Die Frage, ob beim Wechsel des Betreibers von Flüchtlingseinrichtungen ein Betriebsübergang nach § 613a BGB vorliegt, wenn der neue Betreiber vom vorherigen Betreiber kein nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, beschäftigt die arbeitsrechtliche Literatur und Rechtsprechung bereits seit dem Jahr 2016. Belastbare Rechtsprechung oder eine einheitliche Literaturmeinung existieren hierzu nach wie vor nicht. Vor dem Hintergrund, dass der Betrieb mehrerer Zentraler Unterbringungseinrichtungen in NRW derzeit neu ausgeschrieben wird, ist die Frage nach wie vor aktuell und für Betreiber von Flüchtlingseinrichtungen und deren Beschäftigten gleichermaßen von erheblicher Relevanz.
Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE)
In NRW existieren derzeit rund 30 Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE). Bei einer ZUE handelt es sich um eine Einrichtung des Landes, in der Asylsuchende nach dem Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes (EAE) für maximal sechs Monaten untergebracht sind, bevor sie anschließend einer Kommune zugewiesen werden.
Die ZUE unterliegen jeweils der Zuständigkeit und der Verantwortung einer der fünf Bezirksregierungen in NRW, die für jede ZUE jeweils einen Einrichtungsleiter stellen. Die ZUE werden vom Land nicht selbst betrieben. Der Betrieb der ZUE erfolgt vielmehr durch Privatunternehmen („Betreiber“), die hierzu mit dem Land sog. Betreuungsverträge abgeschlossen haben. Nach den bestehenden Betreuungsverträgen wird die Immobilie, in der die ZUE betrieben wird, vom Land mietfrei zur Verfügung gestellt. Kosten für Heizung, Wasser und Strom trägt ebenfalls das Land. Der Betreiber ist hingegen insbesondere für die Organisation der ZUE, die soziale Betreuung der Asylsuchenden, die Möblierung und Ausstattung der Einrichtung, die Verpflegung der Asylsuchenden, die Reinigung der Einrichtung, die Auszahlung des Taschengelds und vereinzelt auch für die Überwachung der Einrichtung zuständig. Die einzelnen Aufgaben des Betreibers sind in einer sehr umfangreichen und detaillierten Leistungsbeschreibung festgeschrieben, die Gegenstand des Betreuungsvertrages ist.
Erste Ausschreibungsrunde
Zu Beginn der Flüchtlingskrise Ende 2014/Anfang 2015 erfolgte die Auswahl der Betreiber der ZUE vielfach im „Hau-Ruck-Verfahren“. Erstmals im Jahr 2016 wurde der Betrieb von mehreren ZUE flächendeckend (neu) ausgeschrieben. Im Zuge dieser Ausschreibungen kam es in mehreren ZUE zu einem Betreiberwechsel. Da die Ausschreibungsbedingungen keine Verpflichtung zur Übernahme des Personals vorsahen und sich die neuen Betreiber oftmals – insbesondere aus wirtschaftlichen Erwägungen – weigerten, das Personal des vorherigen Betreibers „freiwillig“ zu übernehmen, kam es zu zahlreichen Klagen von Arbeitnehmern. In diesen Verfahren beriefen sich die Arbeitnehmer auf einen vermeintlichen Betriebsübergang und einen damit einhergehenden Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den neuen Betreiber nach § 613a Abs. 1 BGB. In den meisten Verfahren gelang es den Betreibern, mit den Klägern gerichtliche Vergleiche über die Beendigung des vermeintlichen Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer relativ niedrigen Abfindung abzuschließen. Ob das Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 BGB auf den neuen Betreiber übergegangen war, musste in diesen Fällen nicht mehr entschieden werden.
Betriebsübergang vs. reine Auftrags-/ Funktionsnachfolge
Im Rahmen der aktuellen Ausschreibungsverfahren müssen sich Betreiber von ZUE und Ausschreibungsteilnehmer erneut die Frage stellen, ob mit dem Betreiberwechsel ein Betriebsübergang nach § 613a BGB einhergeht oder lediglich eine reine Auftrags-/ Funktionsnachfolge vorliegt. Im Falle eines Betriebsübergangs gehen die Arbeitsverhältnisse der in der ZUE beschäftigten Arbeitnehmer des ehemaligen Betreibers kraft Gesetzes auf den neuen Betreiber über. Liegt hingegen eine reine Auftrags-/ Funktionsnachfolge vor, greift diese Rechtsfolge nicht.
In Literatur und Rechtsprechung wird vereinzelt die Auffassung vertreten, dass mit dem Wechsel des Betreibers einer ZUE stets ein Betriebsübergang einhergehe. Diese pauschale Auffassung wird insbesondere damit begründet, dass zentrale materielle Betriebsmittel für den Betrieb der ZUE die vom Land zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten nebst Heizung, Wasser und Strom seien. Diese würde der neue Betreiber „übernehmen“. Einer grundlegenden Änderung der Organisation, die grundsätzlich gegen einen Betriebsübergang herangeführt werden kann, stünden die detaillierten Ausschreibungsbedingungen entgegen. Nach anderer Auffassung soll ein Betriebsübergang immer dann ausscheiden, wenn der neue Betreiber kein nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals des ehemaligen Betreibers übernimmt. Für den Betrieb der ZUE sei die soziale Betreuung der Asylsuchenden und somit menschliche Arbeitskraft identitätsprägend. Bei der Neuvergabe des Betriebs einer ZUE handele es sich um eine klassische Auftrags-/ Funktionsnachfolge.
Richtigerweise wird man die Frage, ob der Betreiberwechsel mit einem Betriebsübergang nach § 613a BGB einhergeht, nicht pauschal und für alle Fallkonstellationen gleich beantworten können. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls. Unter Berücksichtigung der umfangreichen und diffizilen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 613a BGB lassen sich – bei sorgfältiger Planung – im Falle eines Betreiberwechsels sowohl ein Betriebsübergang als auch eine reine Auftrags-/ Funktionsnachfolge vertreten. Betreiber können bei Bedarf zudem gezielt Maßnahmen ergreifen, die einem Betriebsübergang entgegengehalten werden können.
Frühzeitige und sorgfältige Planung erforderlich
Betreibern von Zentralen Unterbringungseinrichtungen und solche die es werden wollen, bleibt daher im Rahmen der laufenden Ausschreibungsverfahren nichts anderes übrig, als das Risiko eines Betriebsübergangs im Einzelfall unter Einbeziehung bestehender Gestaltungsoptionen sorgfältig zu prüfen, Vor- und Nachteile eines Betriebsübergangs abzuwägen und die hierbei gewonnenen Erkenntnisse sodann bei der Angebotskalkulation und den weiteren Planungen zu berücksichtigen. Anderenfalls drohen ein Unterliegen im Ausschreibungsverfahren und im Falle des Zuschlags negative wirtschaftliche Konsequenzen, die mitunter empfindlich sein können. Betreiber, die den Verlust des Betriebs der ZUE befürchten, sollten zudem rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, um bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Ausschreibungstermin (ggf. vorsorglich) zu beenden.