Im Fall einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers, wenn also gerichtlich festgestellt wird, dass die ausgesprochene Kündigung das bestehende Arbeitsverhältnisses nicht beendet hat, bietet § 9 KSchG den Parteien die Möglichkeit, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitiger Zahlung einer „angemessenen Abfindung““ zu beantragen. Da das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in seiner grundsätzlichen Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz ist, sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen. Kann sich ein Arbeitgeber zum Beispiel zur Auflösung auf Gründe berufen, auf die er erfolglos die Kündigung gestützt hat? Der folgende Beitrag soll anhand einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts einen kurzen Überblick über die Voraussetzungen eines solchen Auflösungsantrags durch den Arbeitgeber geben.
Auflösungsantrag durch den Arbeitgeber
Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Auflösungsantrag sind im Gesetz eher schwammig definiert. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist der Antrag des Arbeitgebers erfolgreich, „wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen“. Worüber das Gesetz jedoch schweigt ist, dass der Antrag nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ausschließlich wegen der fehlenden sozialen Rechtfertigung i.S.d. § 1 KSchG und nicht – auch nicht zusätzlich – aus anderen Gründen, wie z.B. der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG, Erfolg hat. Weiterhin findet § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur auf eine unwirksame ordentliche Kündigung Anwendung. Denn wie § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG verdeutlicht, können Auflösungsanträge bei unbegründeten außerordentlichen Kündigungen lediglich vom Arbeitnehmer gestellt werden. Der Antrag ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz möglich (§ 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG). Daher ist es zulässig, zu dessen Begründung auch Tatsachen heranzuziehen, die erst nach dem Ausspruch der Kündigung entstanden sind.
Keine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit
Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG setzt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers das Vorliegen von Gründen voraus, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der dem Tatsachengericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber kommen allgemein gesprochen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die relevanten Umstände müssen allerdings nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers begründet sein. Entscheidend ist vielmehr, ob die objektive Lage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag – also bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz – die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist, und daher die Prognose begründet, eine weitere den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit sei nicht zu erwarten. Abgestellt werden kann hierbei auf Tatsachen, die sowohl vor als auch nach der Kündigung entstanden sind. Nicht selten berufen sich Arbeitgeber zur Begründung ihres Auflösungsantrags allerdings – zumindest auch – auf Gründe, die bereits der zuvor ausgesprochenen Kündigung zugrunde lagen.
Der aktuelle Fall des BAG
Im Fall des BAG vom 24.05.2018 (2 AZR 73/18) stützte der Arbeitgeber seinen Auflösungsantrag auf Tatsachen, die gewissermaßen bereits vor der Kündigung vorlagen, sich aber erst im Prozess durch weiteres Zutun des Arbeitnehmers veränderten.
Die Arbeitgeberin stellt Industriebatterien her. Um die Batterien zu laden, werden die Batteriezellen mit konzentrierter heißer Schwefelsäure befüllt und mit Gleichstrom von bis zu 350 A aufgeladen. Aufgrund der erheblichen Brand- und Explosionsgefahr werden die Ladevorgänge lückenlos am PC überwacht und kontrolliert. Der klagende Arbeitnehmer war hierfür mit einem Kollegen in der Nachtschicht eingeteilt. Nach Angaben der Arbeitgeberin seien die Mitarbeiter angewiesen, die Pausen versetzt zu nehmen; zudem bestehe in der gesamten Produktion ein Rauchverbot. Nach Beobachtungen des externen Wachdienstes sollen sich der Arbeitnehmer und sein Kollege mehrmals gleichzeitig schlafen gelegt haben, woraufhin der Wachdienst den Produktionsleiter verständigte. Als dieser das Überwachungsbüro betrat war das Licht ausgeschaltet und der Arbeitnehmer hörte über Kopfhörer Musik. Der Arbeitnehmer gab an, „ein Problem“ zu lösen. Auf die Anmerkung des Produktionsleiters, dass es auffällig nach Zigarettenrauch rieche, entgegnete der Arbeitnehmer, dies käme vom Klimagerät, bestätigte aber zu diesem Zeitpunkt, dass die auf seinem Schreibtisch liegenden Zigaretten ihm gehörten. Die aufgrund der Verletzung der Überwachungspflichten und des Verstoßes gegen das Rauchverbot ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung wurde im Kündigungsschutzverfahren als sozialwidrig festgestellt. Während des Prozesses konkretisierte der Arbeitnehmer seine Angabe, „ein Problem“ gelöst zu haben, als der Produktionsleiter eintrat, dahin, einen Alarm bezüglich einer Säurekonzentration abgestellt zu haben. Dies sei eine halbe Stunde bevor der Wachschutz eintraf geschehen, so dass dieser den Alarm nicht mehr wahrnehmen konnte. Später gab er zusätzlich an, es habe sich um einen „Voralarm“ gehandelt. Die Arbeitgeberin führte an, dass es keinen „Voralarm“ gebe. Zudem sei an diesem Abend keine Alarmmeldung im System hinterlegt. Auch seien die bestückten Module vom Arbeitnehmer selbst erst weniger als 30 Minuten vorher eingeschaltet worden. Zuletzt präsentierte der Arbeitnehmer im Prozess noch eine Plastikdose in Form einer Zigarettenschachtel und führte an, diese lediglich mit Tabletten und Bonbons befüllte Dose auch damals bei sich gehabt zu haben.
Nach Auffassung der Arbeitgeberin habe der Arbeitnehmer versucht, den Kündigungsrechtsstreit durch bewusst falsche Tatsachenbehauptungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Infolge dieses Verhaltens und weil durch die gleichzeitigen Pausen erhebliche nicht hinnehmbare Gefahren entstehen, stellte die Arbeitgeberin im Berufungsverfahren einen Auflösungsantrag, welcher noch vom LAG im Ergebnis mit der Begründung abgewiesen wurde, dass die Behauptungen des Arbeitnehmers lediglich Entlastungsvorbringen zum Kündigungsvorwurf seien, welche die ordentliche Kündigung gerade nicht gerechtfertigt haben. Das BAG hob das Berufungsurteil jedoch auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.
Die Entscheidung des BAG
Nach Ansicht des BAG steht derzeit noch nicht sicher fest, ob der Kläger bewusst wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt hat und sein Verhalten einer gedeihlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich entgegensteht. Dennoch sei der Sachverhalt – so im Ergebnis das BAG – grundsätzlich geeignet, einen Auflösungsantrag zu stützen. Das BAG blieb in seinen Entscheidungsgründen auf seiner bisherigen Linie und stellte für die Voraussetzungen eines Auflösungsantrages wesentliche Grundsätze nochmals deutlich heraus:
- Bewusst falsche Tatsachenbehauptungen – insbesondere bei übler Nachrede – können die Rechte des Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche zukünftige Zusammenarbeit infrage stellen.
- Auch das Verhalten im Kündigungsschutzprozess kann eine Auflösung rechtfertige. Dem steht es nicht entgegen, dass das Verhalten des Arbeitnehmers die Kündigung selbst nicht rechtfertigt, da jeweils sowohl ein unterschiedlicher Beurteilungszeitpunkt als auch anderer Beurteilungsmaßstab anzulegen ist.
- Beruft sich der Arbeitgeber für seinen Auflösungsantrag auch auf solche Gründe, mit denen er (erfolglos) die Kündigung begründet hat, muss er im Einzelnen vortragen, weshalb die unzureichenden Kündigungsgründe dennoch einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (so auch schon das BVerfG, Beschluss vom 22.10.2014 – 1 BvR 1944/01).
Konkret führt das BAG aus, dass die noch vom LAG angenommene Identität zwischen den unzureichenden Kündigungsgründen und den Auflösungsgründen gerade nicht vorliege. Denn auf der einen Seite stünde der Verdacht der Verletzung der Überwachungspflichten und des Rauchverbotes und auf der andern Seite der Vorwurf des vorsätzlich falschen Prozessvortrages. Ein bewusst falscher Tatsachenvortrag in Bezug auf die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe ist – so ausdrücklich das BAG – als Auflösungsgrund geeignet, weil der Arbeitnehmer hierbei sogleich seine nach § 241 Abs. 2 BGB auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers in erheblicher Weise verletze.
Abschließende Bemerkung
Wie das Urteil des BAG verdeutlicht, bedarf es einer sauberen Abgrenzung der Kündigungsgründe von den Auflösungsgründen. Sollten diese tatsächlich identisch sein, bedarf es eines schlüssigen Vortrages zusätzlicher Tatsachen, dass ein weiteres gedeihliches Zusammenarbeiten unmöglich ist. Die insoweit erhebliche Darlegungslast trifft allein den Arbeitgeber.
In der Praxis hat sich daher nicht umsonst die Form der Beendigung eines Kündigungsschutzprozesses über den Weg eines zwischen den Parteien vereinbarten (gerichtlichen) Vergleiches durchgesetzt. Die durch § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ermöglichte Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung durch Urteil der Arbeitsgerichte ist, wie das vorgestellte Urteil des BAG sehr schön veranschaulicht, nicht ohne weiteres möglich. Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an einen erfolgreichen Antrag. Zudem kann der Auflösungsantrag nicht getrennt von einem Kündigungsschutzprozess und auch nur bei dessen positiven Ausgang für den Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verfolgt werden. Insoweit ergibt sich zu diesem Zeitpunkt leider keine Möglichkeit mehr, den Arbeitnehmer noch zu einer gütlichen Einigung hinsichtlich der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu bewegen. Es bedarf daher bereits während des laufenden Rechtsstreits einer umfassenden Risikoabschätzung, ob die in Betracht kommenden Gesichtspunkte einen anschließenden Auflösungsantrag auch tatsächlich stützen können, wobei eine hundertprozentige Rechtssicherheit natürlich nie gegeben ist. Dennoch sollte der Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht als weitere Möglichkeit zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses außer Acht gelassen werden, wenn die Kündigung trotz berechtigter Gründe dennoch sozialrechtswidrig ist.