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Arbeitsschutz

Betrieblicher Gesundheitsschutz (Teil 2): Überlastungsanzeigen – Freibrief für Arbeitsreduzierung?

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In unserer losen Reihe von Artikeln zum Thema „Betrieblicher Gesundheitsschutz“ hatte Jörn-Philipp Klimburg an dieser Stelle bereits über „Mindestbesetzungen“ geschrieben. Heute setzen wir diese Reihe fort.

Arbeitgeber machen in jüngerer Zeit verstärkt Bekanntschaft mit dem (sonst eher aus dem öffentlichen Dienst bekannten) Phänomen der „Überlastungsanzeige“ von Arbeitnehmern (was daran liegen mag, dass inzwischen im Internet, u.a. von einer Gewerkschaft, Muster und Hinweise erhältlich sind und manche Anzeige diesen doch sehr ähnelt). Wir beantworten, was eine Überlastungsanzeige eigentlich ist, und zeigen auf, wie man auf sie als Arbeitgeber richtig reagiert. Was darf, was muss man machen, geht eine Überlastungsanzeige ein?

Was ist denn eine Überlastungsanzeige?

Gesetzlich nicht geregelt, wird die Überlastungsanzeige aus der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme im Arbeitsverhältnis abgeleitet, § 611, 611a i.V.m. § 241 Abs. 2, 242 BGB. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen den jeweils anderen vor Schäden und anderen negativen Folgen schützen. Ferner wird sie im Zusammenhang mit § 15, 16 ArbSchG verwendet. Daraus ergibt sich die Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber eine festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für Sicherheit oder Gesundheit unverzüglich zu melden.

Damit ist die Überlastungsanzeige die Meldung nicht akzeptabler (zumindest subjektiv als solche empfundener) Arbeitsbedingungen jeglicher Art (u.a. Arbeitssicherheit, Arbeitsmenge). Mit ihr zeigt ein Arbeitnehmer an, er sei seiner Meinung nach überlastet und deswegen die ordnungsgemäße Erledigung anstehender Arbeitsaufgaben nicht zu gewährleisten oder gefährdet. Der Arbeitnehmer kommt damit – auch im eigenen (Entlastungs-) Interesse – seiner vertraglichen Nebenpflicht nach, drohende Gefahren für Rechte und berechtigte Interessen des Arbeitgebers unverzüglich anzuzeigen. Auch strafrechtlich kann der Arbeitnehmer auf diese Weise versuchen, eine an sich bei ihm liegende Verantwortung an den Arbeitgeber zurückzugeben (man denke nur an den Gesundheits- und Pflegebereich). Konsequenterweise muss kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgeben können, die Überlastungsanzeige zu begründen oder zu konkretisieren. Schriftlichkeit kann zwar nicht gefordert werden, dürfte aber auch im Interesse des Arbeitnehmers liegen.


Wie hat der Arbeitgeber auf eine Überlastungsanzeige zu reagieren? Abhilfe – oder Abmahnung und Kündigung?

Mangels gesetzlicher Regelung der Überlastungsanzeige gibt es auch keine verbindlichen Vorgaben, wie der Arbeitgeber zu reagieren hat. Gleichwohl ist er gut beraten, sie nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern ihr auf den Grund zu gehen. Denn wenn die in der angezeigten Überlastung aufgeworfenen Umstände zu Schäden an Menschen oder Betriebsmitteln führen (beim Arbeitnehmer, beim Arbeitgeber oder bei Kunden oder anderen Dritten) wird die Haftungsfrage aufgeworfen werden. Der Arbeitnehmer ist unter Umständen von seiner Verantwortung für einen Schaden befreit, wenn sich das angezeigte Risiko realisieren sollte; Schadensersatzansprüche gegen Arbeitnehmer dürften umso schwerer durchzusetzen sein. Die Überlastung gleich mehrerer Arbeitnehmer dürfte zudem ein starkes Indiz für ein Organisationsverschulden des Arbeitgebers sein. Reagiert der Arbeitgeber auf eine Überlastungsanzeige nicht oder nicht angemessen, wird dies also den Haftungsmaßstab zu seinen Lasten verschieben. Hat er Abhilfe geschaffen oder nichts gefunden, so wird man im Einzelfall abwägen müssen: Der Arbeitnehmer könnte durch eine unberechtigte „Überlastungsanzeigen“ seinerseits eine Vertragspflichtverletzung begangen oder eine Minderleistung versucht haben zu kaschieren. Selbstverständlich ebenso denkbar ist, dass der Arbeitnehmer ernsthaft der Auffassung war, es liege etwas im Argen, was man ihm kaum vorhalten kann (gerade vor dem Hintergrund, dass das deutsche Arbeitsrecht zumindest derzeit noch von einer vorrangigen Pflicht zur innerbetrieblichen Meldung von Missständen ausgeht). Die Erteilung einer Abmahnung oder gar eine Kündigung als Reaktion auf eine Überlastungsanzeige wäre allerdings ‑ von Ausnahmefällen abgesehen (zu denken ist etwa an „querulatorische“ oder ähnlich rechtsmissbräuchliche Anzeigen) ‑ wohl unzulässig. Der Arbeitgeber darf mit der Überlastungsanzeige im Regelfall keine Sanktion verbinden (Maßregelungsverbot, § 612a BGB), rechtsmissbräuchliche Anzeigen erneut ausgenommen

Insbesondere wird zu prüfen sein, ob ein struktureller Missstand oder ein Einzelfall vorliegt. Je nachdem sind Arbeitsbelastung, Arbeitsabläufe und Arbeitsverteilung zu überprüfen und bei Bedarf zu ändern – was Schulungsmaßnahmen, Umverteilung oder Reduzierung der Arbeitsmenge, Anschaffung anderer Arbeitsmittel oder sogar die Aufstockung der Personalkapazität erfordern kann, abhängig  vom Einzelfall. Eine festgestellte Arbeitsüberlastung ist aus Gründen der Fürsorgepflicht abzustellen, es sei denn, sie bewegt sich im Bagatellbereich.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats?

Dem Arbeitnehmer hat nach § 5 Abs. 1 ArbSchG iVm § 618 BGB Anspruch auf Beurteilung der mit seiner Beschäftigung verbundenen Gefährdungen. Er kann aber keine Vorgaben zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung machen (BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06). Der Arbeitgeber hat insoweit einen Gestaltungspielraum, bei dessen Ausfüllung allerdings der Betriebsrat nach § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG mitzubestimmen hat. Betrifft die Überlastungsanzeige folglich Fragen des Gesundheitsschutzes, und wird eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt, so ist der Betriebsrat zu beteiligen, der auch selbst initiativ werden kann. In einer Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung lässt sich regeln, was bei Vorliegen einer Überlastungsanzeige zu tun ist.

Jedenfalls: Kein Recht zur Selbstbefreiung von der Arbeitsplicht

Klar ist: Der Arbeitnehmer kann sich durch eine Überlastungsanzeige nicht selbst von seiner Arbeitspflicht freistellen. Er muss weiterhin den ihm übertragenen Aufgaben mit der ihm möglichen Sorgfalt und Intensität nachkommen. Die Überlastungsanzeige ist keine Entschuldigung dafür, nicht mehr zu arbeiten. Die Überlastungsanzeige ist kein „Freibrief“, nun die Kollegen arbeiten zu lassen oder Arbeiten abzulehnen bzw. zu unterlassen. Werden aber die Grenzen der Leistungsfähigkeit überschritten, und sind Leib und Leben gefährdet (Selbst- oder Fremdschädigung), kann der Arbeitnehmer jedoch seine Arbeitsleistung zurückhalten. Auch hier gilt also: Der Sachverhalt im Einzelfall entscheidet.

Stefan Fischer

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Stefan Fischer berät nationale und internationale Unternehmen umfassend vor allem in betriebsverfassungsrechtlichen und tarifrechtlichen Themen, etwa bei Restrukturierungs- einschließlich Integrationsmaßnahmen oder bei (Sanierungs-)Tarifverträgen, sowie bei der Verhandlung von Betriebsvereinbarungen (u.a. zur Vergütung, zur Arbeitszeit, zu IT-Einführung, Einführung neuer Arbeitsmethoden). Er ist außerdem sehr erfahren in der arbeitsgerichtlichen Prozessführung, u.a. im Zusammenhang mit Compliance-Fragen, sowie in der Gestaltung und Beendigung von Dienstverträgen von Vorständen und Geschäftsführern. Stefan Fischer ist aktives Mitglied in der International Practice Group für Global Mobility/Immigration von Ius Laboris. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Aufsichtsratsberatung".
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