Luftfahrtunternehmen standen jüngst vermehrt im Fokus der Öffentlichkeit, z.B. wenn es um wirtschaftliche Probleme, Verspätungen, technische Pannen o.ä. ging. Weitgehend unbemerkt blieb dagegen bislang eine arbeitsrechtliche Gesetzesänderung historischen Ausmaßes, die am 01.05.2019 in Kraft treten wird. Es geht dabei um nicht weniger als die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auf Luftfahrtunternehmen, genauer gesagt um die Bildung von Betriebsräten im Flugbetrieb. Was also gilt künftig für „fliegende Betriebsräte“? Dazu nachfolgend mehr.
Was galt bisher?
Das Betriebsverfassungsgesetz gilt für alle Betriebe. Wirklich für alle? Nein, versteckt im hinteren Teil des Gesetzes finden sich in den §§ 114 ff. BetrVG Sonderregelungen für bestimmte Betriebsarten. Sucht man hier nach Luftfahrtunternehmen, fällt der Blick schnell auf den § 117 BetrVG. Dieser differenziert hinsichtlich der Anwendung des Gesetzes zwischen den Landbetrieben von Luftfahrtunternehmen und im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmern. Für Landbetriebe gelten insoweit keine Besonderheiten, auf diese findet das Betriebsverfassungsgesetz gem. § 117 Abs. 1 BetrVG a.F. uneingeschränkt Anwendung. So weit, so wenig überraschend, handelt es sich dabei doch ohne weiteres erkennbar nicht um „fliegende“ Betriebe. Anders dagegen die Regelung für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer. Für diese kann gem. § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden. Es galt also: ohne Tarifvertrag kein Betriebsrat für den Flugbetrieb. Im Ergebnis lag darin ein gesetzlicher, freilich bedingter, Ausschluss der Bildung von Betriebsräten im Flugbetrieb.
Wie ist die Praxis damit umgegangen?
Von der Möglichkeit zur Errichtung entsprechender Vertretungen wurde in der Vergangenheit durchaus reger Gebrauch gemacht. Inhaltlich kommt den Tarifvertragsparteien dabei eine weiterreichende Gestaltungsmacht zu, so dass nach zutreffender Ansicht auch vom Betriebsverfassungsgesetz abgewichen werden kann. Denn der Sinn und Zweck einer solchen Regelungsbefugnis kann ja nur in der angemessenen Berücksichtigung der Besonderheiten des Flugbetriebs liegen. Europarechtliche Vorgaben stehen dem nicht entgegen, weil diese noch nicht einmal zwingend überhaupt die Errichtung einer Arbeitnehmervertretung bedingen. Im Einzelnen wurden dann z.B. getrennte Vertretungen für das Kabinen- und das Cockpitpersonal gebildet. Dies berührt die spannende Frage, wo denn eigentlich im konkreten Fall der fliegende Betrieb zu sehen ist bzw. ob die entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen diesen determinieren, so dass sie bei der Bewertung nicht außen vor gelassen werden dürfen. Dem Versuch dagegen, eine Vertretung für das fliegende Personal ohne einen Tarifvertrag zu errichten bzw. einfach wählen zu lassen, wurde von der Rechtsprechung jüngst noch eine Absage erteilt (siehe dazu den Blogbeitrag „Fliegende Betriebsräte“ von Dr. Jochen Seier vom 25.04.2018).
Und was ist ab dem 01.05.2019 neu?
Ab dem 01.05.2019 wird die betriebsverfassungsrechtliche Welt nun eine andere sein, jedenfalls was im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer angeht. Denn der Gesetzgeber hat dem § 117 Abs. 1 BetrVG einen Satz 2 hinzugefügt, der das bislang herrschende Regel-Ausnahme-Verhältnis schlicht umkehrt. Dieser neue § 117 Abs. 1 Satz 2 BetrVG lautet:
Auf im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn keine Vertretung durch Tarifvertrag nach Absatz 2 Satz 1 errichtet ist.
Künftig gilt also für die Bildung von Betriebsräten durch im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer: „Ready for take off“! Die gesetzliche Einschränkung des § 117 Abs. 2 BetrVG wurde handstreichartig von der Startbahn geräumt. Das Betriebsverfassungsgesetz ist nunmehr auch für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen uneingeschränkt anwendbar, wenn keine tarifvertragliche Vertretung existiert. Eine weitere bemerkenswert arbeitnehmer- bzw. betriebsratsfreundliche Regelung, deren mediale Aufarbeitung („dröhnendes Schweigen“) sich leider umgekehrt proportional zur Schwere des damit verbundenen Eingriffs in die unternehmerische Handlungsfreiheit verhält. Zu den möglichen organisatorischen und finanziellen Belastungen für betroffene Arbeitgeber finden sich jedenfalls soweit ersichtlich keine vertiefenden Ausführungen.
Doch Vorsicht: Die Neuregelung ist kein Autopilot!
Ein Übermaß an Euphorie auf Seiten der (potentiellen) Arbeitnehmervertretungen wird der Arbeitgeber aber durchaus bremsen können. Wie häufig ist es nämlich auf den zweiten Blick nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten scheint. Arbeitnehmerseitige Forderungen in Bezug auf die Gesetzesänderung können ggf. mittels genauer Lektüre der Neuregelung abgewehrt werden. Denn diese gilt nur, wenn keine Vertretung durch Tarifvertrag errichtet ist. Eine zeitliche Vorgabe, wie lange diese Vertretung bereits existiert haben muss, ist damit nicht verbunden. Das heißt einerseits, eine zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung bereits bestehende Vertretung bleibt im Amt und wird nicht etwa automatisch aufgelöst. Eine Neuwahl alleine aus diesem Grund ist ebenfalls nicht angezeigt. Selbst eine Kündigung des Tarifvertrages hilft hier nicht weiter, weil nach dem neuen § 117 Abs. 2 Satz 3 BetrVG auf einen Tarifvertrag gem. § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG der § 4 Abs. 5 TVG anzuwenden ist, d.h. dieser entfaltet Nachwirkung. Es heißt andererseits aber vor allem auch, dass sich die Rechte einer bereits bestehenden Vertretung weiterhin abschließend nach dem geltenden Tarifvertrag richten, denn das Betriebsverfassungsgesetz gilt nur „wenn“ und nicht „soweit“ keine tarifvertragliche Vertretung besteht. Gerichtlich geklärt ist dies naturgemäß noch nicht. Gleiches gilt im Übrigen für die Fülle von Rechtsfragen, die sich aus einer ungefilterten Anwendung des insoweit eigentlich gar nicht passenden Betriebsverfassungsgesetzes auf (bislang vertretungslose) Flugbetriebe ergeben können. Insoweit bleiben den Unternehmen derzeit nur ein achtsamer Sichtflug und eine sorgfältige Prüfung arbeitsrechtlicher Turbulenzen, die ab dem 01.05.2019 zunehmen könnten.