open search
close
Internationales Arbeitsrecht

EU-Restrukturierungsrichtlinie stärkt Arbeitnehmerrechte

Print Friendly, PDF & Email

Die geplante EU-Richtlinie ermöglicht es Unternehmen, in einer drohenden Krisensituation schon sehr früh Maßnahmen zu ergreifen und eine eventuelle Insolvenz abzuwenden. In Deutschland sind für die Umsetzung der „Restrukturierungsrichtlinie“ schon bald konkrete Vorschläge zu erwarten. Diese Vorschläge werden auch die Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter berühren – und an manchen Stellen stärken, wie man zwischen den Zeilen der Richtlinie liest.

Rechte der Arbeitnehmervertretung

Die Restrukturierungsrichtlinie schreibt vor, dass die Maßnahmen, Ziele und Alternativen der Restrukturierung „in einem Dialog“ mit den Arbeitnehmern und ihren Vertretern erörtert werden sollen. Gemeint sind vor allem die unionsrechtlichen Mindestanforderungen der Anhörung und Unterrichtung und deren nationale Umsetzung. Zusätzlich lässt sich an verschiedenen Stellen der Richtlinie eine Stärkung der Beteiligungsrechte insgesamt herauslesen:

  • Einrichtung von Warnmechanismen vor, die beispielsweise ausgelöst werden, wenn das Unternehmen Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr zahlt. Diese Informationen müssen den Arbeitnehmervertretern zugänglich gemacht werden, die zur Bewertung der wirtschaftlichen Situation Unterstützung beantragen können (dann nach § 40 BetrVG denkbar).
  • Unterrichtung der Arbeitnehmervertreter über den Beschluss, ein präventives Restrukturierungsverfahren einzuleiten. Dabei dürfte der Wirtschaftsausschuss nach § 106 Abs. 3 Nr. 1 bzw. § 100 Abs. 2 BetrVG zu unterrichten sein und möglicherweise auch der Betriebsrat nach § 111 BetrVG, wenn der Arbeitgeber bereits einen konkreten Plan verfolgt, welche Ziele im Rahmen der präventiven Restrukturierung erreicht werden sollen.
  • Mögliches Antragsrecht für Arbeitnehmervertreter, das präventive Restrukturierungsverfahren sogar gegen den Willen des Unternehmens einzuleiten.
  • Eingehende Unterrichtung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter über die Restrukturierungspläne, sodass diese in die Lage versetzt sind, „die verschiedenen Szenarien eingehend zu prüfen“. Daraus folgt gegebenenfalls eine weitergehende Konsultation als heute bei „normalen“ Betriebsänderungen anerkannt. Liest man den Willen des Gesetzgebers richtig, dürfte zum Beispiel auch eine Information über Konzerndurchgriffe bei Sozialplänen und die wirtschaftliche Situation im Konzern (über die Grenze des betroffenen Unternehmens hinaus) relevant werden.

Rechte der Arbeitnehmer

Falls die Ansprüche von Arbeitnehmern in den Restrukturierungsplan aufgenommen wurden, sind sie „Betroffene“ und müssen ebenso wie alle anderen betroffenen Gläubiger dem Restrukturierungsplan zustimmen. Insgesamt gilt der Restrukturierungsplan als angenommen, wenn in jeder Klasse der Plan mehrheitlich angenommen wird. Jedenfalls dann, wenn der Restrukturierungsplan zum Verlust von mehr als 25 Prozent der Arbeitsplätze führt, muss der Plan zudem durch eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde geprüft und bestätigt werden. Je nach Umsetzung in Deutschland muss die Behörde dann die Einhaltung der Verfahrensvorschriften sowie die Wahrung von Gläubigerinteressen prüfen.

Prüfungsmaßstab und Folge für Unternehmen

Aufgrund der in der EU-Restrukturierungsrichtlinie formulierten strengeren Anforderungen und gestärkten Rechte der Arbeitnehmervertreter ist zu erwarten, dass deutsche Gerichte bei der Überprüfung von Restrukturierungsplänen einen strengen Maßstab zugrunde legen. Sie werden dabei insbesondere prüfen, ob die Arbeitnehmervertreter ausreichend über die aktuelle und zukünftige Finanzierung des Arbeitgebers, die etwaige Absicherung sowie auch den wirtschaftlichen Handlungsspielraum des Arbeitgebers einschließlich seiner Gesellschafter informiert wurden. Kommt ein Unternehmen diesen Konsultationspflichten nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend nach, droht im schlimmsten Fall die Ablehnung des Restrukturierungsplans durch die betroffenen Arbeitnehmer und / oder ein Gericht. Unternehmen sind deshalb gut beraten, den Umfang der Unterrichtungspflichten frühzeitig zu erkennen und die Unterrichtung sorgfältig für eine spätere gerichtliche Überprüfung zu dokumentieren.

Fazit

Die EU-Restrukturierungsrichtlinie nimmt nicht etwa nur auf bestehende Arbeitnehmerrechte Bezug. Im Gegenteil betont der EU-Gesetzgeber, Arbeitnehmerinteressen bereits im vorinsolvenzlichen Verfahren stärker berücksichtigen zu wollen. Zum einen dürften die Arbeitnehmervertreter bereits im Stadium der „Vorkrise“ einen Anspruch auf Beratung über etwaige geplante Maßnahmen im Rahmen des Restrukturierungsplans haben. Zum anderen dürfe auch die Reichweite des Unterrichtungsanspruchs möglicherweise sogar größer sein als heute anerkannt.

Katja Giese, LL.M.

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht / Attorney-at-Law (NY)
Partner
Katja Giese berät Arbeitgeber vor allem in Zusam­men­hang mit inter­na­tio­na­len Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen, der anschlie­ßenden Integration und Umstruk­tu­rie­run­gen. Sie verfügt außerdem über umfassende Erfahrungen im inter­na­tio­na­len Projektmanagement. Katja Giese ist zugelassen als Attorney-at-Law (NY) in den Vereinigten Staaten, wo sie Teile ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn verbrachte. Besondere Branchenkenntnis besitzt sie im Technologiesektor.
Verwandte Beiträge
Massenentlassung Neueste Beiträge Restrukturierung Sozialplan

Wert(e)schätzende Restrukturierung – ist das möglich?

Mit der teilweise dramatischen Eintrübung der Konjunktur und den in Folge hoher Energiekosten besonderen Herausforderung für deutsche Standorte nimmt die Zahl von Restrukturierungs- und sogar Sanierungfällen branchenübergreifend täglich zu. Die damit verbundene ‘typische’ Kommunikation – ‚Stellenabbau/Massenentlassung/Sozialplan’ steht in krassem Widerspruch zu den HR-Herausforderungen bei Fachkräftemangel, Arbeitnehmerarbeitsmarkt und (in der Folge von COVID) gesunkener (innerer) Bindung an den Arbeitgeber. Daher stellt sich die Frage, ob und…
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge Restrukturierung

Outsourcing im Konzern – Betriebsbedingte Kündigungen möglich

Aufgaben zwischen Konzernunternehmen zu verlagern, ist ein gängiges Tool, um Strukturen oder Prozesse im Konzern zu optimieren. Ist für Arbeitnehmer in der neuen Struktur kein Platz mehr, droht die betriebsbedingte Kündigung. Das BAG positioniert sich in einem neuen Urteil (28.2.2023, Az. 2 AZR 227/22) zum Konzern-Outsourcing arbeitgeberfreundlich. In diesem Beitrag erfahren Sie, warum Gerichte die Arbeitgeberentscheidung zum Outsourcing auch in Konzernfällen regelmäßig nicht bewerten dürfen…
Kündigung, allgemein Neueste Beiträge Restrukturierung

Freiwilligenprogramme als Mittel zum streitlosen Stellenabbau

Einstellungstopps, Kostenreduzierung und Stellenabbau sind Themen, die aktuell kleine wie ganz große Unternehmen betreffen. Medienwirksam sind die in US-amerikanischen Konzernen erfolgenden Entlassungen tausender Beschäftigter. Im deutschen Arbeitsrecht sind Personalreduzierungen wegen der damit einhergehenden (kündigungs-)rechtlichen Auseinandersetzungen aufwendiger und bedürfen sorgfältiger Planung und Umsetzung. Freiwilligenprogramme können eine attraktive und sozialverträgliche Alternative oder zumindest vorgelagerte Maßnahme sein. Freiwilligenprogramme Freiwilligenprogramme sind ein anerkannt zulässiges Mittel, um bei Krisen und…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert