Der Arbeitgeber will eine interessenausgleichpflichtige Personalabbaumaßnahme durchführen und noch bis Monatsende die erforderlichen Kündigungen zustellen. Die Zeit drängt, schließlich sind Interessenausgleich (und Sozialplan) mit dem Betriebsrat noch nicht final verhandelt und der Arbeitgeber muss vorab u.a. auch noch die Betriebsratsanhörungen nach § 102 BetrVG durchführen. Insofern stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber auch schon vor Abschluss des noch final zu verhandelnden Interessenausgleichs die Betriebsratsanhörungen nach § 102 BetrVG schon einmal durchführen bzw. einleiten kann.
„Anhörung auf Vorrat“
Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Anhörung ist, dass sich der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers bereits so konkretisiert hat, dass der Betriebsrat sinnvoll zu der Kündigung Stellung nehmen kann. Hieran fehlt es, wenn der Arbeitgeber noch keinen festen Kündigungsentschluss gefasst hat oder diesen Entschluss noch nicht verwirklichen will oder kann und die Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklungen stehen. Eine solche „Anhörung auf Vorrat“ ist nach der Rechtsprechung des BAG keine ordnungsgemäße Anhörung nach § 102 BetrVG (BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 654/02).
Will der Arbeitgeber dagegen lediglich vor Ausspruch der Kündigung den Eintritt bestimmter Umstände abwarten, stehen aber sowohl der Kündigungsentschluss als auch die Einzelheiten der Kündigung (u.a. Person des zu kündigenden Mitarbeiters, Kündigungsgrund) bereits fest, so kann auch eine Betriebsratsanhörung schon erfolgen und es handelt sich nicht um eine unzulässige „Anhörung auf Vorrat“. Schließlich ist der Betriebsrat in der Lage, die Beweggründe für die Kündigung zu erkennen und auf die Willensbildung Einfluss zu nehmen (BAG v. 22. 4. 2010 – 2 AZR 991/08).
Was gilt bei Betriebsänderungen?
Gleiches soll nach einer Entscheidung des LAG Hamm aus dem Jahre 2014 gelten, wenn als Folge einer Betriebsänderung (z.B. großer Personalabbau) die Kündigung von Mitarbeitern beabsichtigt ist, der Arbeitgeber aber im Hinblick auf seine Pflicht, einen Interessenausgleich zu versuchen (§ 113 Abs. 3 BetrVG), das Ergebnis der Verhandlungen mit dem Betriebsrat abwarten will/muss. Hier soll er den Betriebsrat vor Abschluss des Interessenausgleichsverfahrens bereist vorsorglich zu den beabsichtigten Kündigungen anhören können (LAG Hamm v. 6.6.2014 – 18 Sa 1686/13; im Ergebnis wohl auch BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 654/02). Es gebe (so das LAG Hamm) keinen Rechtssatz mit dem Inhalt, dass der Arbeitgeber eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG nicht vor dem Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen nach §§ 111, 112 BetrVG vornehmen darf, wenn die Umstände, die die Kündigung bedingen, zugleich als Betriebsänderung im Sinn des § 111 BetrVG beteiligungspflichtig sind. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG deutlich macht, dass er unabhängig vom Ausgang der Interessenausgleichsverhandlungen zur Kündigung entschlossen ist.
Die Entscheidung des LAG Hamm ist in seiner Begründung nachvollziehbar und steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG zur unzulässigen „Anhörung auf Vorrat“. Insofern liegt auch keine Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111, 112 BetrVG vor, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat zu beabsichtigten Kündigungen nach § 102 BetrVG anhört, sondern erst darin, dass der Arbeitgeber Kündigungen ausspricht und insoweit die Betriebsänderung faktisch vollzieht. Zudem ist das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG vom Beteiligungsverfahren nach §§ 111, 112 BetrVG zu trennen.
Hinweise für die Praxis
Im Rahmen der Planung eines interessenausgleich- und sozialplanpflichtigen Personalabbaus ist es wichtig, die einzelnen arbeitsrechtlichen Schritte (u.a. Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen, Konsultationsverfahren und Massenentlassungsanzeige sowie Betriebsratsanhörungen) im Rahmen eines arbeitsrechtlichen Ablaufplans gut vorzubereiten, damit der oftmals vorgegebene Zeitplan möglichst eingehalten werden kann. Auch wenn die Betriebsratsanhörungen unter Berücksichtigung der vorgenannten Ausführungen bei einer zeitlich eng getakteten Personalabbaumaßnahme auch schon vor Abschluss eines Interessenausgleichs zulässig sein dürften, bleibt hier Vorsicht geboten. Schließlich gibt es keine höchstrichterliche Rechtsprechung, die dies ausdrücklich als zulässig erklärt. Insofern sollte beim Erstellen eines arbeitsrechtlichen Ablaufplans im Rahmen einer Personalabbaumaßnahme die Betriebsratsanhörung nebst Wochenfrist zur Stellungnahme (möglichst nach Abschluss eines Interessenausgleichs) immer mit einkalkuliert werden.