In Teil 1 unserer Beitragsreihe haben wir eine überblicksartige Einführung in die arbeitsrechtlichen Fragestellungen und Herausforderungen rund um ein agiles Transformationsprojekt gegeben. Nunmehr beschäftigen wir uns mit den inhaltlichen Gestaltungsgrenzen, sowohl auf der vertraglichen als auch auf der kollektivrechtlichen Ebene.
Individualvertragliche Umsetzung
Ein Transformationsprozess hin zu einer agilen Organisationsform muss nicht zwingend jeden Arbeitsplatz und jede vertragliche Tätigkeit berühren. Die Frage,
- in welchen Strukturen der einzelne Mitarbeiter tätig ist,
- ob er in ein Großraumbüro umziehen soll und
- an welchen Teambesprechungen oder Projekten er teilzunehmen hat,
ist in der Vielzahl aller Fälle kein Thema des Arbeitsvertrags, sondern nur des Direktionsrechts. So kann der Arbeitgeber (ohne gesonderte vertragliche Regelung) in den Grenzen des § 106 GewO sehr weitgehend einseitig das „Wie“ der jeweiligen Arbeit bestimmen.
An eine Grenze stößt man aber dann, wenn die Auflösung von Hierarchieebenen, der Entzug von Führungsaufgaben oder umgekehrt auch zu Zuweisung einer erweiterten Verantwortlichkeit das sog. Sozialbild einer Stelle und damit die vertragliche Stelle des Mitarbeiters berühren. Die Grenzen des Direktionsrechts werden nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dann überschritten, wenn dem Mitarbeiter keine gleichwertige Stelle zugewiesen wird. Dabei bestimmt sich die Gleichwertigkeit nach der auf den Betrieb abzustellenden Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild (BAG vom 17. August 2011 – 10 AZR 322/10).
Wesentliche Kriterien der Gleichwertigkeit sind u.a.
- die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter oder
- der Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln
- oder einer Personalkapazität.
- Zur Ermittlung der Gleichwertigkeit ist zudem auf die betrieblichen Rahmenbedingungen abzustellen, unter denen die Tätigkeit ausgeübt werden soll.
Zu diesen Rahmenbedingungen zählt insbesondere die Einordnung der Stelle in die Betriebshierarchie ebenso wie z.B. die Frage, ob, und wenn ja, in welchem Umfang die Tätigkeit mit Vorgesetztenfunktionen gegenüber anderen Mitarbeitern verbunden ist.
Vor diesem Hintergrund kann die Einführung einer agilen Struktur, die mit einem Abbau von Hierarchiestufen und Führungsaufgaben einhergeht, auch einen Eingriff in die Arbeitsverträge bedeuten. Diese ließe sich dann jenseits freiwilliger Vereinbarungen „nur“ über eine Änderungsvereinbarung oder -kündigung realisieren.
Kollektivrechtliche Umsetzung
Aufbauend auf den oben genannten Themenfeldern liefert das Betriebsverfassungsgesetz zahlreiche Ansätze für Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats:
Es kann bei einem erheblichen Eingriff in bisherige Organisationsformen und wesentlichen Änderungen nach Umfang, Inhalt und Abläufen der Arbeit zunächst gefragt werden, ob eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG vorliegt. So, wie eine Umstellung im Produktionsbetrieb auf eine maschinelle Fertigung eine Betriebsänderung begründen kann, kann auch eine Veränderung des Organisationsdesigns und der Abläufe eine wesentliche Veränderung darstellen.
Das Bundesarbeitsgericht nimmt eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation i.S.v. § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG an, wenn der Betriebsaufbau, insbesondere hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortung, umgewandelt wird und die Änderung insgesamt einschneidende Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer hat (BAG vom 18. März 2008 – 1 ABR 77/06).
Hinweis: Sofern die Betriebsorganisation daher noch stark hierarchisch mit klassischen Berichtslinien, Fachabteilungen und getrennten Zuständigkeiten aufgebaut war, kann ein kompletter Neuaufsatz in einer agilen Struktur durchaus eine Betriebsänderung darstellen. Anders wiederum wäre in der Regel die Einführung einer bloßen agilen Teilstruktur, z.B. der Aufsatz eines konkreten Projekts mit agilen Teilstrukturen zu beurteilen.
Letztlich ist die Einordnung einer Maßnahme als Betriebsänderung immer von den Umständen des Einzelfalles, d.h. insbesondere von den konkreten Eingriffen und Änderungen der Arbeitsorganisation und auch damit einhergehenden möglichen Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer abhängig.
Unabhängig von dem „großen“ Aufschlag einer Betriebsänderung können die jeweiligen einzelnen Maßnahmen und Umstellungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 BetrVG tangieren. Dies gilt etwa für
- Eingriffe in bestehende Arbeitszeitmodelle (Nr. 2 und 3),
- für die Einführung neuer IT-Plattformen (Nr. 6),
- für Aspekte des Gesundheitsschutzes im Zusammenhang mit der Einführung neuer Arbeitswelten und Raumstrukturen (Nr. 7)
- oder für die Anpassung von Vergütungsstrukturen an die neuen Formen der Hierarchieebenen und Leistungsbezüge (Nr. 10).
Schließlich stellt sich die Frage, ob agile Organisationsformen immer auch mit einer Gruppenarbeit im Sinne der Betriebsverfassung (Nr. 13) gleichzusetzen sind. Hierunter versteht die Rechtsprechung eine Arbeitsform, bei der einer Einheit Selbstverantwortung für bestimmte Inhalte und Ergebnisse übertragen werden. Da agile Arbeitsformen regelmäßig auch durch einen hohen Grad der Eigenverantwortung geprägt sind, ist ein solcher Gleichlauf mit dem Begriff der Gruppenarbeit nicht ganz fernliegend, jedoch kein Automatismus und im Einzelfall zu prüfen.
Weiter können allgemeine Mitbestimmungsrechte zu Schulungs- und Qualifizierungsmodellen, zur Personalentwicklung in der neuen Organisationsstruktur und zu neuen Berufsbildern den Betriebsrat auf den Plan rufen.
Schließlich wird man im Rahmen der personellen Einzelmaßnahmen unabhängig von (Änderungs-)Kündigungen und einer Beteiligung nach §§ 102, 103 BetrVG im Einzelfall jeweils zu prüfen haben, welche Veränderungen eine Versetzung i.S.d. §§ 95 Abs. 3, 99 BetrVG darstellen – insbesondere im Zusammenhang zu Veränderungen der (räumlichen) Arbeitsumgebung, Wechsel der Vorgesetzten, Berichtslinien und Teamzuordnungen.
Der Beitrag wird fortgesetzt.