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Arbeitsrecht 4.0 Betriebsverfassung

Zurück auf die Schulbank 4.0 – Weiterbildung im digitalen Wandel?

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Wer im Zeitalter bahnbrechender Innovationen bei neuen Technologien auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz, vernetzter Produktionssysteme und der Robotik mit der Digitalisierung nicht Schritt hält, hat wenig Chancen, auch in Zukunft zu bestehen. Das gilt für Unternehmen wie Belegschaft gleichermaßen. Der Technologiewechsel verschärft sowohl den Druck auf Mitarbeiter, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten, sich insbesondere im Bereich digitaler Kompetenzen laufend weiterzubilden und dabei ständig wachsenden Anforderungen zu stellen, als auch auf Unternehmen, ihre Belegschaft für den digitalen Arbeitsmarkt 4.0 fit zu machen und für die Arbeitswelt der Zukunft vorzubereiten. Dabei wird vor allem die Frage an Bedeutung gewinnen: Können Arbeitgeber von ihren Arbeitnehmern gewisse digitale Qualifikationen bzw. deren Erwerb durch Weiterbildung fordern oder besteht sogar ein Anspruch auf Weiterbildung?

Weiterbildungsverpflichtung des Arbeitnehmers im digitalen Wandel?

Ob der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer zu Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen verpflichten kann, ist bislang noch nicht abschließend geklärt, aber weitgehend anerkannt. Ausgangspunkt ist das in § 106 GewO bzw. § 611a Abs. 1 S. 2 BGB geregelte Weisungs- bzw. Direktionsrecht als das Recht des Arbeitgebers, einseitig die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers nach Inhalt, Ort und Zeit der Leistung näher zu bestimmen.


  • Konkretisierung der Leistungspflicht durch Auslegung des Arbeitsvertrags

Wird im Arbeitsvertrag der Inhalt der geschuldeten Arbeitsleistung – wie im Regelfall – durch eine allgemeine Berufsbezeichnung (z. B. „Lagerist“) bestimmt, richtet sich die geschuldete Tätigkeit nach dem umschriebenen Berufsbild und den üblicherweise zu erbringenden Leistungen unter Einbeziehung der jeweiligen Branche. Verfügt der Arbeitnehmer nicht mehr über die hierzu erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse, kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer eine entsprechende Weiterbildung verlangen. Die Teilnahme an solchen Qualifizierungsmaßnahmen wird dann als Teil der dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterfallenden arbeitsvertraglichen (Haupt-)Leistungspflicht des Arbeitnehmers angesehen.

  • „Dynamisches Berufsbild“

Dass sich Arbeitsinhalte und mit ihnen auch die erforderlichen technologischen und inhaltlichen Kompetenzen verändern, ist nicht neu. Das BAG (Beschluss vom 10. April 1984 – Az. 1 ABR 67/82) hat frühzeitig betont, dass jede einem Arbeitnehmer zugewiesene Tätigkeit laufend Änderungen unterworfen ist, die u.a. in der technischen Gestaltung des Arbeitsablaufes oder einer Änderung von Hilfsmitteln und Maschinen ihre Ursache haben können. Daher wird davon ausgegangen, dass das Erlernen neuer Qualifikationen und eine entsprechende Weiterbildungspflicht des Arbeitnehmers im Rahmen einer „gewissen Schwankungsbreite“ als nahezu selbstverständlich vorausgesetzt werden kann und die arbeitsvertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht auch nicht statisch, sondern mit Blick auf die im Unternehmen vorhandenen tatsächlich Gegebenheiten und anhand des fortentwickelten und damit dynamisch verstandenen Berufsbildes zu ermitteln ist.

Nach teilweise vertretener Ansicht soll bereits genügen, dass die betreffende Fähigkeit (z.B. Bedienung eines Computers) am Arbeitsmarkt nachgefragt wird. Nach anderer Auffassung soll hingegen darauf abzustellen sein, ob bei Vertragsschluss bereits erkennbar war, dass die Ausübung der Tätigkeit über Jahre hinweg die Weiterbildung des Arbeitnehmers voraussetzen würde, womit das auch die arbeitsvertragliche Gestaltungspraxis erfassende Transparenzgebot angesprochen ist.

  • Grenzen

Wird eine Stelle derart aber verändert, dass sich das Tätigkeits- und damit das Anforderungsprofil nicht mehr dem „normalen Schwankungsbereich“ des stetigen Wandels einzelner Berufsbilder unterfällt, sind auch die Grenzen der Weiterbildungsverpflichtung der Arbeitnehmer erreicht. In diesem Fall werden dann grundsätzlich nur freiwillige Vereinbarungen entsprechender Pflichten mit dem Arbeitnehmer für möglich gehalten. Wo diese Grenze zu ziehen sein wird, muss anhand des jeweiligen Berufsbildes und den konkreten Änderungen des Tätigkeits- und Anforderungsprofils bestimmt werden.

Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbildung?

  • Individualrechtliche Ausgangslage – Rechtsanspruch auf Weiterbildung?

Ein individualrechtlicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbildungsmaßnahmen wird – auch im Hinblick auf technologisch bedingte Veränderungen von Stellenprofilen – bislang abgelehnt. Der Arbeitnehmer hat nach § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG lediglich einen Erörterungsanspruch. In einigen Freistellungs- und Bildungsurlaubsgesetzten ist aber ein Anspruch auf (bezahlte) Freistellung zur Teilnahme an Qualifizierungsveranstaltungen vorgesehen (vgl. § 1 Abs. 1 AWbG NW). Die Fragestellung wird daher bislang überwiegend von einem kündigungsschutzrechtlichen Ansatz (§ 1 Abs. 2 S. 3 KSchG; § 102 Abs. 3 S. 4 BetrVG) aus thematisiert.

  • Fürsorgepflicht des Arbeitgebers?

Vieles spricht aber dafür, die Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbildung von Arbeitnehmern i.S. einer Fürsorgepflicht bereits in das laufende Arbeitsverhältnis vor zu verlagern, die sich aus seiner Beschäftigungspflicht ergeben kann. Auch das BAG (Urteil vom 20. Juni 1995 – Az. 8 AZR 689/94) hat einen sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers beruhenden Umschulungsanspruch für möglich gehalten, ohne jedoch konkrete Voraussetzungen zu nennen. Jedenfalls dann, wenn sich das Tätigkeits- und damit Anforderungsprofil des Arbeitnehmers derart ändert, dass seine beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung der Tätigkeit nicht mehr ausreichen, wird eine solche Fürsorge- bzw. Förderungspflicht als vertragliche Nebenpflicht zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers grundsätzlich zu bejahen sein.

Umfang

Allerdings kann eine Qualifizierungsverpflichtung bzw. ein solcher Anspruch nicht absolut gelten. Insbesondere müssen digitale Weiterbildungsmaßnahmen dem Arbeitgeber „zumutbar“ sein. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen spricht Vieles dafür, die im Kündigungsschutzrecht zu § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG entwickelten Kriterien zu übertragen, auch es schwierig ist, dabei feste Grenzen zu setzen. Die Zumutbarkeit digitaler Weiterbildungsmaßnahmen bestimmt sich daher grundsätzlich anhand einer Abwägung, bei der die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Arbeitgebers dem Qualifikationsbedarf und Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses gegenübergestellt werden. Dabei werden derzeit vor allem die Kostenverteilung und die Gestaltung der Arbeitszeit diskutiert, die bislang nicht eindeutig geklärt sind.

  • Qualifizierungsmaßnahmen nur während der Arbeitszeit?

Teilweise wird vertreten, die Qualifizierungspflicht des Arbeitnehmers bestehe nur während der Arbeitszeit, so dass keine „Mehrarbeit“ zur Qualifizierung angeordnet werden könne. Dagegen spricht aber, dass der Arbeitgeber in den Grenzen billigen Ermessens schon aufgrund seines Direktionsrechts auf Grund von Schulungen zu Änderungen der Arbeitszeit und bei Wahrung betrieblicher Mitbestimmungsrechte auch zur Anordnung von Qualifizierungsüberstunden und Mehrarbeit berechtigt sein muss. In der Praxis ist es durchaus auch nicht unüblich Arbeitnehmer durch Einbringung von Zeitguthaben oder Urlaubstagen zu beteiligen. Bei der Deutschen Telekom AG wird zur Kostenreduzierung für langwierige Umschulungsmaßnahmen sogar das Modell einer „Bildungsteilzeit“ diskutiert, bei der Mitarbeiter ähnlich der Altersteilzeit ihre Arbeitszeit reduzieren, und dabei vom Staat und Unternehmen finanziell unterstützt werden.

  • Kostentragung?

Was die Obliegenheit zur Kostentragung für Qualifizierungsmaßnahmen betrifft, sollen diese nach herrschender Ansicht grundsätzlich – Zumutbarkeit vorausgesetzt – in voller Höhe vom Arbeitgeber zu tragen sein, soweit der Qualifizierungsbedarf der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen ist. Dies soll auch für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts während der Durchführung einer digitalen Weiterbildungsmaßnahme gelten.

Dies verdient jedenfalls insoweit Zustimmung, wie die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen Ausfluss des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts und damit Inhalt der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungspflicht des Arbeitnehmers ist. Dabei kann es jedoch mitunter schwierig sein, feste Grenzen zu setzen. Zu denken ist an Qualifizierungsdefizite, die primär Folge einer eigenen Entscheidung des Arbeitnehmers sind (z. B. Elternzeit, Sabbatical etc). Eine Grenze wird sicherlich auch dort zu ziehen sein, wo digitale Weiterbildungsmaßnahmen nicht mehr durch oder im Auftrag des Arbeitgebers durchgeführt werden. Die Kostentragung für gegen den Willen des Arbeitgebers etwa von Gewerkschaften oder gewerkschaftsnahen Einrichtungen im Betrieb durchgeführten Qualifizierungsmaßnahmen ist daher abzulehnen.

Fazit

Insbesondere die Bedeutung von „Qualifikation“ als zentraler Ressource wird in der „Arbeitswelt 4.0“ unabhängig von der konkreten Ausgestaltung künftiger Arbeitsmodelle beständig steigen. In Zeiten zunehmender Digitalisierung werden selbst Berufe, die bislang weitgehend ohne technisches oder digitales Spezialwissen ausgeführt werden konnten, künftig entsprechende Qualifikationen erfordern. Der Trend, aber auch die Erwartungshaltung von Arbeitgebern, entwickeln sich hin zu einem permanenten, lebenslangen Lernen. Für Arbeitgeber wie Belegschaft bedeutet dies gleichermaßen, sich frühzeitig mit den dazugehörigen Fragen auseinanderzusetzen und Lösungen zu erarbeiten. Dabei sollte der Fokus klar auf der Prämisse beruhen, dass digitale Qualifikation und Weiterbildung Verpflichtungen wie Grenzen für beide Seiten enthält und gerade keine Einbahnstraße darstellt.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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