Kann der Betriebsrat unter zur Hilfenahme einer Einigungsstelle gegen den Willen des Arbeitgebers eine Mindestbesetzung des Pflegedienstes erreichen? Der Fall, der zuerst im Sommer 2017 für Aufsehen sorgte, als das Arbeitsgericht Kiel den entsprechenden Spruch der Einigungsstelle bestätigte, wurde nun durch das BAG entschieden.
Worum ging es?
Zwischen der Arbeitgeberin, der Betreiberin einer Spezialklinik, und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat gab es Auseinandersetzungen über die Mindestbesetzung des Pflegedienstes (wir berichteten hier über die Entscheidung der Vorinstanz).
Im Rahmen dieser Auseinandersetzung wurde auf Antrag des Betriebsrats im März 2013 die Einigungsstelle „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ eingerichtet. Im Laufe der nächsten drei Jahre wurde der Gegenstand der Einigungsstelle mehrfach abgeändert bzw. erweitert. Daher gab die Einigungsstelle mehrere Gutachten zur Beurteilung der Gefährdungssituation der Pflegekräfte in Auftrag und sollte für die Festlegung konkreter Gesundheitsschutzmaßnahmen und die Kontrolle der Wirksamkeit der Maßnahmen zuständig sein.
Im Dezember 2016 beschloss die Einigungsstelle durch Spruch (gegen die Stimmen der Arbeitgeberin) eine Betriebsvereinbarung. Hiernach sollte die Dienstplanung der Pflegekräfte (zur Vermeidung von gesundheitlichen Gefährdungen) von der Patientenbelegung der einzelnen Stationen abhängig zu machen sein. Die Arbeitgeberin focht den Spruch der Einigungsstelle mit dem Argument an, der Regelungsauftrag der Einigungsstelle sei schon nicht hinreichend bestimmt gewesen und im Übrigen fehle es an der Spruchkompetenz der Einigungsstelle.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG hat (wie die Vorinstanz auch) entschieden, der Spruch der Einigungsstelle ist unwirksam. Denn der Regelungsauftrag der Einigungsstelle sei bereits nicht hinreichend bestimmt und zudem mangele es der Einigungsstelle an Spruchkompetenz. Denn es könne nicht gleichzeitig ein Auftrag zur Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) sowie zur Festlegung von Schutzmaßnahmen und Kontrolle von deren Wirksamkeit (§ 3 Abs. 1 ArbSchG) übertragen werden.
Mangelnde Bestimmtheit des Regelungsauftrags der Einigungsstelle
Bei der Einsetzung einer Einigungsstelle muss eindeutig festgelegt werden, für welche Regelungsfragen die Einigungsstelle überhaupt eingerichtet wurde. Hintergrund: wenn die Zuständigkeit der Einigungsstelle nicht ausreichend begrenzt ist, lässt sich nicht überprüfen, ob der Spruch möglicherweise unwirksam ist, weil die Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag nicht ausreichend nachkommt.
Dies war im vorliegenden Fall bereits nicht gegeben. Der ursprüngliche Regelungsauftrag „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ war so weit gefasst und damit so unbestimmt, dass hieraus keine Spruchkompetenz für die Einigungsstelle erwachsen konnte.
Keine Einsetzung der Einigungsstelle „ins Blaue“ hinein
Das BAG hat weiter ausgeführt, selbst wenn man annehmen würde, die Zuständigkeit der Einigungsstelle bezöge sich auf
- die Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung gem. § 5 ArbSchG,
- die Regelung erforderlicher Schutzmaßnahmen iSv § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG sowie
- die Regelung der Wirksamkeitskontrolle iSv § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG
hätten all diese Regelungsgegenstände nicht gleichzeitig auf die Einigungsstelle übertragen werden können.
Diese Regelungsgegenstände betreffen grundsätzlich Pflichten des Arbeitgebers. Soweit betriebliche Regelungen erforderlich sind, wie der Arbeits- und Gesundheitsschutz erreicht werden soll, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu. Wenn sich die Betriebsparteien nicht einigen, kann die Einigungsstelle gem. § 87 Abs. 2 BetrVG hierüber entscheiden.
Der Betriebsrat kann in Bezug auf die Gefährdungsbeurteilung mitbestimmen, durch welche Methoden und Verfahren die Gefährdung festgestellt werden soll. Die Einigungsstelle kann daher auch nicht selbst Grund und Ausmaß der Gefährdungen klären bzw. durch Sachverständige ermitteln lassen, denn die Verantwortung hierfür trägt der Arbeitgeber und diese Verantwortung kann auch nicht auf die Einigungsstelle delegiert werden.
In Bezug auf die konkret erforderlichen Schutzmaßnahmen und deren Wirksamkeitskontrolle nach § 3 Abs. 1 ArbSchG kann der Betriebsrat mitbestimmen, welche Schutzmaßnahme von unterschiedlichen möglichen Schutzmaßnahmen umgesetzt werden soll. Grundlage hierfür muss jedoch eine vorher feststehende oder durch eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellte Gefährdung sein.
Keine Umgehung der Verhandlungshoheit der Betriebsparteien durch die Einigungsstelle
Aufgrund der Systematik zwischen § 5 ArbSchG und § 3 Abs. 1 ArbSchG kann eine Einigungsstelle daher nicht gleichzeitig dafür zuständig sein, sowohl das Verfahren zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung als auch – im Vorgriff – ggf. erforderliche Schutzmaßnahmen und deren Wirksamkeit zu regeln.
Erst wenn konkrete Gesundheitsgefährdungen feststehen, können die Betriebsparteien über den Handlungsbedarf sprechen. Und erst wenn diese Gespräche gescheitert sind, kann die Einigungsstelle mit der Regelung dieses Konflikts beauftragt werden. Eine vorgreifende Einsetzung der Einigungsstelle, ohne zu wissen, ob es Gefährdungen gibt bzw. ob über die Handhabung Konflikt entsteht, widerspricht der gesetzlichen Regelung, mitbestimmungspflichtige Themen zunächst durch die Betriebsparteien verhandeln zu lassen.
Hinweise für die Praxis
Die Betriebsparteien sollten den Regelungsgegenstand der Einigungsstelle so präzise wie möglich festlegen und bei Einigungsstellen im Gesundheitsschutz das vom BAG vorgegebene zweistufige Verfahren beachten: erst Einigung über das Verfahren zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und ggf. dann im zweiten Schritt Festlegung der konkreten Arbeitsschutzmaßnahmen, um den konkreten Gefährdungen begegnen zu können.