers oder eine Entscheidung der Rechtsprechung, die den Betriebsparteien die Möglichkeit einräumt, die gesetzlich vorgegebenen Fristen verbindlich zu verkürzen, wäre wünschenswert. Denn nur wenn auch bei dem Ablauf einer verkürzten Frist die Fiktionswirkung eintritt, erhält der Arbeitgeber eine Handlungsmöglichkeit und fällt nicht doch auf die starren gesetzlichen Fristen zurück, wenn der Betriebsrat die verkürzte Frist schlicht verstreichen lässt und keine Erklärung abgibt.
Aktuelle Rechtslage und Handlungsempfehlung
Da nach derzeitiger Rechtsprechung keine Fiktionswirkung beim bloßen Verstreichen einer einvernehmlich verkürzten Frist eintritt und der Arbeitgeber auf das Vorliegen einer abschließenden Stellungnahme der Arbeitnehmervertretungen angewiesen ist, sollte er die Arbeitnehmervertretungen möglichst frühzeitig in die Verhandlungen zu den Kollektivvereinbarungen einbinden. So besteht die Möglichkeit eine abschließende Stellungnahme entweder direkt im Interessenausgleich zu integrieren oder eine Regelungsabrede zu treffen, nach der die Arbeitnehmervertretungen verpflichtet werden, innerhalb einer verkürzten Frist abschließend Stellung zu nehmen. Sobald dem Arbeitgeber eine entsprechende abschließende Stellungnahme vorliegt, kann er den Prozess der Massenentlassungsanzeige voranbringen. Fehlt es allerdings an einer abschließenden Stellungnahme ist nach der aktuellen Rechtslage zwingend die gesetzliche Konsultationsfrist von zwei Wochen einzuhalten und abzuwarten, um nicht die Wirksamkeit der auf der Massenentlassungsanzeige beruhenden Kündigungen zu riskieren.
# Massenentlassung, # Konsultationsverfahren